Vor 70 Jahren: Der „totale Krieg“ in der niederbayerischen Region

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Hunderte von viermotorigen Bombern waren in den letzten Monaten vor Kriegsende fast jeden Tag über niederbayerischem Boden. (Fotos: Archiv Erwert/Quelle NARA; Luftbilddatenbank Würzburg)

Luftschläge auf das zivile Hinterland?

 

Welch schrecklicher Monat Februar im Jahre 1945 in der Region! 70 Jahre nach Kriegsende tauchen immer wieder neue Berichte auf, die von einzelnen Bombenabwürfen in entlegenen Winkeln unserer Provinz sprechen. Hans Vicari überlieferte die Aussagen eines Zeitzeugen, dass am 20. Dezember 1944 nicht weniger als 15 Bomben „schräg durchs Dorf Hankofen“ niedergingen, die fast die gesamte Familie Meierhofer auslöschten. Am 5. Februar 1945 sausten 64 Bomben auf Oberharthausen, kurz später auf Schönach, die Michael Gürster, seine Tochter Ottilie und dem Schüler Ludwig Aigner das Leben kosteten. Am gleichen Tage wurde das Stadtgebiet Straubing mit einem Bombenteppich belegt, der in größter Dichte östlich-südöstlich von Straubing (bei der Eisenbahnabzweigung Bogen-Passau) die Felder durchpflügte, am 16. Februar 1945 verursachten Streubomben Tote in Barbing, auf dem Gut Rosenhof, in Lerchenfeld sowie bei Haselbach und Kollnburg. Was wollte die alliierte Kriegsführung mit solchen einzelnen Angriffen bezwecken? Warum fielen die Bomben auf rüstungstechnisch und strategisch unbedeutende Siedlungen, töten ausschließlich Zivilisten?

Bomben auf zivile Ziele?

Natürlich brandmarkte die zeitgenössische NS-Regierung solche tödlichen Ereignisse als barbarisch, die Sterbebilder der Bombenopfer vermelden, dass die Toten „bei einem Terror-Angriff“ ums Leben kamen. Doch waren die Bombenabwürfe auf unsere Provinz beabsichtigte, gezielte Luftschläge, obwohl kein militärisches Ziel erkennbar war? Weil heute, da Verbrechen gegen die Menschlichkeit bei internationalen Tribunalen einklagbar sind, zum ersten Mal eine englische Zeitung die Briten zum Nachdenken über das am 13. Februar 1945 erfolgte Bombardement auf Dresden aufruft, hat die Frage „Bomben auf zivile Siedlungen?“ eine überregionale Bedeutung.

Unter der Federführung des Luftmarschalls Arthur Harris propagierten die Briten in der Tat das „moral bombing“, da man naiverweise glaubte, Flächenbombardements, die unterschiedslos Krankenhäuser, Kulturdenkmäler und Wohnungen trafen, würden die betroffenen Stadtbewohner gegen ihre NS-Staatsführung aufstacheln. Stadtzentren wurden wissenschaftlich nach dem Grad ihrer Brennbarkeit untersucht, Abertausende Spreng- und Brandbomben auf sie geworfen mit dem rhetorisch umschriebenen Ziel, die Behausungen der Bewohner auszulöschen. Seit Februar 1945 näherten sich auch die US-Luftflottenstäbe den britischen Methoden, selbst Dorfsiedlungen waren von der Vernichtung nicht mehr ausgenommen. Der englische Historiker Richard Overy belegt die Bombardierung auf Deutschland im letzten Halbjahr vor Kriegsende 1945 mit der Überschrift „Der entfesselte Orkan“. Die Absicht des Bomber Command sei gewesen, „im zivilen Umfeld größtmögliche Schäden anzurichten und die Zahl der Opfer in die Höhe zu treiben.“

