„Josef hat gestanden!“
Predigt am 4. Adventssontag in der Pfarreiengemeinschaft Mitterfels-Haselbach-Herrnfehlburg von P. Dominik Daschner OPraem || ... Link zu 1. bis 3. Adventssonntagen
Provokantes zu Advent und Weihnachten habe ich Ihnen in meiner adventlichen Predigtreihe heuer vorgetragen, um das Provozierende aufzudecken, das Herausfordernde, das darin liegt, Advent und Weihnachten zu feiern. Die heutige Predigt setzt dem Ganzen quasi die Krone auf, wenn ich Ihnen in Anlehnung an ein Graffiti sage: Sie können heuer Ihre geplanten Weihnachtsfeiern und Besuche absagen! Denn Weihnachten ist abgeschafft. Josef hat alles zugegeben.
„Weihnachten abgeschafft: Josef hat gestanden!“
„Empfangen vom Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria…“ so bezeugen wir Christen Sonntag für Sonntag im Glaubensbekenntnis von Jesus Christus und fassen damit die kirchliche Lehre von der Jungfrauengeburt Jesu zusammen - gerade zur Advents- und Weihnachtszeit ein gern diskutiertes Thema in Illustrierten und an Stammtischen. Nicht wenige Menschen – Atheisten und Andersgläubige, aber durchaus auch viele Christen – fühlen sich dabei berufen, die offizielle kirchliche Lehre zu dieser Thematik zu bestreiten, zu diffamieren und mit Häme zu überschütten. Das ist doch unmöglich! So was glaubt doch kein Mensch! Soll Josef doch endlich zugeben, dass das Kind von ihm ist!
Das Gerede von der Jungfräulichkeit Marias – ein Zopf aus Zeiten einer längst überwundenen Leib- und Lustfeindlichkeit?
Die Geburt des göttlichen Kindes aus der Jungfrau Maria - wie soll so etwas verstanden und heute noch geglaubt werden? Muss man sich heutzutage überhaupt noch Gedanken machen über so alte und längst überkommene Formeln? Handelt es sich bei dem verstaubten Gerede von der Jungfräulichkeit Marias nicht um Zöpfe aus Zeiten einer längst überwundenen Leib- und Lustfeindlichkeit? Hat sich die Kirche von heute oder zumindest die moderne Theologie nicht schon lange davon verabschiedet?
Doch, liebe Schwestern und Brüder, wenn der Graffitispruch Recht hätte und das Thema Jungfrauengeburt damit vom Tisch wäre, wie wollten wir das gewöhnlich gezeugte Kind eines Zimmermanns und eines unbedeutenden Mädchens aus Nazaret als Sohn Gottes verehren, als Retter der Welt und Erlöser der Menschheit? Wenn Jesus nur von Josef und nicht vom Heiligen Geist stammt, was soll dann am Ostermorgen herauskommen aus der Höhle seines Grabes? Was hätten die Engel den Hirten in der Heiligen Nacht verkünden können, wenn da letztlich nur das uneheliche Kind eines obdachlosen Paares in der Futterkrippe zu finden war?
Sie merken, liebe Schwestern und Brüder, steht und fällt der Sinn und die Bedeutung des Weihnachtsfestes und nachfolgend damit des ganzen christlichen Glaubens nicht gerade damit, dass dieser Jesus von Nazaret eben nicht nur ein gewöhnliches Kind war, dass er nicht einfach unseren innerweltlichen Gegebenheiten und menschlichen Möglichkeiten entstammt, sondern von außerhalb kommt, von Gott? Genau diese Überzeugung fängt die kirchliche Lehre von der Jungfrauengeburt Jesu ein.
