Kunst, Literatur
250 Jahre Totentanz des Felix Hölzl im Friedhof St. Peter, Straubing
„Der Köcher ist noch voll, der Pfeile mangelt´s nicht“
Im Jahre 1763 ließ der damalige Pfarrer von St. Peter, Maximilian Egidius Cajetan Ossinger von Haybach, in der Gruft des spätmittelalterlichen Karners auf dem Petersfriedhof mehrere Reihen Mauernischen zur Aufnahme von Särgen einbauen. Die privilegierte Belegung sollte der armen Altstadt-Kirche zusätzliche Einnahmen bescheren. Vor allem aber fand Ossinger von Haybach die finanzielle Unterstützung durch die Bürgers- und Bierbräuerwitwe Maria Barbara Kienperger für die Ausstattung der Toten- oder Seelenkapelle mit Fresken. Sie entsprachen bestens der Funktion des Raumes als Ort von Bestattungen und als Durchgangskapelle für Totenprozessionen. Es sind nämlich Bilder zum Totentanz. Die Ausführung oblag dem einheimischen Meister Felix Hölzl.
Was ist ein "Totentanz"?
Die Entstehung der Totentänze hängt wahrscheinlich mit dem erschütternden Erlebnis der Pest, des Schwarzen Todes, in der Mitte des 14. Jahrhunderts zusammen. Sie waren Teil des "memento mori", der vielfach ausgeprägten Erinnerung an den Tod, die seit dem späten Mittelalter in zahllosen Schriften und Predigten die Begrenztheit des menschlichen Lebens betonten und zu einem gottgefälligen Leben ermahnten. Im Laufe seiner jahrhundertelangen Geschichte erfuhr das Totentanzmotiv viele Wandlungen und Formen. Es fand in den meisten europäischen Ländern Verbreitung.
Die frühen Totentänze zeigen einen Tanzreigen oder Umzug todgeweihter Menschen mit verwesenden Leichen oder dem Tod selbst. Die Figuren sind wie in einer Prozession aneinandergereiht. Der neuzeitliche Totentanz ist dagegen eine Folge von einzelnen Bildern. Auf jedem dieser Bilder ist der Tod mit gerade Verstorbenen oder gerade noch Lebenden zu sehen. Diesem neuzeitlichen Typus gehört der Totentanz des Felix Hölzl an.
Besonders wichtig aber ist gerade bei großen Totentanz-Zyklen die Verbindung von Bild und Text, die didaktisch orientierte Erläuterung und Kommentierung des dargestellten Ereignisses durch Verszeilen. Diese charakteristische Verknüpfung von Bild und Text findet sich ebenfalls in der Straubinger Totentanzkapelle.
Schließlich erfuhren umfangreiche Totentänze oft eine Einbettung in die Heilsgeschichte. Diese kann geradezu als ein Kennzeichen jener Totentänze angesprochen werden, die in mittelalterlicher Tradition wurzeln. Auf dem Petersfriedhof beginnt der Zyklus mit der Ursache und der Aufhebung des Sündenfalls durch das Stammelternpaar und die Muttergottes über dem östlichen Ausgang. Er endet mit Bildern zur Passion Christi und dem Jüngsten Gericht.
Eine Stände-Revue
Die obere Bilderzeile an der Westwand mit Kind, Jüngling, erwachsenem Mann und Greis und jeweils zwei Todesgestalten scheinen noch auf die mittelalterlichen Darstellungsformen zu verweisen. Sonst tritt der personifizierte Tod auf, der als Abgesandter Gottes sein Amt verrichtet. Er tritt den Vertretern von Ständen und Berufen entgegen, männlichen übrigens, denn nur eine Klosterfrau vertritt das weibliche Geschlecht. Aus den doppelreihig angeordneten Einzelmotiven lassen sich Untergruppen bilden.
So erscheinen als Repräsentanten des geistlichen Standes der Papst, der Kardinal, der Bischof, der Pfarrer, der Mönch und die Nonne. Zur Aristokratie gehören der Kaiser, der König, der Kurfürst, der Herzog, der Freiherr, der Ritter, der Adelige. Ein Bürger und zwei Ratsherren stehen für das Bürgertum.
Angehörige von verschiedenen Berufsgruppen sind der Advokat, der Arzt, der Chirurg, der Apotheker, der Sterndeuter, der Hofbeamte, der Prokurator, zwei Offiziere, der Handelsmann, der Bauer und der Totengräber. Als Vertreter des falschen und des richtigen Verhaltens können der Wucherer und der Lüstling als Gefangene der Sünde und der verkrüppelte Bettler, der den Tod freudenvoll begrüßt, aufgefasst werden.