Die örtliche Aktenlage

Heute noch berichten überlebende Zeitungsleser von ihren Kindheitsbeobachtungen. Maria Völkl, heute in Schierling, beobachtete fast täglich die Bomberflotten am Himmel, im Februar zogen sie Richtung Regensburg und Obertraubling, bei Postau südlich von Mallersdorf sah sie die Trümmer eines abgeschossenen Jägers. Für Oberharthausen hat Pfarrer Josef Schmaißer die genauen Umstände des Kriegendes publiziert, zwei umtriebige Männer der Gegend, heimatverbunden, geschichtsinteressiert, ließ die Frage nach dem Warum ebenso wenig ruhen. Heinrich Sax und Robert Schrock gingen jedem Indiz nach, das den Grund der örtlichen Bombenabwürfe einsichtig machen könnte, etwa, dass ein Pilot eines deutschen Jagdflugzeugs, das im Tiefflug die US-Bomber über Oberharthausen begleitet hatte, nach seiner Landung auf dem Flugfeld in Mitterharthausen behauptete: Wenn Oberharthausen bombardiert werde, „habe ich das verursacht“.

Sollte also eine halbe Staffel von US-Bombern – aus Ärger über die Belästigung durch einen deutschen Jäger – spontan ihre Bombenschächte geöffnet haben, um einen deutschen Flieger oder die Ortschaft darunter zu treffen? Wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Bomben diese Ziele erreichten, da doch eine dicke Wolkenschicht jede Sicht nach unten verhinderte?

Bleibt die Version, dass die kleine Zahl von Bauernhäusern in Han-kofen oder in Oberharthausen und Schönach ein geplantes Angriffsziel gewesen sein könnte. Jedoch, ein solcher Zielanflug mit Bombenabwurf verlangte exakte logistische Vorgaben von der US-Air-Force, hätte ein so kleines Ziel wie ein paar Bauernhäuser diesen großen Aufwand gelohnt? Auf den Radarschirmen dürften die Ziele kaum auszumachen gewesen sein. In einer Untersuchung der Treffergenauigkeit bei Abwürfen über geschlossener Wolkendecke kamen Bomberstrategen außerdem auf sechs Prozent Treffer innerhalb eines Zielkreisradius von 1,5 Kilometern! Welche Erfolgsaussicht hätte also ein Zielanflug auf unsere dörflichen Mini-Ziele gehabt? Dies gilt für alle vereinzelten Bombenabwürfe in der Region, wofür es keine explizite Dokumentation in den „National Archives“ geben dürfte.

Die oben beschriebenen Einzelaktionen stehen in Zusammenhang mit den zur selben Zeit eingeflogenen großen Bomberflotten mit exakter Zielbestimmung. Auch die Fehlwürfe auf Straubing vom 5. Februar 1945, die dokumentiert in Quellen erscheinen, sind in Zusammenhang mit einer geplanten Mission entstanden, was in einem Folgeartikel in der Straubinger Rundschau behandelt werden soll.

Aus den US-Archiven

Vor dem Einmarsch der US-Army nach Niederbayern war das vornehmliche Ziel der alliierten Luftstreitkräfte, die deutsche Kriegsmaschinerie (Militäranlagen, Waffen, Energieressourcen) zu treffen. Das Hauptquartier der alliierten Mittelmeerluftstreitkräfte in Italien befahl an jenem nebligen, wolkenverhangenen 5. Februar insgesamt 653 viermotorige Flugzeugbrummer, vollgepackt mit „High Explosives“ sowie 255 Jäger als Begleitschutz nach Regensburg, um dort die Öldepots zu bombardieren. („The main effort was again against the enemy’s oil facilities, with a heavy attack on the important Regensburg Oil Storage facilities.”) Ein Bomberstrom solch gewaltigen Ausmaßes war schwer zusammenzuhalten, auf dem weiten Weg von über 1 500 Kilometern gab es technische Ausfälle sowie Orientierungsprobleme. Die nach Regensburg gelangte 464th Bomber Group listete in ihrem „Narrative Mission Report“ vier Bomber ihrer Gruppe auf, die das Ziel nicht erreichten, da sie Probleme mit einem ihrer vier Motoren hatten – Ölverlust, Verstopfung der Treibstoffleitung, Motorstottern oder -ausfall. Die bedrängten Flugzeuge entledigten sich ihrer Bombenlast durch „Schüttwürfe“ („jettisoned“), kehrten um und flogen heim. Bei fünf Flugzeugen klemmten Bomben beim Zielabwurf im Schacht, sie warfen sie später irgendwo auf Felder oder Häuser ab. Vier andere viermotorige Brummer ließen am 5. Februar 1945 neun Tonnen auf „other targets of opportunity“ („Gelegenheitsziele“) fallen. So entstanden die unerwarteten Schüttwürfe auf Dörfer und Weiler unserer Provinz.