Frage der Jungfrauengeburt im Sinne heutigen Faktenverständnisses ohnehin unlösbar
Wir müssen weder Josef befragen noch Maria um Auskunft über intime Details bitten. Im Sinne heutigen Faktenverständnisses ist die Frage der Jungfrauengeburt ohnehin nicht zu lösen. Aber bevor wir dem Graffitispruch folgen und Weihnachten abschaffen, sollten wir uns lieber Klarheit verschaffen über die eigentliche Aussage der Lehre von der Empfängnis durch den Heiligen Geist und von der jungfräulichen Geburt des Gottessohnes. Und dazu brauchen wir gewiss keinen Arzt oder Apotheker, weder Biologen noch Gynäkologen und schon gar keine Stammtischtheologen.
Wenn jemand unbeabsichtigt oder ohne, dass er es angestrebt hat, etwas bekommt, dann sagen wir gerne: „Er ist dazu gekommen wie die Jungfrau zum Kind.“ Das „Kind“, also die Sache, ist dann nicht Produkt seiner Planung oder seines Schaffens, sondern ein Geschenk. Es ist etwas unverdient Gegebenes und nicht sein eigenes Machwerk.
Jesus – ein Geschenk Gottes an seine Schöpfung …
Exakt darum geht es, wenn die Bibel von der Empfängnis Jesu durch den Heiligen Geist und von seiner Geburt aus der Jungfrau Maria spricht. Das ist nicht so sehr eine Aussage über Maria und eventuelle intime biologische Details bei ihr, als vielmehr eine Aussage über Jesus. Nämlich: Er entstammt nicht menschlichem Planen und Machen, sondern ist ein Geschenk – ein Geschenk Gottes an seine Schöpfung. Sein Dasein, sein Sein und Wesen, ist nicht einfach irdisch-menschlich ableitbar und erklärbar: als ein Kind menschlicher Eltern wie wir alle. Sondern er durchbricht und übersteigt unsere menschlichen Möglichkeiten - weil er von Gott kommt, dem alles möglich ist. Diese Überzeugung drückt sich aus im biblischen Motiv der Jungfrauengeburt Jesu.
… weil die Welt sich nicht selbst erlösen kann
Diese theologische Aussage ist deshalb kein peinliches Relikt einer verschrobenen Weltanschauung. Erst sie lässt uns die Welt so anschauen, dass wir erkennen, dass es ein Darüber-hinaus gibt: einen Gott, der rettend auf uns zukommt. Die Botschaft von der jungfräulichen Geburt des göttlichen Kindes ist ein ständiger Stachel für alle, die meinen, sich als Erlöser aufspielen und die Welt selbst retten zu können. Doch sie ist Balsam auf die Wunde all derer, die wissen, wie verletzlich und erlösungsbedürftig wir sind. Und dass wir uns nicht selbst erlösen können; dass Erlösung von außerhalb kommen muss. Die Rede von der Jungfrauengeburt Jesu will vor allem eines deutlich machen: Gott macht von sich aus einen Neuanfang, einen neuen Anfang mit Mensch und Welt - in diesem Kind Jesus von Nazaret, seinem Sohn.
Es geht um’s Ganze: Soll die Welt zum Teufel gehen – oder …
Bei der kirchlichen Lehre der Jungfrauengeburt geht es also nicht um kleinliche Details, hier geht es ums Ganze: um die Frage, ob Welt und Mensch am Anfang aus Zufall entstanden sind und am Ende zum Teufel gehen werden, oder ob sie von Anfang an Gottes Werk waren und darum am Ende auch nur von ihm vollendet werden können. Hier geht es um unsere gläubige Überzeugung, dass dieser Jesus von Nazaret zur Welt gekommen ist und uns wirklich zu retten vermag, weil er kein gewöhnliches Menschenkind ist, sondern von Gott kommt und ganz wie der Vater ist – nicht wie Josef, sondern wie sein Vater im Himmel.
Adventsprovokation 3. „Friede, Freude und eine Portion Schmalz“
"Weihnachtliche" Lieder
Predigt am 3. Adventssontag in der Pfarreiengemeinschaft Mitterfels-Haselbach-Herrnfehlburg von P. Dominik Daschner OPraem ||
Was wäre Weihnachten ohne Lieder? Kaum vorzustellen. Ohne Gesang und Musik kein Weihnachten. Ob „Stille Nacht“, „O du fröhliche“ oder „Ihr Kinderlein, kommet“. Von „Leise rieselt der Schnee“ und „O Tannenbaum“ über „Jingle bells“ und „Feliz Navidad“ bis zum unvermeidlichen „Last Christmas“.
