Deutsche Geschichte
„Guillotine der Geschwister Scholl“ in Straubing gesichtet? Ein Augenzeuge berichtet
Die Front des Bahnhofsgebäudes vor 1950 von den Gleisen her gesehen. Hier stand der Gepäckwagen mit dem schrecklichen Instrument, das von zwei Fremden gehütet wurde. Foto: Stadtarchiv Straubing, Fotosammlung Szablinski Nr. 203.
„Ein Schafott, das g'hört zum Köpfen"
Die Meldungen über das Auffinden eines historischen Hinrichtungsgeräts aus der NS-Zeit rauschten kürzlich durch den deutschen Blätterwald, ...
... wurden im Rundfunk verbreitet und ins Internet gestellt. Die Bayernchronik von Bayern 2, Süddeutsche.de, bild.de, der Tagesspiegel, die tz, die Abendzeitung, brachten mehr oder minder ausführliche Berichte, und weckten Neugier, ohne eine klare Vorstellung zu vermitteln. Häufig fehlte es an kritischer Differenzierung zwischen Vermutung, Wahrscheinlichkeit und Gewissheit. Das Straubinger Tagblatt hat seine Informationen von dpa bezogen und eine Trennung von Tatsache und Vermutung zuverlässig erkennen lassen: "Die Guillotine, mit der die Geschwister Scholl ermordet wurden, steht mit hoher Wahrscheinlichkeit ... mitten in der Münchner Innenstadt. "
Mutmaßung und Gewissheit
Der Bayerische Rundfunk hatte recherchiert, Vertreter des Bayerischen Nationalmuseums in München hatten Auskunft gegeben. Natürlich wollte der Forscher, möchte auch der Hörer und Leser wissen, ob die aufgefundene und abgebildete Tötungsmaschine eindeutig der Hinrichtung der Geschwister Scholl zugeordnet werden kann. Da sich eine sichere Zuordnung aufregender liest als eine Mutmaßung, und sei sie noch so wahrscheinlich, verkauften einige Redaktionen die unsichere Wahrscheinlichkeit als Gewissheit: "Guillotine für Geschwister Scholl wieder aufgetaucht ... " -"Überraschender Fund: Guillotine der Geschwister Scholl entdeckt" -"Auftauchen der Guillotine, mit der Hans und Sophie Scholl 1943 hingerichtet wurden".
Mit Gewissheit lässt sich offenbar nur behaupten, dass es mehrere bayerische Guillotinen in der NS-Zeit gab und dass das aufgetauchte Tötungsgerät in Stadelheim eingesetzt war und ein umgebautes Modell darstellt. Einige Zeitungen blieben bei dieser exakten Aussage und schenkten klaren Wein ein: "Das Fallbeil tötete wohl die Geschwister Scholl". Mit der Guillotine "sollen Todesurteile vollstreckt worden sein - unter anderem bei den Geschwistern Scholl".
Diese Tötungsmaschine steckte wahrscheinlich unter dem verhüllten Reisegepäck, das Josef Schmid am Bahnhof von Straubing gesehen hat.
