Haselbach
Erinnerung an den Hirtreiter Otto
Otto Hirtreiter (1897 – 1971) - Als Wanderer am Lindbergschachten, 4. Oktober 1962 (Foto: Franz Wartner)
Dass der Hirtreiter Otto ein leidenschaftlicher Wanderer, Natur- und Tierfreund gewesen ist, hab ich erst nach seinem Tod erfahren.
Ich hab ihn 1945 als einen warmherzigen und mitleidigen Menschen kennengelernt, als ich, ein siebenjähriges Flüchtlingskind, meinen ersten bayrischen Sommer im Garten der „Villa Bott” (13a Mitterfels, Bahnhofstr. 84) verträumte.
Nach Kindheit und Jugend in Mitterfels hab ich dann eine lange Zeit dort nicht mehr gewohnt. Später aber haben mich viele Erinnerungen wieder hingezogen. Eine davon ist die schöne Geschichte, die der Hirtreiter Otto in meinem Gedächtnis und in meinem Herzen zurückgelassen hat:
Ich hab als Kind die schwere Nachkriegszeit durchaus nicht unglücklich erlebt. Bei meiner Mutter und Großmutter war ich gut aufgehoben, und dank einer Nachbarin, der Frau Stapf, hab ich auch nicht hungern müssen. Das ganze Dorf war mein herrlichster Spielplatz, von der Talmühle bis zur Goaßreibn, von der Höllmühl bis nach Herrmannsberg gehörte alles mir. Aber mein Nachbar im damaligen Kerscherhaus, der Hirtreiter Otto, muss mich doch bemitleidet haben. Sonst hätte er wohl nicht eines Tages gefragt, ob er mir einen Puppenwagen basteln soll. Augenblicklich sah ich meinen früheren Puppenwagen aus Ungarn vor mir, mit Klappdach, Sichtfenster und Regenschutz, und wollte gern wieder so einen haben.
Ein bisschen lang hats schon gedauert, bis der Puppenwagen fertig geworden ist, und hundertmal hab ich nachgefragt. Je länger es gedauert hat, umso phantastischer wurden meine Vorstellungen von ihm. Endlich, endlich kam der Tag, an dem mir der Otto strahlend den Wagen herüberbrachte. Ich aber fiel sogleich aus den Wolken, in denen ich vorher geschwebt war. Denn was ich erblickte, war ein Gebilde, das für meine damaligen Begriffe nichts mit einem Puppenwagen zu tun haben konnte. Freilich, heute weiß ich aus alten Kinderbüchern, dass die Puppenwägen im vorigen Jahrhundert so aussahen wie dem Otto seiner, nur so eine offene Kiste mit einer Stange zum Schieben oder Ziehen. Niedergeschlagen und todunglücklich, das war ich jetzt. Gleichzeitig aber merkte ich auch, wieviel Mühe sich der Otto mit der hellblauen Lackierung und den vielen bunten Blumen gemacht hatte, und so hub ein Kampf in meinem Inneren an, in dem sich Enttäuschung und Dankbarkeit, Rührung und Elend hart miteinander stritten. Und obgleich ich noch ein Kind war, ahnte ich mehr als ich es wohl wusste, dass eine gute Absicht und ein warmes Herz immer schwerer wiegen als ein kleines Missgeschick, das dabei herauskommt, und dass hier die Liebe zu siegen hatte und sonst nichts. Ich glaub, der Otto hats gar nicht gemerkt, was für ein Drama sich da vor ihm abgespielt hatte, bevor ich es schaffte, ihm zuzulächeln und zu danken, und er hat nie erfahren, was ich von ihm gelernt hab.
Der „Puppenwagen” diente mir und den vielen Kindern in unserem Hof lange als Spielzeug; wo er hingekommen ist, weiß ich nicht mehr.
Ich weiß aber, dass dem Otto sein Grab nur ein paar Meter weiter weg von dem meiner Mutter auf dem alten Mitterfelser Friedhof liegt. Wenn ich dort bin, lese ich jedes Mal wieder seinen schon halb verlöschten Namen und erinnere mich an den hellblau-blumigen Stangenwagen, der einstmals so viel Aufruhr in meinem Herzen verursacht hat.
Quelle: Aranka Breznay, in: Mitterfelser Magazin 2/1996, S. 106
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