Hartmannsweilerkopf in den Vogesen: Versöhnung statt Hass

Hartmannsweilerkopf1Hart­manns­wei­ler­kopf in den Vo­ge­sen: Franz Bern­kopf ar­beit­ete als Kriegs­ge­fan­ge­ner am Denk­mal mit.

Franz Bern­kopf ar­beit­ete als Kriegs­ge­fan­ge­ner am Denk­mal mit

 

Am 11. November trafen sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am Hartmannsweilerkopf im Elsass, um am „Berg des Todes“, wie der Hartmannsweilerkopf seit dem Ersten Weltkrieg genannt wird, ein Museum einzuweihen, das an die 30.000 Toten erinnern soll, die hier von 1914 bis 1916 ihr Leben lassen mussten. Es ist die erste deutsch-französische Gedenkstätte, die gemeinsam finanziert wurde.

Hartmannsweilerkopf3Verrostete Eisenteile und Laufgräben erinnern noch heute an den Stellungskrieg vor 100 Jahren; Blick vom Hartmannsweilerkopf in die Rheinebene.

Aus Deutschland kommt die Mehrheit der über 200.000 Menschen, die jährlich den „Todesberg“ besuchen, um die Krypta, den Soldatenfriedhof und die noch vorhandenen Schützengräben und Bunkerreste zu besichtigen. Im Jahre 1969 zählten mein Vater und ich ebenfalls zu den Besuchern des Denkmals am „Berg des Todes“. Der Grund dafür soll hier geschildert werden. Im August 1947 wurde mein Vater aus französischer Kriegsgefangenschaft in Colmar entlassen. Er konnte allerdings nicht in seine Heimat im Riesengebirge zurückkehren, sondern er fand seine Familie als vertriebene Sudetendeutsche auf einem Bauernhof in Gschwendt (Gemeinde Ascha) wieder, wo sie nach einem Aufenthalt im Flüchtlingslager Muckenwinkling eine Unterkunft gefunden hatten. Ihre Adresse hatte er durch einen glücklichen Zufall erhalten. Nachdem sich mein Vater nach einigen Wochen an das Leben in Freiheit gewohnt hatte, erzählte er manchmal aus der Zeit der Gefangenschaft. Für ein Kind mit neun Jahren hörten sich Vaters Erzählungen wie Geschichten aus einer anderen Welt an. Und es war ja auch eine andere Welt – die Welt der Gefangenschaft mit ihrem unsäglichen Leid, Hunger und Elend, die ein Kind nicht fassen konnte.

Brief an den Lebensretter kam das erste Mal zurück

Erst 22 Jahre später fand mein Vater zufällig in alten Aufzeichnungen die Anschrift seines damaligen Kommandoführers im Gefangenenlager Colmar. Er schrieb ihm einen Brief und dankte ihm, dass er den Kriegsgefangenen Franz Bernkopf vor dem Hungertod gerettet habe. Bei einem Morgenappell hatte Kommandoführer Arrus gefragt, wer mit der Sense Gras mähen könne. Mein Vater meldete sich als Erster. Herr Arrus nahm den Kriegsgefangenen Franz Bernkopf mit zu sich nach Hause und beschäftigte ihn für einige Zeit. Er musste ein großes Grundstück und einen Bahndamm mähen und Holz hacken und wurde dort auch verpflegt. Das war seine Rettung, denn viele seiner Kameraden waren im Lager bereits an Unterernährung gestorben. Obwohl er sich in Kriegsgefangenschaft befand, durfte er sich frei bewegen. Für all das sei er ihm heute noch dankbar, so Franz Bernkopf in seinem Brief. Da die Anschrift nicht vollständig war, kam der Brief zurück. Deshalb sandte Vater im März 1969 ein Schreiben an den Oberbürgermeister der Stadt Colmar und legte den ersten Brief bei.

Der Oberbürgermeister von Colmar half

Er bat den Oberbürgermeister, nach Herrn Arrus zu forschen und fragte, ob der Bildhauer Antonie noch am Leben sei, der mithilfe von Kriegsgefangenen das Denkmal am Hartmannsweilerkopf geschaffen habe. „… Ich bitte Sie höflich, im Sinne der Völkerversöhnung sich nach dem Verbleib dieser lieben Menschen zu erkundigen und mir eine Mitteilung zu senden. Ich würde mich sehr freuen, wenn sich die Stadtverwaltung diese Mühe machen würde.“ Und die Stadtverwaltung machte sich diese Mühe! Bereits zehn Tage später erhielt Franz Bernkopf ein Antwortschreiben aus Colmar. In ihm stand die genaue Anschrift des ehemaligen Kommandoführers Louis Arrus, aber auch, dass der Bildhauer Antonie gestorben sei. „Da ich selber weiß, was Kriegsgefangenschaft ist, hat es mich sehr gefreut, zu wissen, dass es trotz Krieg und Hass noch Leute gibt, die das Lebensrecht eines jeden Mitmenschen respektieren. Mit freundlichem Gruß“ J. Rey, Le Maire.

