Ostern: Vom „Rückwärts-gerichteten-Schauen“ zum Blick nach vorne

2018 04 01 Ostersonntag PredigtDie Hand Gottes (von einem katalanischen Künstler)

Ostersonntag 2018 in der Pfarreiengemeinschaft Mitterfels-Haselbach: Predigt von P. Dominik Daschner

 

Die Osterberichte der Bibel sind geprägt von Suchbewegungen und entscheidenden Blicken: Die drei Frauen auf dem Weg zum Grab, um nach dem toten Jesus zu schauen. Und der weiß­gekleidete junge Mann dort, der ihnen sagt: „Seht, da ist die Stelle, wo man ihn hingelegt hatte.“- Suche und Blicke.

Ebenso Maria Magdalena, die zum Grab Jesu kommt, seinen Leichnam sucht und ihn nicht finden kann. „Sag mir, wo du ihn hingelegt hast, dann will ich ihn holen“, sagt sie zum ver­meintlichen Gärtner. Erst als der Auferstandene Maria Magdalena mit ihrem Namen an­spricht und sie sich ihm zuwendet, erkennt sie ihn. Manchmal braucht es einen Wechsel der Perspek­tive, um den Auferstandenen zu erkennen.

Und genauso bei Petrus und Johannes mit ihrem Wettlauf zum Grab. Sie inspizieren das leere Grab und die Leinenbinden darin. Und von Johannes heißt es schließlich: „Er sah und glaubte.“ – Menschen auf der Su­che, Blicke, ein Wechsel der Blickrichtung, immer wieder ist das in den Osterevangelien zu finden.


Ostern hat mit einem Wechsel der Blickrichtung, der Perspektive zu tun


Bei so vielem in unserem Leben kommt es eben auf die Blickrichtung an, auf die eigene Per­spektive. Ist das Glas halb voll oder halb leer? Die Antwort auf diese Frage kann ein ganzes Leben prägen und die eigene Einstellung dazu. Bin ich Pessimist oder Optimist?

Ostern hat mit einem Wechsel der Blickrichtung zu tun; ein neuer, veränderter Blick aufs Le­ben. Die Osterevangelien deuten das mehrfach an. Maria von Magdala sucht nach dem toten Jesus. Sie ist noch ganz gefangen von dem, was mit ihrem geliebten Herrn und Meister in den letz­ten Tagen geschehen ist. Sie hängt noch am Vergangenen. Nachdem sie in sein leeres Grab geschaut hat, heißt es im Evangelium von ihr: „da wandte sie sich um und sah Jesus dastehen.“ Und als der Auferstandene sie mit Namen anspricht, noch einmal: „da wandte sie sich ihm zu.“ Nicht nur körperlich, auch, was ihre Ein­stellung betrifft. Da ist eine Wendung ge­schehen. Maria von Magdala wendet sich um, und es wendet sich ihr Leben. Sie wendet sich vom Vergangenen, Rückwärtsgerichteten nach vorne, sie wendet sich von Tod und Grab wieder dem Leben zu. Und bemerkenswert: Genau da erkennt sie den Auf­erstandenen. Maria Magdalena wandte sich um, und da geschah Wandlung, ein gewandelter Blick aufs Leben.


Ostern hat zu tun mit einer Weitung des Horizonts: Vom „Rückwärts-gerichteten-Schauen“ zum Blick nach vorne


Ganz Ähnliches ist im Evangelium der Osternacht zu entdecken. „Ihr sucht Jesus von Nazaret“, so sagt der junge Mann am Grab den drei Frauen, und ausdrücklich fügt er hinzu: „Jesus, den Gekreuzigten“. Das unterstreicht: Auch ihr Blick ist noch rückwärts gerichtet - auf den gekreu­zigten Jesus -, ist auf das Vergangene fixiert. Das wollen sie konservieren – im wortwörtlichen Sinn: den toten Jesus einbalsamieren. Aber auch im über­tragenen Sinn: das Vergangene in Erinnerung behalten, es hegen, pflegen und festhalten. Doch der Bote der Auf­erstehung lenkt ihren Blick nach vorne, weg vom Vergangenen, in die Zukunft.

Ostern, das hat zu tun mit einer neuen Sichtweise, einer Weitung des Horizonts. Es will be­freien von der Fixierung auf das Vergangene. Der Mann am Grab schickt die Frauen nach Galiläa. Dorthin, so sagt er, geht ihnen der Auferstandene voraus. „Dort werdet ihr ihn se­hen.“ Wir finden ihn nicht mit dem Blick zurück. Der Auferstandene ist uns immer voraus.

„Voraus nach Galiläa“, heißt es im Evangelium. Galiläa, das ist jene Gegend, in der alles das mit Jesus begonnen hatte. Das Stichwort „Galiläa“ steht deshalb für all das Heilsame, Wun­derbare, Befreiende, Aufbauende und Leben-schenkende, das seine Jünger mit Jesus erlebt haben. Das sollen sie nicht bloß wehmütig in Erinnerung behalten, mit einem seufzenden Blick zurück: „Schade, dass das alles nun vorbei ist“. Nein, das ist nicht vergan­gen und vor­bei. Das sollen sie nun selbst weitertragen, den Blick nach vorne gerichtet, in die Zukunft hinein.


Die Auferstehung Jesu lädt uns ein, die Welt mit neuen Augen zu sehen.


Liebe Schwestern und Brüder, Ostern hat mit diesem Wechsel der Blickrichtung zu tun, mit einer neuen Sichtweise aufs Leben. Die Auferstehung Jesu lädt uns ein, die Welt mit neuen Augen zu sehen. Denn wir sehen unser kleines Leben oft mehr aus dem Blickwinkel des To­des als in der Perspektive des Himmels.

