Mitterfels
„Seit Christus die Erdenzeit mit uns Menschen teilt, hat unsere Zeit eine neue Qualität bekommen …“
Haben Sie zuhause den neuen Kalender für 2015 schon an die Wand gehängt, das erste Blatt am Abreißkalender für dieses neue Jahr abgemacht? Mit diesem 1. Januar zählen wir die Tage wieder neu. Kein anderer Tag im Jahr macht uns so deutlich das Verrinnen der Zeit bewusst, wie jene Nacht von Silvester zu Neujahr. Schon wieder ein Jahr rum! Wie doch die Zeit vergeht!
Zeit ist mehr Gabe als Geld, sie ist unbezahlbar. Sie fällt uns zu wie ein Geschenk des Himmels.
Zeit ist Geld sagen wir. Mehr nicht? Macht das Geld den Wert der Zeit aus? Das mag ein Stück weit so sein. Und doch: Zeit ist mehr Gabe als Geld, sie ist unbezahlbar. Sie fällt uns zu wie ein Geschenk des Himmels. Vielleicht wird uns das erst so richtig bewusst, je deutlicher wir spüren, dass unsere Lebenszeit begrenzt ist, dass sich unsere Lebenszeit dem Ende zuneigt.
Und was machen wir mit der uns geschenkten Zeit? Wir können sie versilbern. Eben: Zeit ist Geld. Wir können sie vertreiben oder vertun, wir können sie sogar totschlagen – welch bezeichnendes Wort! Und wir können sie weiterschenken. Wir können anderen Zeit schenken: die Eltern den Kindern, und die Kinder den Eltern, einer dem anderen. Die Zeit kann zum kostbarsten Geschenk werden, das wir füreinander haben. Denn mit der Zeit geben wir nicht nur etwas, sondern uns selbst.
Aber: Zeit ist knapp. Wer hat schon Zeit für andere? Treue und verlässliche Beziehungen sind knapp; Beziehungen, die über den Tag hinaus ein Leben lang tragen. Sinn ist knapp. Was soll das Leben? Was hat das Ganze für einen Sinn? Früher wussten die Menschen darauf eine tragfähige Antwort: Nach der Zeit in dieser Welt kommt die Ewigkeit. Heute sind sie oft genug ratlos. Darum heißt es, aus der verbleibenden Zeit so viel wie möglich herauszuholen. Denn wenn es keine Ewigkeit gibt, dann ist das Leben hier und jetzt die letzte Gelegenheit. Also: Nütze sie aus!
Unsere Zweite Lesung heute beginnt mit dem Halbsatz: „Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn…“ Oder anders übersetzt: „Als die Fülle der Zeit gekommen war…“ Was zunächst wie eine Floskel klingen mag, ist eine zentrale Aussage unseres Glaubens. Und wir erfassen intuitiv, was damit gemeint ist: Die Zeit ist reif für etwas. Sie ist angefüllt mit Erfahrung, so dass nicht mehr viel abgeht. Zum Beispiel: Die Zeit ist reif, eine Entscheidung zu treffen, der Angebeteten einen Heiratsantrag zu machen, die Arbeitsstelle zu wechseln, mit dem Rauchen aufzuhören, abzunehmen, endlich mehr Sport zu treiben. Keine Sorge: Ich höre schon auf mit den möglichen guten Vorsätzen für das neue Jahr.
Seit Christus die Erdenzeit mit uns Menschen teilt, hat unsere Zeit eine neue Qualität bekommen; seither ist in unsere Zeit schon der Anfang der Ewigkeit mit hineingelegt.
„Als die Zeit reif war…“ Die Zeit war reif, dass Gottes Sohn Mensch geworden ist; reif, in unsere Zeit und Welt einzutreten und diese mit uns zu teilen, unserer Zeit auf diese Weise Fülle zu verleihen. Denn „Fülle der Zeit“ meint nicht eine Vielzahl von Dingen, mit denen wir unsere Zeit ausfüllen, sondern eher eine Qualität. Seither gilt: Wir dürfen dem Leben trauen, weil Gott es mit uns lebt, wie Alfred Delp geschrieben hat. Seit Christus unsere Erdenzeit mit uns Menschen teilt, hat unsere Zeit eine neue Qualität bekommen; seither ist in unsere Zeit schon der Anfang der Ewigkeit mit hineingelegt. Sicher, es bleibt dabei: Wir können unserem Leben nicht mehr Zeit geben. Aber wir können unserer Zeit mehr Leben geben.
Wahrscheinlich kennen Sie den Spruch „Heute ist der erste Tag vom Rest deines Leben.“ Ein Satz, der nachdenklich machen kann. Jeder wird ihn anders aufnehmen. Die Jüngeren werden denken: Wieso Rest des Lebens? Für mich ist das Leben nicht nur ein Rest, ich habe es doch noch vor mir. Gott sei Dank. Dennoch gilt für alle: Die Zeit verrinnt. Niemand weiß, wie groß sein Lebensvorrat bemessen ist. Aber so viel ist sicher: Heute ist der erste Tag eines neuen Jahres, heute ist die Chance für einen neuen Anfang. Der erste Tag vom Rest.
Liebe Gemeinde, Gott hat sich in die Zeit eingelassen. In Jesus Christus ist er unser Zeitgenosse geworden. Mit ihm ist die Zeit erfüllt. Daran können wir uns halten, auch im Auf und Ab unserer Zeit. Der Pfarrer von St. Lamberti aus Münster in Westfalen hat es im Jahr 1888 in einem launigen Segenswort auf den Punkt gebracht:
In diesem Sinne: ein erfülltes, gutes neues Jahr 2015!
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