Urmenschliche Sehnsucht nach einer heilen Welt
Egal ob klassisch, volkstümlich oder modern, eines haben sie alle gemeinsam, unsere weihnachtlichen Lieder: Sie sind voller Gemüt und versetzen uns in eine behagliche und heimelige Stimmung. Friede, Freude und manchmal eine gehörige Portion Schmalz tropft aus ihren Akkorden, und so bringen sie unsere urmenschliche Sehnsucht nach einer heilen Welt alle Jahre wieder zum Klingen. Warum auch nicht?! Feiern wir an Weihnachten doch, dass Gott uns aus den Augen eines unschuldigen Kindes anlacht und so das Gute aus uns herauskitzeln will.
Ein Lied in der Liturgie mit revolutionärem Charakter
Dennoch, liebe Gemeinde, können und dürfen wir nicht überhören, dass in der Liturgie dieser vorweihnachtlichen Wochen auch ein ganz anderes Lied angestimmt wird. Es ist gewissermaßen das älteste aller Weihnachtslieder und hat deshalb seinen unbestreitbaren Platz im Potpourri der Advents- und Weihnachts-Charts, auch wenn es selten dort verzeichnet wird. Es ist ein Lied, das es in sich hat. Ein Lied mit revolutionärem Charakter. Und das Überraschendste daran ist seine Interpretin. Geht ihr doch alles andere als der Ruf einer Revoluzzerin voraus, die uns einheizen und die Welt aufrocken will. Seine Sängerin ist die allzeit jungfräuliche, wunderschön prächtige, liebreich holdselige… Maria aus Nazaret. All diese Titel – und wir könnten unzählige weitere anfügen – all diese Titel wurden der Mutter Jesu im Lauf der Frömmigkeitsgeschichte verliehen und angedichtet. Zu Beginn ihrer Laufbahn schlägt sie selbst jedoch andere Töne an. Denn Gott löst ihr die Zunge, und von da an lässt sie sich von niemandem mehr den Mund verbieten.
Ja, in der Bibel wird Maria tatsächlich anders dargestellt, als sie heute in vielen Liedern besungen wird. Das wildeste Lied stammt von ihr selbst: ihr Magnificat. Es ist ein kämpferisches Lied. Der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer nannte dieses Lied der Maria das „leidenschaftlichste, wildeste und revolutionärste Adventslied, das je gesungen wurde. Es ist nicht die sanfte und zärtlich verträumte Maria, wie wir sie auf Bildern oft sehen, sondern die leidenschaftliche, hingerissene, stolze und begeisterte Maria, die hier spricht.“ So Bonhoeffer.
Maria singt dieses Lied bei einem Besuch bei ihrer Cousine Elisabeth, die ebenfalls schwanger ist. Beim Gruß ihrer Verwandten scheint Maria bewusst zu werden, welch unfassbar Großes in ihr zur Welt kommen will. Da stimmt sie das Lied an, das die Kirche zwar bis heute täglich bei der Vesper singt, dem kirchlichen Abendgebet; jenes Lied, das Kirche und Welt aber bis heute noch nicht wirklich begriffen und ausgelotet haben, und erst recht nicht umgesetzt. Das unscheinbare und sonst so ergebene Mädchen Maria aus Nazaret schlägt im Magnificat neue, wahrhaft radikale Saiten an, die ganz gewiss niemand von ihr erwartet hätte. Ohne falsche Bescheidenheit prophezeit sie, dass sie von nun an alle Generationen seligpreisen werden, weil Gott Großes an ihr getan hat. Dass dieser Gott die Hochmütigen zerstreuen und die Mächtigen vom Thron stoßen wird. Dass er die Niedrigen erhöhen und die Hungernden beschenken will, während die Reichen am Ende bei ihm leer ausgehen werden. Ein wahrhaft umstürzlerisches Lied.