August 1969: Reise in die Vergangenheit

Da mein Vater, geb. 1908, einer Generation angehörte, die bis in die 60er-Jahre des vorigen Jahrhunderts praktisch nie eine Urlaubsreise machte, war ich erstaunt, als er mich bat, ihn auf dieser Reise zu begleiten. Im August 1969 traten wir die Reise an. Über die Rheinbrücke bei Kehl passierten wir mit dem Zug ohne Schwierigkeiten die französische Grenze. Den kurzen Aufenthalt in Straßburg nutzten wir zum Besuch des weltberühmten Straßburger Münsters. Bis Colmar waren es nur noch 70 Kilometer. Bald tauchten am Horizont die runden Kuppen der Vogesen auf. Nach der Ankunft am Bahnhof in Colmar fragten wir nach dem „Hotel de Ville“. Es stellte sich heraus, dass es das Rathaus war. Als wir der Sekretärin das Schreiben des Bürgermeisters zeigten, wurden wir sofort vorgelassen. Ich muss gestehen, dass es mich stark berührte, als sich der Oberbürgermeister einer französischen Stadt und der ehemalige deutsche Kriegsgefangene herzlich begrüßten. Als gebürtiger Elsässer sprach er natürlich Deutsch, deshalb war die Unterhaltung kein Problem.

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Oberbürgermeister von Colmar, J. Rey, Louis Arrus, Franz Bernkopf (von links).

Plötzlich öffnete sich die Tür …

Plötzlich öffnete sich die Tür und zur größten Überraschung meines Vaters betrat Louis Arrus den Raum. Der Bürgermeister hatte ihn in der Zwischenzeit rufen lassen. Nun hatte mein Vater das Ziel seiner Reise erreicht: Er konnte seinem „Lebensretter“ danken, der ihn vor dem Hungertod bewahrt hatte. Der Bürgermeister hatte uns ein Zimmer im Hotel „Majestic“ reservieren lassen. In Erinnerung an die Leiden der zweijährigen Kriegsgefangenschaft schüttelte mein Vater den Kopf und meinte: „Wer hätte das gedacht, dass der ehemalige Kriegsgefangene Franz Bernkopf in Colmar einmal in einem Hotel übernachten würde ...“

Fahrt zum Hartmannsweilerkopf

Einen Tag hatten wir für Rundfahrt in die Vogesen vorgesehen. Vor allem wollte mein Vater das Denkmal am Hartmannsweilerkopf, an dem er als Kriegsgefangener mitgearbeitet hatte, besuchen. Mit dem Bus fuhren wir durch das landschaftlich reizvolle Münstertal in vielen Serpentinen hinauf zum Kamm der Vogesen. Die Kammstraße zum Großen Belchen (Grand Ballon, 1 224 Meter) ähnelt der Schwarzwaldhochstraße auf der östlichen Seite des Rheins. Die Landschaft mit den steilen Abbrüchen nach Osten und die Bergkuppen mit der kargen Vegetation haben starke Ähnlichkeit mit dem Riesengebirge.

Hartmannsweilerkopf4Der Hartmannsweilerkopf ist mit seinen 920 Metern ein markanter Punkt in den Südvogesen, die steil in die Rheinebene bei Mühlhausen abfallen. Er war im Ersten Weltkrieg einer der am schwersten umkämpften Punkte an der Westfront. Hier hat der grausame, langjährige Stellungskrieg unverhältnismäßig viele Opfer gefordert. Mehr als 30 000 französische und deutsche Soldaten mussten für ihr jeweiliges Vaterland ihr Leben lassen. Heute noch erinnern Eisenteile, Betonreste, Schießscharten an Bunkern und Laufgräben an die Kampfhandlungen. Das monumentale Bronzedenkmal mit den fünf martialisch dargestellten Soldaten macht den Wahnsinn des Krieges sichtbar. Besonders der weit geöffnete Mund und die zum Himmel ausgestreckte Hand des rechten Soldaten lassen Leid und Sinnlosigkeit des Krieges erahnen. Das seit Jahren geplante und nun eingeweihte deutsch-französische Museum soll nicht nur ein Mahnmal zum Gedenken an die Toten des Ersten Weltkriegs sein, sondern es soll auch – nach jahrhundertelangem Streit – die Versöhnung der beiden Nachbarländer und heutigen EU-Kernländer symbolisieren.

Quelle: Alois Bernkopf/BOG Zeitung vom 24. November 2017

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