Stirbt der Dialekt?

„Ehrenamtliche Vereinsarbeit kann manchmal demotivierend sein. Da hält man in Kindergärten Vorträge über Dialekte als beste Grundlage für die Mehrsprachigkeit, freut sich, wenn man viele Akademiker unter den Eltern überzeugen kann - und dann ignoriert ein Professor wieder einmal bayernweit die Dialekt-Tragödie." Zitat von Sepp Obermeier, Bund Bairische Sprache

Zum Thema:

  • „Yorkshire contra Bavarian Forest", Hans Kratzer, Süddeutsche Zeitung vom 11. Juli 2013
  • „Galoppierende Schwindsucht", Leserbrief von Sepp Obermeier, Süddeutsche Zeitung vom 11. Juli 2013

dr. rowley sepp obermeier2

Anthony Rowley, Leiter des Bayerischen Wörterbuches (links - Quelle: Dr_Kiepsch bei wikimedia CC-BY-SA 3.0)) und Sepp Obermeier, Vorsitzender des Bundes Bairische Sprache und Erfinder des Sprachpreises "Bairische Sprachwurzel" (Foto: ft)

 

Yorkshire contra Bavarian Forest
VON HANS KRATZER


Der Bierschaum ist im südlichen Bayern als Foam geläufig, nicht anders als im Englischen. Den Bayern ist ein natürlicher Hang zum Britischen zu eigen, was nicht zuletzt die Mantschästerhosn (Manchester-Cordhose) untermauert. Auch der Bulldog, das urbayerischste aller Kraftfahrzeuge, trägt einen englischen Namen, ausgehend von einem alten Lanz-Modell aus den 20er Jahren. Die Krönung der sprachlichen Parität aber bilden die originellen ou-Laute, auch wenn die Vokalverdumpfung auf der Insel eine vornehmere Akzeptanz genießt als in der deutschen Sprachlandschaft .
Die Herren Anthony Rowley und Sepp Obenneier müssten also angesichts der sprachlichen Nähe ihrer Mutterländer im besten Einvernehmen stehen. Doch stattdessen kreuzen die beiden Großritter des Dialekts die Klingen. Der aus Yorkshire stammende Rowley bewahrt als Leiter des Bayerischen Wörterbuchs, das in ungefähr 60 Jahren, also zu Rowleys 110. Geburtstag, fertiggestellt sein soll, den alten Sprachkosmos. Der Bayerwäldler Obermeier kämpft als Chef des Bundes Bairische Sprache für die Zukunft der Mundart, die nicht einmal dadurch gesichert scheint, dass Obermeier sogar dem Papst Benedikt einen Dialektpreis verliehen hat. Der Streit gründet darin, dass Rowley ein Überleben des Bairischen für möglich hält, während Obermeier dessen Untergang an die Wand malt, auch weil niemand etwas dagegen unternehme, am allerwenigsten der Staat und die Schulbürokratie.
Immerhin hat Obermeier mit einigen Kindergartenprojekten belegen können, dass Migrantenkinder über die Sozialisation mit dem bairischen Dialekt schnell zum Spracherwerb und zur Integration finden, was ja auch irgendwie mit Rowleys Optimismus harmoniert.
Immerhin schafften es die Streithähne, das Thema wieder einmal in die Schlagzeilen zu hieven - in einer Zeit, in der sich die Sprachlandschaft in Bayern dialektfern einnivelliert. Viele denken halt mittlerweile so wie der User Torsten, der im Internetforum der Passauer Neuen Presse zur Rowley-Obermeier-Debatte in einem grammatikalischen Freistilbeitrag am Ende folgendes Urteil zum Besten gab: "Wem (sic!) interessiert so ein Blödsinn wie der Dialekt!"

 

Leserbrief in der Süddeutschen Zeitung vom 11. Juli 2013
Galoppierende Schwindsucht


Professor Anthony Rowley fühlt sich seit Jahren berufen, äußerst günstige Zukunftsprognosen über das Fortbestehen der bairischen Dialekte abzugeben. Als Redaktionsleiter an der Akademie der Bayerischen Wissenschaften erstellt er mit drei weiteren Redaktoren/innen aus dem fränkischen und schwäbischen Sprachraum für das altbayerische Erhebungsgebiet das Schmeller-Nachfolgeprojekt "Bayerisches Wörterbuch" inmitten von Myriaden an Zettelkästen und mit Hilfe von 500 Gewährspersonen im Alter zwischen 65 und 100 Jahren. Als Sprachwissenschaftler fordert er jedoch nicht wie wir vom "Bund Bairische Sprache" endlich wissenschaftliche Erhebungen über die DiaIektkompetenz der Kinder im vorschulichen Bereich, die als Grundlage für eine aussagekräftige Prognose dem Stochern im dialektalen Zukunftsnebel ein Ende bereiten könnten.
Er dient vielmehr den Nachrichtenagenturen sein vages Gefühl an, dass der Dialekt nicht stirbt, und begründet das neuerdings nicht mehr mit dem abstrakten Klischee-Kriterium „Stolz der Bayern", sondern mit der Variante „Mythos Heimat" - ein wissenschaftliches Armutszeugnis!
Seit nunmehr zehn Jahren stellen wir bei unseren Vortragsveranstaltungen in Kindergärten eine galoppierende Schwindsucht des Bairischen fest. In diesem Zusammenhang sind Prognosen eines renommierten Sprachwissenschaftlers, die jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehren, in ihren Auswirkungen geradezu fatal und verantwortungslos, weil sie dialektsprechende Eltern bei der Weitergabe der Muttersprache an ihren Nachwuchs in falscher Sicherheit wiegen, während ein tausend Jahre altes Kulturgut unwiederbringlich mit Stumpf und Stiel ausgerissen wird.
Mit den religiösen Bairisch-Flüchen, die angeblich so sehr aus der Seele kommen, lassen wir uns 2013 nicht mehr als gscherte SeppIn abstempeln.


Sepp Obermeier, Konzell

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