Kunst, Literatur
Kapfelberger Altargemälde: Modernste Computertechnik führte zu neuen Erkenntnissen
Eine seltene Darstellung aus dem Marienleben zeigt das Altarblatt in der Kapfelberger Nebenkirche Sankt Stephanus und Sankt Ursula. (Foto: Hans Agsteiner)
Das Altargemälde hat ein Vorbild in Venedig: Nicht Ursula, sondern Maria ist dargestellt
Das Kapfelberger Kirchlein Sankt Stephanus und Sankt Ursula oberhalb Wolferszell zählt zu den kirchlichen und kunsthistorischen Kostbarkeiten der Pfarrei und Gemeinde Steinach. Wohl an der Stelle einer mittelalterlichen Burganlage erbaut, die zur Sicherung der wichtigen Heeres- und Handelsstraße diente, grüßt sie den Reisenden von oben bei der Einfahrt in den Bayerischen Wald. Entstanden in der späten Gotik hat sie im Laufe der Jahrhunderte vielerlei Veränderungen erfahren. Patronin der schmucken Kirche war ursprünglich die heilige Ursula (ein freigelegter spätgotischer Freskenzyklus aus ihrem Leben erinnert in der Kirche daran), doch dann fand eine Umwandlung des Patroziniums statt. Sankt Stephanus wurde nun der erste Patron und die heilige Ursula muss sich mit dem zweiten Patronat begnügen.
In Straubing gekauft
Bei der Regotisierung der Straubinger Stadtpfarrkirche Sankt Jakob und Sankt Tiburtius Mitte des 19. Jahrhunderts ist dort ein Seitenaltar entbehrlich geworden und man hat ihn nach Steinach für die Kapfelberger Nebenkirche verkauft, wo er im Rahmen der groß angelegten Renovierungs- und Erweiterungsarbeiten 1848/49 aufgestellt wurde. Der Eintrag in der Kirchenrechnung zu den Renovierungskosten lautet: „Herrn Stadtpfarrer Burgmaier in Straubing für einen Altar 50 Gulden“. Wohl wegen der Größe des Altars musste die Kapfelberger Nebenkirche im Rahmen der Umbauarbeiten etwas aufgestockt werden. Karl Gröber bezeichnet diesen Altar in den „Kunstdenkmälern von Bayern, Bezirksamt Straubing“ auf Seite 77 als „einfache Arbeit des frühen 18. Jahrhunderts“ und weist darauf hin, dass sich vor dem „modernen Altarbild“ eine Rokokofigur der Immaculata (um 1750) befindet.
Bild nicht „modern“
Den Ausführungen Gröbers zum „modernen Altarbild“, auf dessen Motiv und Kunstrichtung er jedoch nicht eingeht, kann nicht zugestimmt werden. Schon bei oberflächlicher Betrachtung erkennt man, dass es sich – im Gegensatz zur Auffassung von Gröber – nicht um ein „modernes“ Altarbild handelt. Es ist nach den stilistischen Merkmalen vielmehr der Stilepoche des Rokoko um 1750 zuzuweisen. Der ehemalige Steinacher Pfarrer Gerhard Mass hat in seinem hervorragend gestalteten Wandkalender 1996 für die Katholische Pfarrgemeinde Steinach, Sankt Michael, das Altarblatt des Kapfelberger Hochaltars abgebildet und kurz beschrieben (Monat Februar). Im Text führt er aus: „Nebenkirche Kapfelberg: Altarbild mit der hl. Ursula (2. Patronin der Kirche)“.
Das Vorbild für das Altarbild in Kapfelberg, Wolferszell, war das Altargemälde des Künstlers Luca Giordano in der Kirche Santa Maria della Salute in Venedig. (Bildnachweis: Wikimedia Commons, lizenziert unter CreativeCommons-Lizenz Attribution 3.0 Unported (https://creative- commons.org/licenses/by/3.0/deed.en) licence.) (Foto: Sailko)
Angebliche Ursula ist Maria
Die Themenzuweisung von Pfarrer Mass ist ebenfalls nicht zutreffend. Die heilige Ursula wird in der Kunstgeschichte in der Regel nicht als Kind, sondern als erwachsene Königstochter dargestellt, meist als Märtyrerin mit einem Pfeil, mit welchem sie der Hunnenkönig hinrichten ließ, weil sie nicht seine Frau werden wollte. Der Verfasser war zunächst der Meinung, dass es sich beim Kapfelberger Altarbild um den „Jesusknaben unter den Schriftgelehren im Tempel von Jerusalem“ handelt. Doch auch diese Meinung kann nicht aufrecht erhalten werden. Der Aufmerksamkeit des Steinacher Gemeinderats und Computer-Experten Martin Haberl ist es zu verdanken, dass das Bildthema und sein Vorbild eindeutig geklärt werden konnten. Die Recherchen von Martin Haberl haben ergeben, dass es sich bei dem Gemälde um eine seltene Darstellung aus dem Marienleben handelt, für welche mehrere Bezeichnungen verwendet werden: „Mariä Tempelgang“, „Mariä Opferung“, „Maria – Unsere liebe Frau in Jerusalem“, orthodox „Einführung der Gottesgebärerin in den Tempel“, armenisch „Darstellung im Tempel“. Eine Rücksprache von Martin Haberl mit einem Theologie-Professor und Kunstexperten aus Rom vor einigen Jahren hat eine neue Ausgangslage geschaffen. Der Professor verwies auf die Kleidungsfarbe „blau“ (sie steht für Maria) und einen „Blumenkranz“ (Rosen), welche Engel über das Kind in der Bildmitte halten (Rosen stehen in der Kunstgeschichte ebenfalls für Maria). Die in der rechten Altarhälfte positionierten Eltern werden von dem Professor als die Eltern von Maria gedeutet: Joachim und Anna. Vorbild für das Kapfelberger Altarbild ist das Altargemälde von Luca Giordano in der Kirche Santa Maria della Salute in Venedig. Eine endgültige Klarstellung haben die Recherchen von Martin Haberl mit dem Computer im Internet mit Hilfe eines Spezial-Suchprogramms ergeben. Danach befindet sich in der Kirche Santa Maria della Salute in Venedig in einer Seitenkapelle ein Altargemälde, das in Ausehen und Konzeption mit dem Motiv des Kapfelberger Bildes nahezu identisch ist.
