Süddeutsche Zeitung: Mundart als Anlass für Diskriminierung

Der Augsburger Sprachwissenschaftler Werner König fordert ein Gesetz, das verbietet, Kinder wegen ihrer Aussprache zu kritisieren. Auch das gebräuchliche Hochdeutsch sei ein Dialekt.

 

Augsburg - Vor einigen Wochen war der Steuerberater Markus Zwicklbauer aus Fürstenzell (Landkreis Passau) zu Gast bei der ARD-Talkshow "Hart, aber fair". In der Diskussion trug er seine Argumente nicht im Dialekt vor, aber in einem Deutsch mit bayerischer Färbung. Sein dunkles a und sein rollendes r überforderten freilich die Toleranzbereitschaft des Moderators Frank Plasberg. Er attestierte Zwicklbauer zwar "einen reizenden Dialekt", ermahnte ihn aber, er solle Hochdeutsch sprechen, damit die Zuschauer ihn verstünden.

 

Im Deutschen Fernsehen gehört es längst zum guten Ton, süddeutschen Sprachklang als exotisch und unverständlich abzuwerten. Diese Neigung setzte in den 80er Jahren ein, als Redebeiträge bayerischer Wintersportier im ZDF plötzlich mit dem Hinweis "Originalton Süd" untertitelt wurden. Bis dahin war die Sprache kein Problem gewesen. Sogar ein Bergfex wie Luis Trenker durfte das ARD-Publikum mit ausgeprägtem südtirolerischen Akzent unterhalten. Heute würde so etwas wohl nicht mehr gesendet werden.

Selbst ein anerkannter Gutmensch wie Rupert Neudeck, Gründer des deutschen Not-Ärzte-Komitees Cap Anamur, ließ sich im ZDF-Nachtstudio einmal zu einer rotzigen Bemerkung gegenüber der Kabarettistin Martina Schwarzmann hinreißen, weil ihm ihr korrektes, aber vom Dialekt gesprenkeltes Deutsch nicht gefiel. Kein Wunder, dass das Straubinger Tagblatt nach der Plasberg-Sendung resümierte: "Eine südliche Färbung reicht aus, um im Deutschen Fernsehen als Vollexot vorgeführt zu werden." Man könnte auch sagen: als Volldepp, der kein Deutsch kann.

Der Augsburger Sprachwissenschaftler Werner König hat sich zuletzt in mehreren bemerkenswerten Aufsätzen mit der deutschen Sprachentwicklung auseinandergesetzt. Er kommt darin zu dem Schluss, dass Moderatoren und Kabarettisten, die Schwaben, Bayern und Sachsen wegen ihrer sprachlichen Eigenarten gezielt vorführen, eine neue Form der Diskriminierung ausüben. König ist ein anerkannter Experte und Herausgeber des in mehreren hunderttausend Exemplaren aufgelegten "dtv Atlas Deutsche Sprache". Er listet bei Bedarf eine ganze Litanei von Vorfällen auf, die seiner Meinung nach als diskriminierend zu werten sind. König nennt beispielhaft einen Macher beim deutschen Akademischen Auslandsdienst, der sich bei einer Podiumsdiskussion damit brüstete, einen Bewerber für ein Lektorat wegen dessen 


 "Eine südliche Färbung reicht aus, um im Fernsehen als Vollexot vorgeführt zu werden."


 

bairischen Akzents ausgesondert zu haben. Bei einem Berufungsverfahren für einen germanistischen Lehrstuhl in Bayern fiel laut König zu einer Bewerbung mit bairischem Akzent der Satz: "Die Frau kann ja nicht mal richtig Hochdeutsch!" - und das nur deswegen, weil sie den a-Laut dunkler aussprach als die anderen Kandidaten. Wenn aber in vergleichbaren Kontexten Bewerber Fund statt Pfund, lecht statt legt, Tach statt Tag sagen, wird ihr Deutsch in der Regel als korrekt empfunden. "Das strahlt Kompetenz aus", sagt König, denn in der öffentlichen Meinung gilt, dass ein reines Deutsch nur in Norddeutschland gesprochen wird. Erst kürzlich hat eine Umfrage in Wuppertal, ob die Süddeutschen auch Hochdeutsch sprechen, ein deutliches Ergebnis erbracht: Nein, die können es nicht! "Dieses Vorurteil steckt tief drin in den Genen", hat König festgestellt.

Auffallend ist diesbezüglich, dass diese sprachliche Normierung in einem starken Kontrast zur sonstigen Entwicklung des Landes steht. Die Süddeutschen, wundert sich König, hegen den Anspruch, die besten Wirtschaftsdaten, die wenigsten Schulden, die besten Schulen und Eliteuniversitäten zu besitzen, aber Deutsch können angeblich nur die anderen. Diesbezüglich werde der Süden von einem tiefen Minderwertigkeitsgefühl geplagt. Dabei war im 19. Jahrhundert selbst die Aussprache der gebildetsten Menschen stark von der Mundart geprägt. Sogar Münchner Professoren sagten da noch ganz selbstverständlich Huat (Hut), guat (gut) und miad (müde), Ausspracheformen, die seit tausend Jahren üblich waren. Heute stellen norddeutsche Varietäten auch in Süddeutschland die Norm dar, in den Kindergärten und Schulen herrscht deshalb ein großer Anpassungsdruck. "Mir wäre am liebsten ein Gesetz wie in Norwegen, das verbietet, Kinder wegen ihrer Aussprache zu kritisieren", sagt König. Die Gesellschaft habe inzwischen ein Bewusstsein dafür entwi-


Der Werbeslogan "Wir können alles. Außer Hochdeutsch" hat auch Schaden angerichtet.


 

ckelt, dass man Menschen nicht wegen ihres Geschlechts oder ihrer Hautfarbe benachteiligen darf, es gebe aber keine Diskussion darüber, dass in Deutschland andauernd Menschen wegen ihrer Sprache diskriminiert werden. König verweist dabei auf das Grundgesetz (Artikel 3), wonach niemand "wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft benachteiligt oder bevorzugt werden darf".

Was aber ist dann echtes Deutsch? "Ich weigere mich, das zu definieren, weil alle Varietäten gleichwertig sind", antwortet König. Auch das heute gebräuchliche Hochdeutsch sei ein Dialekt, der in Süddeutschland erfunden, von Luther übernommen und popularisiert und dann in Norddeutschland über die Theatersprache und den Duden zur Norm erhoben worden sei.

Kritisch beurteilt König deshalb die Werbekampagne des Landes Baden -Württemberg, die damit kokettiert: "Wir können alles. Außer Hochdeutsch." Es ist einer der meistprämierten Slogans, den die deutsche Werbewirtschaft hervorgebracht hat. "Er hat aber großen Schaden angerichtet", sagt König. Man verleugne damit seine Sprache und Identität, "im Land von Schiller und Hölderlin kann man sehr wohl Hochdeutsch. Und da Schwäbisch nach allgemeiner Erkenntnis ein hochdeutscher Dialekt ist, ist der Satz schlicht und einfach falsch." Richtig hieße er laut König: "Wir können alles. Außer Norddeutsch!"


Quelle: Hans Kratzer, in: Süddeutsche Zeitung vom 29./30. Dezember 2012, Seite 41

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