Um Gottes Willen – so möchte man sagen -, was ist da nur in sie gefahren?! Maria, die gehorsame Magd, sprengt mit ihrem Lied alle Bilder von ihr und fällt total aus dem Rahmen. Darum: Augen auf beim Bibel-lesen, liebe Schwestern und Brüder!
„Siehe, ich bin die Magd des Herrn“ – … und nicht irgendwelcher weltlicher Herrschaften
Das Magnificat im Stundenbuch des Herzogs von Berry (wikipedia/commons)
Wer genau hinsieht, der kann lesen, was – oder besser: wer – da in sie gefahren ist. Der Heilige Geist ist es, der sie überschatten wird, wie der Verkündigungsengel ihr verheißt und der sie ihr Ja-Wort zur Botschaft Gottes sagen lässt: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn“ – die Magd des Herrn und nicht irgendwelcher weltlicher Herrschaften. Wer Gott, dem Herrn über Himmel und Erde, dient, braucht vor keinen selbsternannten Herren mehr zu buckeln und sich von keiner irdischen Instanz den Mund verbieten lassen. Vor diesem Herrn zählen nicht Thron und Titel, Macht oder Renommée, sondern einfach nur der Mensch. Ansehen hat jede und jeder, wer von ihm angesehen wird. Mehr Ansehen geht nicht.
Der „Stall von Betlehem“ … beschert jener von Maria angekündigten Revolution den Sieg
Maria hat sich durch und durch ansehen lassen von Gott und in der Folge von ihm auch in Anspruch nehmen lassen. So hat alles angefangen. Und so wird das kleine Mädchen aus einem kleinen Kaff am Rande des römischen Weltreichs zur „Gottesmutter“, wie wir sie bis heute verehren und in Liedern besingen. Einige Monate später hat der Himmel sich über dem Stall von Betlehem aufgetan, um jener Revolution den Sieg zu bescheren, die in Marias Magnificat angekündigt wird.
Weihnachten ohne Lieder? Nein! Aber nicht nur ein kitschiges „Heidschi Bumbeidschi“
Ja, was wäre Weihnachten ohne Lieder? Aber es soll nicht nur ein kitschiges „Heidschi Bumbeidschi“ sein. Weihnachten feiern, das „Geschenk der Erlösung“, damit es für „uns alle ein Tag der Freude und der Zuversicht werde“, wie wir heute im Tagesgebet gebetet haben, das fordert uns heraus, einzustimmen in das Lied der Maria aus Nazaret, in das wildeste Adventslied, das jemals gesungen worden ist.
Predigt am 2. Adventssonntag in der Pfarreiengemeinschaft
"Leise rieselt der Schnee ..." geht am Sinn des Advents vorbei
Viele Menschen in unserer hektischen Zeit haben ein echtes Bedürfnis nach Ruhe und Entspannung. Da kommt die „staade Zeit“, als die der Advent Jahr für Jahr beschworen wird, doch gerade recht, möchte man meinen.
„Wenn die staade Zeit vorüber ist, dann wird’s auch wieder ruhiger.“ (Valentin)
Kein Wunder, dass es dann nervt, wenn in der ersehnten stillen Zeit die Glocken nicht süßer, sondern immer schriller erklingen, die Wochen auf Weihnachten zu alles andere als ruhig verlaufen, sondern ein erhöhtes Stresslevel mit sich bringen, bei all den Terminen und Erledigungen, die da anstehen. Der Komiker Karl Valentin hat diese Diskrepanz auf den Punkt gebracht, wenn er gemeint hat: „Wenn die staade Zeit vorüber ist, dann wird’s auch wieder ruhiger.“
Der Stille der Heiligen Nacht geht ein aufrüttelnder Lärm voraus
Trotz des verständlichen Bedürfnisses nach Ruhe würden wir gänzlich am Sinn des Advents vorbeileben, wenn wir uns begnügen würden mit einem „Leise rieselt der Schnee, still und starr ruht der See.“ Denn „in den Herzen wird’s warm“ und „still schweigt Kummer und Harm“ letztlich nur dann, wenn wir uns ein wenig einheizen lassen. Auch in der Liturgie der Kirche geht der Stille der Heiligen Nacht ein aufrüttelnder Lärm voraus, den uns die Lesungstexte im Advent zu Ohren bringen. Der Jesuit Alfred Delp hat den Advent deshalb als Zeit der Erschütterung bezeichnet, in der der Mensch wach werden soll zu sich selbst.