„Mariä Tempelgang“
Das venezianische Altargemälde ist Bestandteil eines Marienzyklus‘ und wird als „Mariä Tempelgang“ bezeichnet. Dieses Altargemälde war mit hoher Wahrscheinlichkeit das Vorbild für das Kapfelberger Gemälde. Der weithin sichtbare venezianische Kirchenbau aus dem 17. Jahrhundert mit seinen beiden Kuppeln wurde nach dem Ende der Pestepidemie von 1630 zu Ehren Mariens errichtet; es entstand die bedeutendste barocke Kirche Venedigs. Der italienische Künstler Luca Giordano (geb. 1634 in Neapel, gest. 1705 ebenda), genannt Fa Presto, war ein italienischer Maler und Radierer. Seines Vaters beständiger Zuruf: „Luca, fa presto!“ (Luca mach schnell) soll ihm diesen Beinamen verschafft haben (nach Wikipedia). Die drei Außenkapellen an der Westseite der Kirche Santa Maria della Salute in Venedig bergen Werke von Luca Giordano. Es sind Altargemälde mit Marienthemen: „Darbringung im Tempel“ (1674), Mariä Himmelfahrt (1667) und Geburt Mariens (1674).
Fast 1:1 übernommen
Von besonderem Interesse für das Altargemälde in der Kapfelberger Kirche ist das Altargemälde „Darbringung (Mariens) im Tempel“. Der Kapfelberger Künstler hat dieses venezianische Gemälde mit Sicherheit gekannt, sich von ihm inspirieren lassen und den Mittelteil beinahe 1:1 übernommen. Martin Haberl hat aus diesem Grund eine Anfrage an die Pinacoteca Manfrediniana „Seminara Artis“ associazione culturale nach Venedig gestartet, die erfolgreich von dort beantwortet wurde. Der Vergleich der beiden Altargemälde (Kapfelberg und Venedig) durch Dr. Silvia Marchiori hat eine große Übereinstimmung ergeben, sodass die Kunsthistorikerin zu dem Schluss kam: „Certanly the artist that paint your altarpiece took his inspiration from this work“ (zu deutsch: Sicherlich wurde der Künstler Ihres Altarstücks inspiriert von diesem Werk (des Altars von Luca Giordano in Venedig, Anm.d.Verf.).) Der Verfasser kommt bei einer vergleichenden Betrachtung zu demselben Ergebnis. Die Ähnlichkeit, vor allem in der Mitte und im unteren Bereich des venezianischen Altargemäldes zum Altargemälde auf dem Kapfelberg ist auch wirklich frappierend: Das dreijährige Kind Maria kniet in derselben Art und Weise wie in Kapfelberg auf einer Treppenstufe und ihre Eltern empfehlen sie mit derselben Gestik dem Hohenpriester. Marias Kleid ist blau wie in Kapfelberg und die Frauengruppe links im Vordergrund ähnelt der Frauengruppe in Kapfelberg.
Der Himmel fehlt
Sogar der abgelegte Umhang in ihrer Hand hat wie in Kapfelberg die Farbe rot. Wegen dieser gleichen Farbgestaltung ist davon auszugehen, dass der Kapfelberger Künstler die Vorlage in Venedig persönlich gesehen und nicht nur einem Musterbuch mit Kupferstichen entnommen hat. Den oberen Bildteil mit Teilen des Tempels und den Blick in den Himmel hat der Kapfelberger Künstler jedoch aus Platzgründen nicht übernommen. Die Themenzuweisung des venezianischen Altargemäldes als „The presentation of the Blessed Virgin Mary“ (möglicherweise durch eine Rechnung oder historischen Schriftverkehr begründet, da sogar das Jahr 1674 als Zeitpunkt der Entstehung bekannt ist) ist eindeutig, auch deshalb, weil es zu einem dreiteiligen Marienzyklus gehört. Wer war nun der Straubinger/Kapfelberger Künstler, der das venezianische Gemälde zu seinem Vorbild machte? Diese Frage bedarf noch einer Klärung durch die Kunsthistoriker. Archivalische Arbeit im Pfarrarchiv von Straubing Sankt Jakob, für dessen Pfarrkirche der Altar ursprünglich geschaffen wurde, könnte bei der Feststellung des Künstlers hilfreich sein.
Quelle: Hans Agsteiner/BOG Zeitung vom 8. August 2017 (Zeitversetzte Übernahme aufgrund einer Sperrfrist)
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