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Ein Heim mit Herz in Mitterfels

2025 09 05 Heim mit Herz alle w 

Der Lieblingsplatz der Bewohner: Die Terrasse mit Blick auf den Garten. Hier sitzen gerade Benedikt Schreiber (l.) und Daniel Hauptmann. Fotos: Verena Lehner

Die neue Wohngruppe Sankt Hildegard in Mitterfels …

… soll Menschen mit Beeinträchtigung ein Leben in Selbstbestimmung ermöglichen. Ein Bewohner hat uns sein kleines Reich gezeigt.

Es fällt auf, das neue, große Gebäude in der Pröllerstraße in Mitterfels. Der moderne, in schlichtem Stil gehaltene und doch imposante Bau ist umgeben von viel Grün und einem kleinen Garten. Irgendwie strahlt es etwas Besonderes aus, dieses neue Wohnheim der Katholischen Jugendfürsorge (KJF). Und das ist es auch – vor allem für die 19 Menschen, die derzeit darin wohnen. Für sie ist dieses Haus ein Zuhause geworden – ein Zuhause, das ihnen die Möglichkeit für ein selbstbestimmtes, eigenständiges Leben bietet. Daniel Hauptmann ist einer dieser Bewohner. Er hat unsere Mediengruppe mitgenommen auf einen kleinen Rundgang.

Es ist viel los an diesem Mittwochvormittag im August in der neuen Wohngruppe Sankt Hildegard. In den Gängen herrscht reges Treiben, im Gemeinschaftsraum einer Wohngruppe sitzen einige Bewohner vor dem Fernseher, andere genießen den schönen Ausblick in das Grün, in das ihr Haus gebettet ist. Es ist Urlaubszeit. Und viele der 19 Bewohner, die fast alle in der Bruder-Konrad-Werkstätte in Mitterfels arbeiten, sind zu Hause. „Normalerweise ist es vormittags immer eher ruhig“, erzählt Julian Vojta. Er ist Heilerziehungspfleger und Teil des zwölfköpfigen Betreuerteams. Er wird uns ebenfalls auf dem Rundgang begleiten. „Daniel, hast Zeit? Magst euer Haus ein bisschen herzeigen?“, ruft er einen hellen Gang entlang. „Ja gerne, ich komme“, hallt es zurück. Ein Augenblick vergeht und ein Mann mit kurzen, grauen Haaren und einem verschmitzten Lächeln im Gesicht kommt in seinem Rollstuhl angefahren.

Es ist Daniel Hauptmann. Er ist Mitglied der Bewohnervertretung und war einer der ersten, der in das neue KJF-Heim in der Pröllerstraße eingezogen ist, das nun seit gut neun Monaten in Betrieb ist. Er hat ein Zimmer in einer der beiden Wohngemeinschaften im Haus. Es liegt im Erdgeschoss. „Kommen Sie mit, ich zeig’ Ihnen alles“, sagt er und fährt los. Erste Station ist die Gemeinschaftsküche, eine moderne, offen gehaltene Küche mit Eichenholzfronten, direkt daneben ein großer Esstisch. „Hier kochen und essen wir gemeinsam. Wir frühstücken auch meist zusammen“, erzählt Daniel Hauptmann. „Wir stellen auch für den, der Nachtbereitschaft hat, immer schon eine Tasse bereit“, sagt er und blickt lachend zu Julian Vojta. „Das stimmt“, antwortet der und setzt nach: „Es sind diese kleinen Gesten, die die gute Atmosphäre in diesem Haus ausmachen.“ Hier gebe es keine Hierarchien zwischen Betreuern und Bewohnern. Alle, die hier wohnen, sollen ihren Alltag alleine stemmen, ihr eigenständiges Leben führen. Sie können hier den Schritt in die Selbstständigkeit gehen. Gleichzeitig bekommen sie Hilfestellung, wo sie sie benötigen. „Es ist ein großes Miteinander“, sagt Vojta. Daniel Hauptmann nickt. „Das ist wirklich so.“

Dazu gehört auch, dass die Bewohner absolutes Mitspracherecht bei allem haben. So wird beispielsweise niemand eingestellt, ohne dass derjenige vorher den Bewohnern vorgestellt wird. „Haben die kein gutes Gefühl, dann wird weitergesucht“, erklärt Vojta. Auch das Wohnheim selbst ist seit Inbetriebnahme nach und nach den Wünschen der Bewohner angepasst worden. „Und uns fällt immer wieder etwas Neues ein“, sagt Hauptmann und lacht. Doch ihre Wünsche und Bedürfnisse stießen bei den Verantwortlichen immer auf offene Ohren.

