Mitterfels. Von kunstvollen Volksliedern und volkstümlicher Kunst - Beginn der musikalischen Moderne

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Konzert zum ersten Kunstsymposium auf der Burg

Musikbeispiele machten Vorgetragenes hörbar und miterlebbar

Konzert zum ersten Kunstsymposium auf der Burg

Ignoranz gebiert Arroganz. Viele Bereiche des Lebens sind von dieser Erfahrung durchzogen, so vielfach auch die Beurteilung von Musik: Melodiös Einfaches wird belächelt, nur hoch komplizierte musikalisches Strukturen als „gute Musik" betrachtet. Professor Dr. Siegfried Mauser, Rektor der Hochschule für Musik und Theaterwissenschaften in München, nunmehr Rektor der renommierten Hochschule „Mozarteum" in Salzburg, rückte in kurzen treffenden Einführungen die Maßstäbe zurecht. Anlass hierzu war das Konzert zum 1. Kunstsymposium auf der Burg Mitterfels, veranstaltet vom Verkehrs- und Kulturverein Mitterfels unter der Federführung von Sigrun Baumann.

Der romantische Burghof von Mitterfels bot das passende Ambiente für ein Programm, das vom Volkslied über Jazz bis zur Moderne reichte. Professor Dr. Mauser legte gleich zu Beginn dar, wie kurzsichtig es sei, volksmusikalische Weisen als künstlerisch belanglos abzutun, waren es doch gerade diese, aus dem Volk entstandenen, eingängigen Melodien welche vielfach Ausgangspunkt für Kompositionen großer Musiker waren: Fließende Grenzen zwischen Volksweise und Kunstlied, aber auch entgegengesetzte Bewegung, in der aus dem Kunstlied Volkslied entstand.

Als Beispiel „Am Brunnen vor dem Tore" aus der „Winterreise, dem bedeutendsten Liederzyklus von Franz Schubert, das Einzug in das musikalische Volksgut des 19. und 20. Jahrhunderts fand. Der Chor der Heiligen Geist Kirche Mitterfels und der Aitrachtaler Singkreis unter der Leitung von Markus Becker verstand es, dieses und weitere allbekannte Lieder mit guten Stimmen, homogenem und ausdrucksvollem Chorklang zu interpretieren; „O Täler weit und Höhen" von Mendelssohn-Bartholdy, nach einem schwäbischen Volkslied komponiert, „Da drunten im Tale" von Johannes Brahms, „Frisch gesungen" von Friedrich Silcher. Markus Becker sang mit seiner lyrischen Tenorstimme zwei Kunstlieder von Richard Strauss „Zuneigung" und „Ich trage meine Minne".

Ganz Besonderes bot die bekannte Sopranistin Amelie Sandmann: Vertonungen der berühmten Verse des Gretchens aus Goethes Faust „Meine Ruh' ist hin, mein Herz ist schwer" und „Neige du Schmerzensreiche". Hochinteressant, aus welch unterschiedlichen Blickwinkeln Franz Schubert, Giuseppe Verdi und Richard Wagner diese Verse in ihrer Dramatik auffassten, vom Schubert'schen Kunstlied über, an Verdis Opern erinnernden italienischen Canzoni bis zum, Kunsthistoriker mögen verzeihen, frühen „Rap", dem Melodram Wagners. Mit größter Stilsicherheit und hervorragender Stimme schritt Amelie Sandmann die enorme Bandbreite dieser Kompositionen ab.

Eine wirklich großartige Jazzstimme: Corinna Stapf in „Over the Rainbow" und George Gershwin „Nice work if you can get it". Volksmusik angehauchte Weltmusik in einer Kunstsprache boten Chor der Heiligen Geist Kirche und der Aitrachtaler Singkreis in „Cantilena" und „Songs of Sancturary" des zeitgenössischen Komponisten Karl Jenkins.

Olivier Messiaen, einer der bedeutendsten Komponisten der Moderne, schuf ein Werk, die Grenzen der Harmonik weit hinter sich lassend, jedoch von großem intensiven Reiz beseelt „Le Merle noir", die schwarze Amsel. Messiaens Schaffen ist geprägt von tiefverwurzelnder Spiritualität und Liebe zur Natur. Vor allem Vogelstimmen faszinierten ihn besonders. Seine „Schwarze Amsel" darf nicht als einfache Nachahmung von Naturlauten missverstanden werden, Messiaen verarbeitet in diesem Werk für Querflöte und Klavier vielmehr die Vielfalt der Ausdrucksmöglichkeiten der auf engstem Raum zusammenprallenden Tempi und deren Wirkung auf das Empfinden des aufmerksamen Hörers. Meisterhaft interpretierte Stefan Mutz auf seiner Querflöte diese äußerst schwierige Komposition.