Wir schauen auf das Harte im Leben und in der Welt, und sehen nicht die Blume, die Beton sprengt;

auf das Dunkle, und erkennen nicht das Licht am Ende des Tunnels;

auf den scheinbar toten Ast im Winter, und übersehen die herrlichen Blü­ten daran im Frühling.

Auch unser Blick ist bisweilen rückwärts gerichtet,

auf das Vergangene, dem nachgetrauert wird, das wir so gerne festhalten würden:

die angeblich „gute alte Zeit“,

die Schmetterlinge im Bauch in einer Beziehung, die mittlerweile verflogen sind;

die eigene Leistungsfähigkeit vergangener Tage voller Kraft und Gesundheit;

die Zeit der Volkskirche, als unsere Kirchen noch voll waren, als Glaube und Religion das Alltagsleben durchdrungen und geprägt haben.

Ostern, die Auferstehung Jesu, sie fordern uns zu einem Perspektivwechsel auf. Wir kennen das doch vom Autofahren her. Wer mit dem dauernden Blick in den Rückspiegel Auto fährt, der wird früher oder später im Straßengraben landen. Das funktioniert so nicht; das wird schief gehen. Ein gelegentlicher Blick in den Rück­spiegel, auf das, was hinter einem liegt, der ist o.k., der ist wichtig und gehört dazu. Aber Autofahren muss man mit dem Blick nach vorne. Leben auch.


Ostern: Dem Grab den Rücken kehren und neu ins Leben gehen


Vielleicht muss ja auch ich mich umwenden, so wie Maria von Magdala, mich von meinen enttäuschten Erwartungen und Hoffnungen abkehren, Tränen und Trauer hinter mir lassen. Dem Grab den Rücken kehren und neu ins Leben gehen, so wie es die Protagonisten in den Osterevangelien tun. Das Leben neu anpacken; mit Herz und Hand. Dazu lädt uns Ostern ein.

Wer die Trauer um einen Menschen nie überwinden kann, verfehlt sein eigenes Leben. „Bis der Tod uns scheidet“, heißt es bei der kirchlichen Trauung, nicht in alle Ewigkeit darüber hinaus! Wer immer nur der verlorenen Kindheit nachtrauert, kommt nicht zum selbständigen Leben. Wer stets auf die verpatzten Dinge auf seinem Lebensweg starrt, kommt nicht voran. Wer nur nach dem giert, was alles auch möglich wäre und den vielen nicht genutzten Chancen nachweint, der wird nie zufrieden sein. Wer nur am Schaffen ist, bevor nicht auch das Letzte noch erledigt ist, wird nie das Leben genießen können. Es gibt so vieles, was uns im Leben blockieren kann, was uns im Vergangenen, letztlich dem Tod verhaftet sein lässt. Wenn wir uns nicht umwenden, kommen wir nicht zum Leben. Ostern will uns die Augen öffnen für das Leben.

Österliche Menschen leben ihr Leben mit dem Blick nach vorne gerichtet, auf das Leben, das vor uns liegt. Ostern bedeutet, sich nach schmerzlichen Einschnitten im Leben – dem Tod eines Menschen zum Beispiel, den Erfahrungen von Abbruch und Verlust – sich neu, sich wieder dem Le­ben zuwenden, das vor uns liegt.

Und wo uns der Blick in die Zukunft ganz verbaut ist, wo wir an die Grenze des Todes gelan­gen, hinter die wir nicht blicken können, wo unser Erfahrungsho­rizont endet, da sagt uns die Auferstehung Jesu: Hinterm Horizont geht’s weiter. Selbst dort, wo - menschlich gesehen - alles zu Ende scheint – im Tod -, liegt ein neues, anderes, ewiges Leben vor uns.

Ostern blendet nichts aus von den harten Realitäten dieser Welt, aber es lenkt unseren Blick darüber hinaus, es weitet unseren Horizont: dass alles Leben in Gottes Hand liegt und darin gut aufgehoben bleibt. Denn Gott hat uns nicht geschaffen, um uns irgendwann wieder aus­zulö­schen, sondern um uns in eine neue Schöpfung zu führen, in der es keine Trauer über Vergan­genes, keine Klage, keine Mühsal mehr gibt.

Ostern, das ist Lachen unter Tränen,

das ist Staunen mit einigen unerledigten Fragen,

das ist Tanzen mit einer Prothese,

das ist Jubeln mit heiserer Kehle.

Ostern nimmt uns nicht unsere Endlichkeit. Der Tod wird nicht einfach übersprungen – auch bei Jesus nicht. Aber das Leben erhält von Ostern her ein neues Gewicht. Weil Gott in der Auferweckung Jesu den Tod überwunden hat, kann ich jetzt schon erkennen, wie sehr Gott das Leben liebt. Unser Leben mag endlich sein, aber wir sind von Gott unendlich geliebt. Und darum liegt Leben vor uns; Leben, das Gott uns schenkt, ob wir geboren werden oder sterben.

Österliche Menschen sind deshalb hoffnungsvolle Menschen. Denn Hoffnung, so hat es Vac­lav Havel, der ehemalige tschechische Ministerpräsident, wunderbar formuliert, „Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.“ Österliche Menschen wenden sich von Tod und Grab dem Leben zu. Menschen, die an die Auferstehung glauben, sind dem Leben zugewandt. Sie sehen die Welt in neuem Licht: unter diesem österlich veränderten Blickwinkel, in der Perspektive des Le­bens.

 

 

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