Johannes der Täufer - der vorweihnachtliche Wachmacher …
Der vorweihnachtliche Wachmacher, liebe Gemeinde, der trägt einen Namen und ein Gesicht. Es ist Johannes der Täufer, von dem wir heute im Evangelium gehört haben; die große Gestalt des Advents. Er war gewiss kein Diplomat, ganz und gar kein Leisetreter. Eine Erscheinung, wie man sie vom Vorgänger des lange erwarteten Messias bestimmt nicht gedacht hätte. Er spricht nicht auf den Marktplätzen und predigt nicht in der Synagoge, sondern verkündet seine Botschaft draußen vor der Stadt, in der Wüstengegend am Ufer des Jordans.
… nimmt sich kein Blatt vor den Mund – lässt aufhorchen …
Schon seine äußere Erscheinung und sein Speiseplan, wie er auftritt und was er verlangt, das rüttelt auf, das klingt keineswegs einladend und sympathisch. Dennoch strömen die Leute in Scharen zu ihm hinaus. Sie scheinen zu spüren, dass sich da etwas anbahnt; dass sich hier die Worte des Propheten Jesaja erfüllen, der gefordert hatte: „Bereitet dem Herrn den Weg, ebnet ihm die Straßen.“
Der Rufer in der Wüste nimmt kein Blatt vor den Mund. Er nennt die religiösen Autoritäten seiner Zeit eine „Schlangenbrut“ und droht allen mit dem kommenden Gericht, die nicht zur Umkehr bereit und gewillt sind, gute Früchte zu bringen mit ihrem Leben. Johannes redet Klartext.
… und weist „mit übergroßem Zeigefinger“ auf den, der heilt, was Menschen verletzt haben
Angst und bange könnte dieser Rebell einem machen, wenn er nicht auch einen Fingerzeig hätte. Wenn er nicht hinweisen würde auf einen, der aufrichtet, statt vernichtet, der kommen wird, um all das zu heilen, was wir Menschen durch unsere Schuld verletzt und verwundet haben. Johannes weist von sich weg mit deutlichen Worten und mit übergroßem Zeigefinger, wie ihn Matthias Grünewald auf dem berühmten Isenheimer Altar gemalt hat. Er weist von sich weg auf den hin, der kommen wird, um die Umkehr von der Sünde und die Hinkehr zum wahren Leben möglich zu machen. Ja, er war alles andere als still, dieser brachiale Rufer in der Wüste. Doch es hat einen wie ihn gebraucht, um das Volk aufhorchen zu lassen.
Johannes würde anecken, die adventliche Berieselung gewaltig mit seinem O-Ton stören
Manchmal stelle ich mir vor, wie es wäre, wenn so ein Johannes der Täufer auf unseren Christkindlmärkten und Weihnachtsfeiern auftauchen würde. Seine lautstarke Bußpredigt würde die liebliche adventliche Berieselung gewaltig stören. Wahrscheinlich würde er sofort mundtot gemacht werden. Man würde dem Unruhestifter schnell eine Zwangsjacke über sein Kamelhaargewand überstreifen, ihn abführen und in Gewahrsam nehmen. Wir lassen uns doch unseren vorweihnachtlichen Frieden nicht stören von einem scheinbar Gestörten!
