Kunst, Literatur
Neues Landkreisbuch: "GÄU WALD FLUSS"
„Das Nahe kann auch exotisch sein“
Barbara Michals Buch weckt Neugierde auf den Landkreis im Umbruch der Moderne
Nah aneinander gepresst lugen drei Buben in kurzen Hosen und Hosenträgern um die Ecke eines hölzernen Türrahmens. Was sie wohl auskundschaften? Das verrät die Schwarzweiß-Fotografie, aufgenommen 1954 in Wolferszell von Bruno Mooser, nicht. Erst der Bildtitel löst das Rätsel: „Eine Kuh wird gedeckt“. Das Foto ist auf dem Titel des neuen Landkreis-Buches „Gäu Wald Fluss“.
Warum ausgerechnet dieses Bild? Das hat mit der „Zahl drei und der Neugierde“ der Burschen zu tun, erklärt die Autorin Barbara Michal. Die drei Buben sollen für die drei landwirtschaftlich geprägten Altlandkreise Straubing, Bogen und Mallersdorf stehen, die vor 40 Jahren zum Landkreis Straubing-Bogen zusammengeschlossen wurden. Und ihr neugieriger Blick? Der soll die Leser auf die eigene Geschichte ihrer Region neugierig machen. Denn genau die will das neue Landkreis-Buch mit dem vollen Titel „Gäu Wald Fluss. Geschichte(n) aus dem Landkreis Straubing-Bogen seit 1800“ wecken. Dass es jede Menge zu entdecken gibt, davon ist die Buchautorin und Leiterin des Kreismuseums Bogenberg überzeugt. Denn das Spannende muss nicht immer Tausende Kilometer entfernt sein: „Das Nahe kann auch exotisch sein.“
Vor 40 Jahren wurde der Landkreis Straubing-Bogen gegründet. Vor 28 Jahren veröffentlichte Michael Wellenhofer das letzte Buch über den Kreis unter dem Titel „Der neue Landkreis Straubing-Bogen stellt sich vor“. Es wird Zeit für ein neues Buch. Im Auftrag des Landkreises und unter Koordination von Barbara Michal wollen neun einschlägige Autoren der Region wie Mundartdichter und Schriftsteller Josef Fendl, Stadtarchivarin Dr. Dorit-Maria Krenn, Kreisheimatpfleger Hans Neueder oder auch Kreisarchäologe Dr. Ludwig Husty in sechs Themenbereichen wie Landschaften, Verkehr, Arbeit und Lebensstile oder Freizeit die Geschichte des Landkreises seit 1800 neu erzählen. Wie lebten die Menschen hier früher, was hat sich verändert, wohin wird der Weg künftig gehen?
Damit unterscheidet sich das neue Buch sehr deutlich vom alten aus dem Jahr J984, das den Landkreis bis ins Mittelalter beleuchtete. Im Mittelpunkt steht die Moderne und die Zeit des Umbruchs. Einschnitte wie Industrialisierung, Säkularisierung, Aufbau der Infrastruktur bis hin zur momentanen Energiewende sind in dem „Bilder-und Lesebuch“, wie es Michal beschreibt, aufgenommen. Lebendig gemacht an Einzelbeispielen und Biografien.
Foto rechts: Endlich fertig: Autorin Barbara Michal hält ihr neues Buch über den Landkreis Straubing-Bogen in Händen.
Was macht den Landkreis so exotisch?