Der kleine Rundgang geht weiter, nächste Station: das gemeinsame Wohnzimmer mit gemütlicher Couch und Fernseher und die Terrasse mit Blick ins Grüne. „Das ist jetzt im Sommer unser absoluter Lieblingsort. Hier kommen abends immer alle zusammen, von jedem Stockwerk.“ Es sei immer lustig und eine schöne Runde zum Ausklang des Tages. „Und wenn es einem zu viel wird, dann kann man einfach gehen. Das ist das Schöne. Wir können für uns sein, sind aber nie alleine.“

Daniel Hauptmann wirkt glücklich, wenn er von diesen Terrassenabenden erzählt. Er sitzt an dem großen Tisch und es dauert nicht lange, da gesellt sich ein junger Mann dazu. Es ist Benedikt Schreiber, der in derselben Wohngruppe lebt. „Ist immer schön hier, gell“, sagt Hauptmann zu ihm. „Oh ja“, sagt Schreiber und nickt. Wie die beiden dort sitzen und auf den Garten schauen, ist zu spüren, wie wohl sie sich hier fühlen.

Noch deutlicher wird das, als Daniel Hauptmann die Türen zu seinem Zimmer für uns öffnet. Ein großes Fenster lässt viel Licht herein. „Hier wohne ich“, sagt er und lässt stolz seinen Blick in den Raum schweifen, den er für sich selbst eingerichtet und gestaltet hat. Neben einer kleinen Couch steht ein großzügiges Bett, auf der Bettwäsche ist die deutsche Fußballnationalmannschaft zu sehen. Es wirkt gemütlich. „Wer hier einzieht, kann selber entscheiden, ob er das Zimmer möbliert mieten möchte oder seine eigenen Möbel mitbringt“, erklärt Julian Vojta. „Aber die meisten entscheiden sich für Letzteres.“ Und so hat jedes bewohnte Zimmer seine ganz eigene persönliche Note.

Für viele sei es das erste Mal, dass sie alleine und nicht mehr bei den Eltern leben. „Das ist natürlich ein großer Schritt. Aber alle hier meistern das sehr gut“, sagt Vojta. Auch er liebt die Atmosphäre in diesem Haus. Der Heilerziehungspfleger hat schon in anderen Einrichtungen gearbeitet. „Aber hier ist es irgendwie besonders.“ Warum, das kann er gar nicht so genau sagen. „Vielleicht weil Teilhabe hier nicht nur ein Wort ist, sondern wirklich gelebt wird.“ Beim Rundgang wird schnell klar, was er meint. Jeder Bewohner, den man trifft, ist offen, freundlich, herzlich und strahlt irgendwie ein besonderes Selbstvertrauen aus. Vielleicht, weil ihnen hier zugetraut wird, ihr Leben nach ihren Möglichkeiten selbst zu meistern. Hier darf sich jeder ausprobieren.

Zum Sich-Ausprobieren gehört auch der kleine Gemüsegarten, den Daniel Hauptmann als Nächstes herzeigt. Tomaten, Zucchini, Salat und Erdbeeren haben sie in diesem Jahr schon aus den Hochbeeten und Gewächshäusern geerntet. „Der Garten macht uns viel Freude“, erzählt er. Am Rand des Gartens ist ein kleines Rondell. „Das ist unser Grillplatz“, erklärt Hauptmann. Ob er sich wohlfühlt hier? „Ja, sehr“, antwortet er. Wieder hat er das zufriedene Lächeln im Gesicht, seinen Blick auf den Garten und das Gebäude gerichtet. Und dieser Blick zeigt: Dieses von außen so schöne, moderne Haus in der Pröllerstraße, das innen so voller Leben ist, ist Heimat – und zwar eine Heimat, die gut passt zu den aufgeschlossenen, fröhlichen und herzlichen Menschen, die darin leben und das Ganze zu etwas Besonderem machen.

Verena Lehner/BOG Zeitung vom 5. September 2025