Doch der Schein vom adventlichen Frieden trügt, und so ist die Gefahr groß, dass wir uns selbst betrügen. Wenn wir ein Leben in Fülle von den Waren am Christkindlmarkt erwarten, dann können wir lange warten. Die Buden und Stände, an die Johannes heute vielleicht seine Axt anlegen würde, die werden spätestens am 27. Dezember wieder abgebaut sein, ohne dass sie uns nachhaltig innerlich erbaut hätten.
… mit seinem überdimensionalen Zeigefinger verweist er auf den, der allein unsere Sehnsucht stillen kann
Darum sollten wir Johannes im übertragenen Sinn tatsächlich auf unsere Christkindlmärkte bitten und zu unseren Weihnachtsfeiern einladen, damit er uns innerlich wachrüttelt. Statt „Süßer die Glocken nie klingen“ könnten wir dann biblischen O-Ton zum Advent vernehmen aus dem Mund des Täufers vom Jordan, der eine wirklich heilige, weil heilmachende Botschaft für uns hat. Er verweist uns mit seinen schrillen Worten und dem überdimensionalen Zeigefinger auf den, der allein die Sehnsucht der Menschen stillen kann: auf Christus. Der will uns viel reicher bescheren als die üppigste Bescherung unterm Christbaum, weil er größer ist als jeder Vorläufer, auch wenn er sich in seiner Krippe noch so klein und unscheinbar macht.
Der Advent – ein Abenteuer? Ein abenteuerlicher Gedanke?
Predigt am 1. Adventssonntag in der Pfarreiengemeinschaft
Wir beginnen mit diesem Sonntag den Advent – wie jedes Jahr; alle Jahre wieder -, die vierwöchige Vorbereitungszeit auf Weihnachten. Die Bezeichnung für diese Zeit – „Advent“ - rührt vom lateinischen Wort „adventus“ her: Ankunft. Adventus Domini – Ankunft des Herrn.
Adventus Domini – Ankunft des Herrn | adventure - Abenteuer
Der Begriff „Advent“ erinnert aber auch an das englische Wort „adventure“ für Abenteuer. Der Advent als Abenteuer? Was für ein abenteuerlicher Gedanke!
Im Wörterbuch wird Abenteuer beschrieben als ein ungewöhnlich spannendes Erlebnis, als risikoreiches Unternehmen. Ein Unterfangen, das man nie ganz in der Hand hat; von dessen Ausgang man sich überraschen lassen muss. Nun war das Warten aufs Christkind zwar schon immer mit Spannung verbunden, aber als abenteuerlich und risikoreich würde es wohl niemand bezeichnen. Unser Risiko im Advent beschränkt sich wohl meist darauf, die falschen Geschenke zu besorgen oder einen unpassenden Christbaum nach Hause zu bringen. Da hält sich das Abenteuer in Grenzen.
Aufbruch zu neuern Ufern? Eher nicht der Wesenszug von uns Christen!?
Uns liegt es näher, Bewährtes zu bewahren, die alten Traditionen zu pflegen, uns auf Altvertrautes zu verlassen. Aufbrechen zu Abenteuern und neuen Ufern ist eher nicht jener Charakterzug, den man uns Christen nachsagt. So erwarten wir zwar Jahr für Jahr die Ankunft des Herrn, doch wir meinen längst zu wissen, wer da kommt, wenn er kommt. Seine Ankunft soll gefälligst nach Plan vor sich gehen. Wo kämen wir denn hin, wenn wir nicht wüssten, was der plant, der da bei uns ankommen soll!?
Aber: Es verlangt schon Abenteuerlust, Gott in meinem Leben ankommen zu lassen
Doch Gott ist und bleibt der ganz andere, der stets Unbegreifliche. Ihn zu erwarten, ist deshalb tatsächlich gewagt. Nur wer sich darauf einlässt, nimmt den Advent wirklich ernst. Gott in seinem Leben ankommen zu lassen, verlangt mehr Abenteuerlust, als wir wahrhaben wollen. Aber, liebe Schwestern und Brüder, wollen wir das wirklich? Wir erflehen zwar in den Adventsliedern jedes Jahr aufs Neue das Kommen des Herrn, um unser Leben umzukrempeln, es zu erneuern, um die Welt ihrer Vollendung entgegenzuführen, aber was, wenn er wirklich käme?