Quelle: Theodor Auer, in: SR-Tagblatt vom 21. Juli 2014

 


 

Beginn der musikalischen Moderne

Die Jahrhundertwende 19. bis 20. Jahrhundert ist nicht zu vergleichen mit der vor 14 Jahren. Wie wir an der Schwelle des 21. Jahrhunderts miterleben konnten, ging die Zeit nicht kontinuierlich weiter, vielmehr wurde damals, etwa von 1880 bis Anfang der 1930er Jahre, die Welt in ihren bis dahin unantastbaren Grundfesten der Politik, vor allem aber der Gesellschaft und damit auch die Kunst, erdbebengleich erschüttert.

Professor Dr. Siegfried Mauser stellte im Rahmen des Kunstsymposiums in Mitterfels, welches der Verkehr- und Kulturverein unter der Leitung von Sigrun Baumann veranstaltete, die Aspekte dieser Zeitenwende im Bereich der Musik in den Mittelpunkt: Neue, bis dahin ungehörte, ja unerhörte Klangschönheiten, die Professor Mauser mit dem Begriff „Klangzustände" treffend umschrieb, entstanden als Antwort und Gegenpol zur Musik, ja Weltsicht der Romantik. Nicht alle Musiker folgten den Neuerungen kompromisslos; einige nahmen Elemente der als „Moderne" bezeichneten auf und bauten sie in ihre nach wie vor der Romantik verhafteten Werke ein, andere aber vollzogen einen radikalen Schnitt, warfen die Tonalität über Bord und beschritten absolutes Neuland. Kernpunkt des anspruchsvollen Abends im Saal der Kreismusikschule waren jedoch nicht theoretische, wenn auch höchst interessante Abhandlungen, sondern sorgfältig ausgewählte Musikbeispiele, die das Vorgetragene hörbar und miterlebbar machten, nach dem Grundsatz: Nur wenn man weiß, was man hört, hört man es.
Assoziationen mit „An einsamer Quelle" aus den „Stimmungsbildern" op. 9 für Klavier solo von Richard Strauss weckte bei Dr. Mauser ein Spaziergang im Mitterfelser Perlbachtal. Fantasie weckte „Träumerei" nicht von Schumann, sondern ebenfalls von Richard Strauß. Mit Möglichkeiten, Dreidimensionalität in Musik auszudrücken, experimentierte Richard Strauss in „Heidebild".

Amelie Sandmann betrat gesangstechnisch äußerst schwieriges Terrain mit vier Liedern von Richard Strauss: „Morgen", „Die Nacht", „Allerseelen" und „Zuneigung". Mit ihrer sehr schönen Sopranstimme zauberte Amelie Sandmann mit extremen Dynamiksprüngen und großen Intervallen zusammen mit der Klavierbegleitung Klangwelten, die schon die später entstanden Opern „Electra" und „Salome" erahnen ließen. Nicht Sichtbares, vielmehr Empfindungen, die das Reale im Innersten auslöst, schilderte Claude Debussy in „la mer" oder, in unserem Fall, „Broulliards", Nebel für Klavier solo. Radikal mit althergebrachter Harmonie brach Arnold Schönberg, selbst heute, nach 100 Jahren immer noch schwierig anzuhören, als provokativ empfunden das Klavierstück op. 11/1. Schon zuvor hatte Alexander Zemlinsky die Tore zur Atonalität weit aufgestoßen, beispielsweise in seiner Fantasie „Stimme des Abends" op. 9/1. Die Suche nach dem Ursprung, dem Wesen allen Seins beschäftigt nicht nur Philosophen und Theologen. Auch Alexander Skrjabine fand eine Tonfolge, die das monotheistische Alpha und Omega aber auch den buddhistischen Urlaut „Om" in sich einschloss.

Die 2 Preludes op. 67 für Klavier kreisen um diese Ur-Tonfolge. Die Zeit Ende 19. – Anfang 20. Jahrhundert war auch die Epoche in der der Jazz Einzug in die ernste Musik hielt. Erwin Schulhoff, ein hochbegabter Komponist, den in der Nazizeit ein schreckliches Schicksal ereilte, manifestierte in seiner „Hot Sonate" die freie Improvisation in die feste Form der Notation.

Mit Professor Florian Trübsbach wurde ein Weltklasse Saxophonist für das Mitterfelser Kunstsymposium gewonnen, der die immensen Schwierigkeiten dieses Werkes geradezu „spielerisch", mit höchster Ausdruckskraft bewältigte.

„Beginn der musikalischen Moderne", was Professor Dr. Mauser, Professor Florian Trübsbach und Amelie Sandmann auf die Bühne brachten, war dem Titel eines „Kunstsymposiums" mehr als würdig!

Quelle: Theodor Auer, in: SR-Tagblatt vom 22. Juli 2014, Seite 16

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