Die meisten Todgeweihten werden im mittleren Alter aus dem Leben gerissen. Die Allgegenwart des Todes, der "plötzliche und unvorhergesehene Tod", führen deutlich die Macht und Überlegenheit des Knochenmannes vor Augen. Mit Pfeil und Bogen, Schwert, Sense und Hacke tritt er seinen Opfern entgegen, schießt sie unverhofft ab, mäht sie nieder. Den Typen der Generationenfolge spielen die Gerippe mit Musikinstrumenten auf.
Die Lebenden und der Tod begegnen sich in einfach konstruierten Innenräumen oder vor staffagenartigen Gebäuden und Landschaftsausschnitten. Rocaille-Rahmen umschließen die einzelnen Szenen, deren lichte Farben in einem auffälligen Kontrast zum tödlichen Geschehen stehen und diesem damit einen Zug der Heiterkeit des Rokoko schenken.
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Die Bildtexte
Die meist vierzeiligen Textstrophen unter den Bildern muten, gemessen an der Entstehungszeit des Zyklus, recht altertümlich an. Immerhin erschien z. B. im Jahr 1763 Lessings "Minna von Barnhelm", gewann die deutsche Literatursprache internationale Geltung. Sprache und Struktur der Straubinger Totentanz-Texte muten noch ganz barock an, nicht nur durch die ungesicherte Orthografie, sondern vor allem durch das Versmaß. Grundlage des Metrums ist der Alexandriner, der sechshebige Jambus mit einer Zäsur in der Mitte. Er war eine beliebte Form der barocken Verskunst.
In den Strophen des unbekannten Autors unterstützt und begünstigt der Alexandriner aber ausgezeichnet das Bemühen um Monologe und besonders Dialoge, um dramatisch gefärbte Sprechsituationen, in denen die Sterbenden sich beklagen oder der Tod ihnen als Dialogpartner erwidert. Trotz mancher Holprigkeit erzielen die Texte die beabsichtigte Wirkung, wenn z. B. der Freiherr hochmütig zum Duell mit dem Tod antritt und die gebührende Antwort erfährt:
"gib acht du blinder Tod verir dich doch nicht.
ein närischer fechter nur sieht nicht mit wem er ficht.
ein Frei:Herr wie ich bin / der schützet seine Ehr.
Du warest einer, sagt der tod, ietzt bis du es nicht mehr."
Nicht selten schwingt Ironie in den Bemerkungen des Todes mit, werden menschliche Fehleinschätzungen bloßgestellt. Immer wird klar, dass es gegen den Knochenmann keine Chance gibt. So ergeht es z. B. dem Arzt, der seine Schutzpatrone anruft und auf seine angeblichen Berufserfolge hinweist:
Jetzt Hypoerat, galen Apollo ietzt steht mir bey /
der Tod nun mir selbst troht, deme ich so offt besiegt
Ruef was du ruefen Kanst umbsonst ist dein geschrey
du muest mit mir dorthin wo mancher durch dich liegt.
Daneben existieren Monologe der Lebenden, die ihre Situation und ihr Schicksal beschreiben und kommentieren und beim Leser sogar ein leichtes Schmunzeln auslösen können, zum Beispiel beim Bild des Chirurgen:
"So tief ein kühner Stahl nur immer trang hinein,
so mueste doch die wunde so gleich geheylet sein,
doch ietzt/: wer hilft mir für des Todes Mörderstreiche?
Sein pfeil ach ist vergift, ich bin schon eine Leiche."
Manche mittelalterlichen Totentänze zeigen eingangs einen predigenden Mönch. Von Anfang an waren die Totentänze Mittel der Belehrung, wurden sie zu einer Predigt in Bild und Text. Diese didaktische Komponente herrscht auch im Straubinger Totentanz in der Toten- oder Seelenkapelle auf dem Friedhof St. Peter vor. Da wird gezeigt, dass Geldgier und Bordellbesuch zur Sünde und damit "in die größte Not" führen. Die Suche nach einer Kriegslist nützt dem Offizier nichts mehr und der Purpurhut bietet dem Kardinal keinen Schutz vor dem Tod. Der Kaiser muss sich sagen lassen, dass hoher Aufstieg nur tiefen Fall mit sich bringt. Der geschäftige und wichtigtuerische Ratsherr hat zu erfahren, dass er einer weit wichtigeren Angelegenheit gegenübersteht, dem eigenen Tod. Ein anderer Ratsherr dagegen demonstriert das richtige Verhalten. Nach zwanzig Jahren im Rat lässt er bereitwillig einen anderen, "den besten" Ratsherrn ein, den Tod.