Die ungeplanten Explosionen in Hankofen gehen also auf Verirrungen einzelner Maschinen des Bomberstrom vom 20. Dezember 1944 nach Straubing zurück, der die Kasernen und den Bahnhof zum Ziel hatte. Der Streuwurf von 64 Bomben auf Oberharthausen und Schönach am 5. Februar 1945 steht in Zusammenhang mit den verirrten 35 Flugzeugen, die ihre Fehlwürfe auf Straubing abluden. Die Explosionen vom 16. Februar entstanden bei einer Mission zum Flugfeld in Obertraubling, wo sich über dem Zielgebiet eingeklemmte Bomben nicht lösen wollten. Die späte Entschuldigung des Sohnes eines hohen Stabsoffiziers in einer E-Mail an Heinrich Sax liefert eine ausdrückliche Bestätigung für den Fehlwurf vom 5. Februar: „I am extremely sorry that Oberharthausen was hit. It was not an intentional thing!“

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Bombeneinschläge im Dorf Oberharthausen und in umgebende Felder.

Die Streuung der Einschläge in den umgebenden Feldern und im Dorf Oberharthausen lässt auf einen desorientierten Fehlwurf einiger US-Flugzeuge schließen. Deutlich vermittelt der optische Eindruck, wie die Flugzeuge in gerader Flugbahn die Bomben verloren.

Hat sich die Welt geändert?

„Aus der Geschichte lernen“ ist ein vielfach zitierter Satz. Das Lernen setzt Kenntnis und Erinnern voraus. Vor Jahren gestaltete die Gemeinde Oberharthausen einen Gedenk - und Erinnerungsabend, um die Opfer und die schrecklichen Erlebnisse vom 5. Februar 1945 nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Aus Anlass des Bomberabsturzes vom 16. Februar 1945 und der damit zusammenhängenden Gefährdung der Siedlungen hat es eine internationale Versöhnungsfeier am Ort der Ereignisse in Unterholzen bei Haselbach gegeben. Betroffene Menschen lernen aus der Geschichte. Könnten doch auch andere, die immer wieder neue Bombenabwürfe mit zivilen Opfern inszenieren, aus den blutigen Ereignissen eine Lehre ziehen.

Literatur:

Helmut Erwert: Feuersturm, Zigarettenwährung und Demokratie – Zeit des Umbruchs 1945 – 1948 in der Stadt Straubing und in der Region Straubing-Bogen. (Leserservice des Attenkoferverlags Straubing oder in jeder Buchhandlung) - Derselbe: Der Tod aus der Luft. Sonderdruck, Mitterfels 2014 (Buchhandlung Pustet, Straubing - Buchhandlung Winkelmeier, Bogen) - Josef Schmaißer: Orts- und Hofgeschichte von Oberharthausen. (Gemeinde Oberharthausen).


 

Quelle: Helmut Erwert, in: Bogener Zeitung vom 20. Februar 2015 (zeitversetzte Übernahme des Beitrags wegen einer 14-tägigen Sperrfrist)

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