Kunst, Literatur
Auf der Suche nach ungewöhnlichen Menschen in Europa
Der Don Quijote vom Waldviertel
(Mit einem Link zur BR-Mediathek)
Viechtach. Die Fotografen Johannes Haslinger und Herbert Pöhnl sowie Schriftsteller Bernhard Setzwein porträtieren Menschen unserer und der benachbarten Regionen, die das überall im Munde geführte „Europa ohne Grenzen“ durch ihr Tun mit Leben erfüllen. „Einen Moment bitte“ heißt nicht nur der an ihre Gesprächspartner gerichtete Wunsch, sondern auch das gemeinsame Projekt, das zu einem Buch, zu Ausstellungen und entsprechenden Präsentationen führen wird. Vorgestellt wird das Ganze im BR-Fernsehen am 11. Juli im Kulturmagazin „Capriccio“. Für den Viechtacher Anzeiger hat Bernhard Setzwein einen Bericht ihrer letzten Reise nach Slavonice und Fratres geschrieben, bebildert mit Fotos von Johannes Haslinger und Herbert Pöhnl.
Plötzlich steht sie da, die Frage, der wir seit Monaten nachgehen. Ganz im Norden des Waldviertels, in großen Lettern, mitten in der Landschaft: „Wohin verschwinden die Grenzen?“ Die Installation der beiden Künstler Iris Andraschek und Hubert Lobnig ist nur eine von vielen Aktivitäten, die diesen abgelegenen Flecken an der österreichisch-tschechischen Grenze zu etwas Besonderem machen.
Kulturbrücke „Fratres“ an der Grenze
Hier hat sich die „Kulturbrücke Fratres“ etabliert. Sie schlägt die sprichwörtliche Brücke nicht nur zwischen dem Weiler Fratres und dem auf der anderen Seite der Grenze gelegenen Städtchen Slavonice, sondern zwischen Menschen auch noch anderer Nationalitäten, die es seit 20 Jahren hierher zieht, zu Tagungen, Symposien, Künstlerbegegnungen.
Peter Coreth hat in seinem Gutshof ein Museum eingerichtet, im Sommer finden dort auch Kulturtage statt. (Fotos: Haslinger/Pöhnl)
Treffpunkt ist dann meist der Gutshof von Peter Coreth. Kurz nach der Wende verschlug es den hageren Mann mit der Don-Quijote-Gestalt hierher an den äußersten Rand Österreichs. Er suchte nach einer Heimstatt für seine in der ganzen Welt zusammengetragene Sammlung ritueller Kult- und Kunstgegenstände und stieß dabei auf den 600 Jahre alten Vierseithof. Sein Neffe, Spezialist für Altbau-Sanierung, meinte nach einer ersten Besichtigung lapidar: „Du bist finanziell ruiniert, und weißt es nur noch nicht.“
Dank ungeheurer Anstrengungen kam es dann doch anders: Heute beherbergt der Gutshof in Fratres nicht nur das ständig zu besichtigende „Museum Humanum“, sondern im Sommerhalbjahr finden dort auch mehrmals Kulturtage statt.
Im Winter ist es im Gutshof mit seinen meterdicken Mauern zu kalt. Dann gibt es keine Veranstaltungen. Was aber nicht heißt, dass Peter Coreth nicht trotzdem hier lebt, eingepackt in Handschuhe und Schal. Der Mann, der nicht einmal Auto und Führerschein besitzt, hat sein Herz verloren an diese Gegend. Vor allem an das reizende Städtchen Slavonice drüberhalb der Grenze. Beinahe jeden Tag geht er zu Fuß dorthin. Man trifft ihn dann im Künstlercafé „Besidka“. Noch vor der Wende ließ sich hier eine Gruppe Oppositioneller aus Prag nieder, die Leute vom „Sklep“-Theater.
Man muss wissen: Slavonice, früher Zlabings, war eine rein deutsch besiedelte Stadt. Die Bevölkerung wurde vollständig vertrieben, viele Häuser blieben leerstehend. Nichts veränderte sich in Slavonice, mit dem Effekt, dass man heute rund um den Hauptplatz mit den zahlreichen Sgraffito-Häusern den alten Baustil in imposanter Geschlossenheit vorfindet.
Jana Zoglauer-Vinsova lud die drei Gäste aus dem Bayerischen Wald in ihre Privatwohnung ein. - Auf der Suche nach ungewöhnlichen Menschen machten die drei auch auf einem Vietnamesenmarkt halt.
Slavonice: Eine bekannte Künstlerkolonie
Das scheint auch die Prager „Sklep“-Leute fasziniert zu haben, als sie sich hier Ende der 80er-Jahre niederließen. Ihnen folgten mehr und mehr Künstler. Heute ist Slavonice eine bekannte Künstlerkolonie mit vielen Ateliers und Werkstätten.
Das erzählt Jana Zoglauer-Vinsova, die mit uns eine ausführliche Stadtführung macht, die zuletzt in ihrer eigenen Privatwohnung endet. Auch sie ist in einem uralten Haus gelegen und wartet mit einer gotischen Holzbalkendecke auf, die in diesem Erhaltungszustand nördlich der Alpen eine absolute Rarität darstellt.
„Nicht nur billig einkaufen, sondern Kultur entdecken“
Jana Zoglauer-Vinsova lebt mittlerweile die meiste Zeit nahe Innsbruck, wie viele heutige Slavonicer hat sie hier nur mehr einen Zweitwohnsitz. Aber sie engagiert sich sehr, etwa durch ihre Mitarbeit bei der Kulturbrücke Fratres. Und an all die Österreicher und Deutschen, die noch nie etwas von ihrer Heimatstadt gehört haben, hat sie nur einen Wunsch: Dass sie endlich begreifen mögen, dass es hier nicht nur billiges Einkaufen gibt, sondern einen einzigartigen Kulturreichtum zu entdecken.
Info
Mehr Informationen zum Projekt „Einen Moment bitte“ gibt es im Internet unter www.einen-moment-bitte.eu.
>>> Link zur BR-Mediathek mit einem Video über das Projekt ["Einen Moment bitte. Oder zwei." Bilder aus der bayerischen Grenzregion]
Quelle: Bernd Setzwein, in: Bogener Zeitung vom 2. Juni 2015 (verspätete Übernahme des Beitrags aufgrund einer 14-tägigen Sperrfrist)
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