In einem katholischen Totentanz wie dem Straubinger bleiben die Vertreter der geistlichen Stände vor Kritik an ihrem Tun, Handeln und Lebensgang im Wesentlichen verschont. Das Sterben des Papstes wird zur Kenntnis genommen, denn der Leib der Kirche wankt nicht, wenn das Haupt ins Grab fällt. Besonderes Lob und Würdigung erfahren die Repräsentanten der niederen Geistlichkeit, die Nonne, der Klosterbruder, der Pfarrer. Für die Nonne wird der Tod zum Brautführer mit dem Ziel des himmlischen Bräutigams Christus. Der Ordensmann demonstriert die Unerschrockenheit eines Mannes, der stets die "geschworne Pflicht" erfüllt hat. Der Pfarrer als treuer Hirte seiner Gemeinde verkündigt die Hoffnung, nun mit dem guten Hirten Jesus leben zu dürfen.
Über den Tod freut sich auch der verkrüppelte Bettler, weil er seine Not beendet und ihn zu Gott führt. Dahinter verbirgt sich wiederum eine Tugendlehre. Denn der mit Krücken ausgestattete Bettler hat "alltzeit ohne klagen, ja auch sogar mit Lust die Armen übertragen". Er hat also mit christlicher Geduld und christlichem Stoizismus sein Schicksal als gottgegeben auf sich genommen. Keine Todesangst zeigt der fromme und rechtschaffene Bürger und Familienvater, denn Frömmigkeit und Rechtschaffenheit galten als Mittel gegen die Todesfurcht.
Kritik an der Aufklärung
In den Texten zu den Vertretern der Naturwissenschaften wird Skepsis gegenüber moderner rationalistischer Denkweise erkennbar. Eine wohl nicht zu leugnende ablehnende Haltung gegenüber der Aufklärung offenbart die Szene "Tod und Prokurator". Der Rechtsberater sitzt in Erwartung des Todes in seinem Arbeitszimmer. Der Knochenmann tritt ein, in der rechten Hand einen Pfeil, in der linken ein aufgeschlagenes Buch haltend. Auf der einen Seite steht "Das Recht der Natur", auf der anderen "Du musst sterben". Dazu der Bildtext:
"Ja ia Gerechtigkeit den Armen, wie den Reichen,
Und soll die gantze Welt sogleich zu grunde gehn
und ich soll durch den Pfeil des Mörders nun erbleichen
o Rechte der Natur / was muß ich dort ersehn.
Der Prokurator trat also für "Gerechtigkeit" im Sinne des Gleichheitspostulats des aufgeklärten Naturrechts ein, ohne Rücksicht auf die Gefahr eines Sturzes der Weltordnung. Die Konfrontation des Naturrechts der Aufklärung mit dem Tod als Verkörperung des traditionellen Denksystems ist offensichtlich eine kirchliche Reaktion auf das als Bedrohung empfundene und deshalb verurteilte Gedankengut der Aufklärung.
Es dürfte bemerkenswert sein, dass gerade in der Entstehungszeit des Hölzl-Totentanzes ein Teil der Straubinger adeligen Regierungsbeamten mit aufklärerischen Ideen sympathisierte und den Münchner Kurfürstenhof zum Eingreifen veranlasste, weil solches Verhalten beim "Gemeinen Mann" Ärgernis hervorrief.
Bis heute jedoch wendet sich der triumphierende Tod auf dem Friedhofsbild der Nordwand an alle Besucher und Betrachter des Freskenzyklus und erinnert sie an das eigene Schicksal: "Der Köcher ist noch voll, die Pfeile mangeln nicht".
Mit insgesamt 44 Bildern gehört der Straubinger Totentanz zu den umfangreichsten Bilderzyklen der gesamten Totentanztradition. Mit seiner klaren und sichtbaren Verbindung mit Grundfragen der christlichen Lehre und der Heilsgeschichte ist er dieser noch verpflichtet und bringt eine jahrhundertealte Entwicklung und Geschichte zum Abschluss. Auch im kulturgeschichtlich höchst beachtlichen Totentanz des Felix Hölzl zeigt sich die außergewöhnliche Bedeutung des Historischen Friedhofs St. Peter zu Straubing!
Quelle: Werner Schäfer, in: SR-Tagblatt vom 22. Juni 2013, Seite 47
Bild-Recherche: Franz Tosch - wikimedia gemeinfrei (Quelle: Foto 2 und 4: Peter Hartl Own photo, 2009-07-24 - die anderen Fotos: wikimedia/commons, Urheber: Peter Hartl)
Hinweis: Die älteste niederbayerische Totentanzdarstellung mit ursprünglich 20 Szenen befindet sich in der Haselbacher Schutzengelkapelle (Totentanzkapelle) bei der Pfarrkirche St. Jakob. Elisabeth Vogl berichtete im Mitterfelser Magazin 17/2011, S. 59ff, darüber.
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