Was macht den Landkreis Straubing-Bogen nun so „exotisch“? Meist sehen die Einheimischen das Besondere an ihrer Gegend nicht mehr, weil sie dort groß geworden sind und es zum Alltag gehört. Anders Michal. Sie wurde in Oberbayern geboren. Als „Zuagroaste“ sieht sie den Landkreis in einem ganz anderen Licht: Das Exotische ist für sie die Vielfalt. Der Landkreis hat alles zu bieten: „Zum Skifahren fahre ich nach Englmar, zum Baden zum Friedenhainsee und den Spargel mag ich aus dem Gäuboden.“
Die drei unterschiedlichen Regionen - Gäuboden, Wald und Labertal - hat die Gebietsreform 1972 zum Landkreis Straubing-Bogen zusammengeschlossen. Heute ist die Vielfalt positiv, früher spalteten die unterschiedlichen Lebensbedingungen, Mentalitäten und der Fortschritt eher: Der Wald, der lange als der „wilde Wald“ galt und weniger fortschrittlich war, der Gäuboden mit seiner Donau, und das kleine Labertal mit seinem früheren Eisenbahnknotenpunkt Geiselhöring und dem Kloster in Mallersdorf. Eine gemeinsame „Wurzel“ haben Gäu, Wald und Fluss aber doch: die Landwirtschaft. Von ihr war die Region lange Zeit abhängig. Das Titelbild passt also auch thematisch.
Insgesamt fast 700 Bilder - neue von Fotografin Susanne Fesl und historische unter anderem aus dem Nachlass von Bruno Mooser - illustrieren das Buch. Landrat Xaver Hafner zum Beispiel, der auf einem Traktor sitzt mit einem Pflegekind im Jahr 1964. Der erste Motorpostbus Niederbayerns in Stallwang. Oder Wallfahrer, darunter ein kleiner schlafender Junge, in der Eisenbahn auf der damaligen Strecke von Mitterfels nach Bogen, 1957.
Foto links: Wallfahrer in der Eisenbahn von Mitterfels nach Bogen (Bruno Mooser, 1957)
Über 200 Jahre und inzwischen 37 Gemeinden in ein Buch zu bringen, das war die große Herausforderung. Denn es sollte ausgewogen sein, was Themen und Orte betrifft.
Zwiebeltürme von Haindling mit davorliegendem Feld, Thema "Die Kirche im Dorf" (Bruno Mooser)
Jeder Ort findet sich in dem Buch wieder
Jeder Ort im Landkreis komme in dem Buch vor, sagt Michal. „Der eine mehr, der andere weniger.“ Manche Orte sind bereits fundiert untersucht worden. Wie etwa Bogen, Mallersdorf oder Steinach. Bei anderen dagegen taten sich während der Recherche wahre Schätze auf: in Loitzendorf zum Beispiel. Dort gibt es Aufzeichnungen mit Zeichnungen und Fotos von Pfarrer Holzgartner. Von 1924 bis 1934 dokumentierte der Geistliche alles. Sogar, wann der Fußball in der Gemeinde Einzug hielt. Das war 1932.
Einzug hielten vielerorts im Landkreis auch früh Touristen. Die ersten Reiseführer für eine Donaureise und den Wald erschienen 1846/47. Touristen kamen, Einstellungen änderten sich: So sei man in Sankt Englmar vor 1945 nicht spazieren gegangen, berichtet Michal. Einfach in der Gegend herumzulaufen gehörte sich nicht. Erst durch Flüchtlinge und Touristen etablierte sich das Spazierengehen. In Falkenfels wurde 1953 sogar gemeindlich geregelt, wie mit Touristen umzugehen sei, wie ein historischer Auszug in Michals Buch belegt. Die Falkenfelser sollten zum Beispiel alles dafür tun, dass die Fremden wieder in den Ort kämen, auch „wenn man den Mann, weil er vielleicht aus Preußen sein könnte, nicht riechen kann“.
Mitterfelser Motive ("Sommerfrische Mitterfels") zum Thema Fremdenverkehr
Bahnbau von Bogen nach Mitterfels und Eisenbahnromantik (Bahnhof Mitterfels)
Flucht, Vertreibung, Integration in der neuen Heimat (Lisa Lex, Mitterfels - Erstveröffentlichung im Mitterfelser Magazin 17/2011)
Quelle: Rosemarie Vielreicher, in: Beilage des SR-Tagblatts „40 Jahre Landkreis-Bogen“, Seite 6
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