Ein Schafott in Straubing gesichtet
Viele Zeitungsmeldungen erwähnten, dass das Tötungsinstrument "in den Wirren am Ende des Zweiten Weltkriegs ins niederbayerische Straubing gebracht" wurde. In einer anderen Version heißt es: "Nach Ende des Zweiten Weltkriegs." In der Tat ist hier ein Schafott gesichtet worden. Der Zeitzeuge Josef Schmid, Jahrgang 1929, damals Lehrling bei der Bahn in Straubing, hatte "gegen Ende des Krieges" beobachtet, wie aus einem Eisenbahnzug aus Neufahrn zwei Fremde in Zivil ausstiegen, nicht in den allgemeinen Wartesaal, sondern ins Pförtnerzimmer, dem Aufenthaltsraum der Bahnsteigschaffner, sich begaben. Ihr einziges "Reisegepäck", ein unförmiges Ding, in Leder oder Leinen verpackt, stand einsam draußen vor dem Dienstzimmer auf der Ladefläche eines Gepäckwagens, wie er zum Transport von Reisegut vom Eisenbahnwaggon zur Gepäckausgabe benützt wurde. Die fremden Männer behielten ihr verhülltes Transportgut scharf im Auge. Alle anderen Koffer oder Reisetaschen waren bereits in die Abteilung der Gepäckaufbewahrung gewandert. Neugierig geworden, fragte der 16-jährige Schmid, der zufällig am Pförtnerzimmer vorbeikam, was sich in dem geheimnisvollen großen Paket verberge. Es wurde ihm verwehrt, unter die Umhüllung zu schauen, doch die beiden rätselhaften Männer informierten den Frager unumwunden: "Das ist ein Schafott, das g'hört zum Köpfen!" Schmid erschrak, ging betroffen seines Weges. Nach einer halben oder ganzen Stunde wurden die beiden fremden Reisenden und ihr schauderbares, geheimnisvolles Objekt, - in Form und Größe ähnlich der abgebildeten Guillotine - von einem Lastwagen des Zuchthauses Straubing abgeholt (Interview mit Josef Schmid, 13. Januar 2014)
Viele Fragen, wenig sichere Antworten
Eine Anfrage beim Archiv der JVA Straubing ergab, dass keine schriftlichen Aufzeichnungen über den Vorgang vorlägen, eine mündliche Überlieferung von glaubhaften damaligen Beamten aber bezeugt, dass eine Guillotine 1945 von München nach Straubing transportiert worden sei. "Gegen Ende des Krieges (wurde hier) eine Hinrichtungsstätte eingerichtet, die jedoch nie ‚in Betrieb' ging". Beim Anrücken der amerikanischen Panzer wurde das Tötungsgerät in der Donau versenkt. Ein Weitertransport des Fallbeils nach Regensburg könne von hier aus nicht verifiziert werden. In der Donau versenkt oder nach Regensburg transportiert? Vor Ende oder nach Ende des Zweiten Weltkriegs in der US-Besatzungszeit? Vielleicht beides, falls es mehrfache Überstellungen von Guillotinen nach Straubing gegeben hat. Die tz vom 11. Januar 2014 bringt die Information: "Das Fallbeil, drei Holzblöcke, Schiebebretter und zwei Kästen mit Messern, Auffangsäcke und ein kleiner Sarg wurden nach dem Krieg nach Straubing und Regensburg gebracht."
Die zentrale Frage freilich ist, ob die kürzlich abgebildete, aufgefundene Guillotine echt und ein durch den letzten bayerischen Henker Johann Reichhart umgebautes und benütztes Modell ist. Wenn das bejaht werden kann, ergäbe sich eine Indizienkette, die zur Tötung der Geschwister Scholl führte.
Offensichtlich ist das Gerät zu Hinrichtungen benützt worden, denn es zeigt Abnutzungsspuren. Das 15 Kilo schwere Messer ist durch Blut und Reinigungsmittel angegriffen. Weiterhin ist es kein herkömmlicher Typ einer Guillotine mit Fesselungsvorrichtung und Kippbrett, sondern ein umgebautes Exemplar, das man mit Johann Reichhart in Verbindung bringen kann, der Umbauten an seiner Guillotine vornahm, um die Zeit des Köpfens möglichst kurz zu halten, dem Opfer längeres seelisches Leid zu ersparen. Der Delinquent wurde jetzt nicht mehr festgeschnallt und unters Messer gekippt, sondern mit Muskelkraft von Gehilfen auf der Bank festgehalten und schnellstmöglich unter das Fallbeil geschoben. Da die aufgefundene Guillotine ein solches Modell darstellt, das von Reichart stammen muss/kann, da es offenbar in Stadelheim benutzt wurde, und da Reichart nachweislich der Henker der Geschwister Scholl gewesen war, dürfte das aufgefundene, makabere Gerät mit großer Wahrscheinlichkeit "die Guillotine der Geschwister Scholl" sein.
Quelle: Helmut Erwert, in: SR-Tagblatt vom 18. Januar 2014, Seite 41
>>> Siehe auch Bericht von br-online [... hier]
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