Was, wenn er wirklich käme?
Wollen wir wirklich, dass er kommt? Wir singen zwar Jahr für Jahr „Tauet Himmel den Gerechten, Wolken regnet ihn herab“, doch wir spannen den Regenschirm auf und stellen uns unter, um nicht nass zu werden vom Tau, den wir so schmachtend erflehen. Alle adventlichen Texte reden von der Sehnsucht des Menschen nach einem himmlischen Erlöser, vom Heimweh nach dem verlorenen Paradies und vom Hunger nach umfassender Gerechtigkeit. Doch in der Realität begnügen wir uns im Advent doch gerne mit Apfel, Nuss und Mandelkern bei romantischem Kerzenschein.
Adventszeit? Nicht vordergründige Vertröstungs- sondern endgültige Erwartungszeit
Echter Advent ist ein anderes Kaliber. Im Advent geht es um mehr. Adventszeit ist endgültige Erwartungszeit, nicht vordergründige Vertröstungszeit. Wer wirklich Weihnachten feiern will, muss sich im Advent aufmachen zum Abenteuer, das Gott heißt. Menschen erwarten viel von ihm, aber erwarten sie auch ihn selbst? Beim kindlichen Warten aufs Christkind haben wir unsere Erwartungen auf dem Wunschzettel klar formuliert.
Mit „Dein Wille geschehe …!“ ist die kindliche Komfortzone endgültig vorbei
Aber diese kindliche Komfortzone ist unwiederbringlich vorbei. Wer als Erwachsener das Christkind erwartet, muss schon ein wenig offener und abenteuerlustiger sein. Er kann weder gewiss noch sicher sein, was das Christkind ihm bringt. „Dein Wille geschehe…“, so beten wir im Vaterunser. Zeugt das nicht von großer Abenteuerlust? Uns Christen ist damit ein gewisser Wagemut ins Stammbuch geschrieben. Nicht wie ich will, was ich für richtig und gut halte, soll werden, sondern ich soll und will mich stattdessen hineinfinden in den Willen Gottes für mein Leben, für diese Welt. Wer dem aus dem Weg geht, braucht von Gott nichts erwarten.
Gerüstet sein für das Abenteuer mit Gott … und den Mitmenschen
Liebe Gemeinde, der Advent ruft uns zu – wie die Pop-Band PUR gesungen hat -: „Komm mit mir ins Abenteuerland!“ Es ist das Land vor der Krippe, das Land des Staunens und der Freude darüber, dass mit der Geburt des göttlichen Kindes eine neue Herrschaft anbricht: die Herrschaft des Friedens, der Güte und der Liebe. Für den Weg in dieses Abenteuerland braucht es keinen Kampfanzug und keinen Ritterschlag. Was wir brauchen, sind offene Hände, ein liebendes Herz und ein kindliches Gemüt. Diese Rüstung genügt für das Abenteuer mit Gott und unseren Mitmenschen, zu dem uns der Advent einladen will.
Welches Land die Gruppe PUR vor Augen hatte, als sie 1995 ihr Lied „Komm mit mir ins Abenteuerland“ getextet hat, weiß ich nicht. Aber man kann dessen erste Strophe durchaus adventlich lesen und verstehen, wenn es darin heißt:
- „Und ein kleiner Junge nimmt mich an die Hand.
- Er winkt mir zu und grinst:
- Komm hier weg, komm hier raus.
- Komm, ich zeig dir was,
- das du verlernt hast vor lauter Verstand.
- Komm mit – Komm mit mir ins Abenteuerland.“
Ist der kleine Junge aus dem Lied womöglich der neugeborene Gottessohn in der Krippe, der uns in diesem Advent bei der Hand nehmen will für den Aufbruch zum Abenteuer mit Gott, zum Abenteuer des Lebens?




