Kalenderblatt 25. April 1945: Zeitzeugen berichten vom Kriegsende und KZ-Todesmarsch

Kriegsende Zeitzeugen w

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25. April 1945: Schwieriger Tag in und um Mitterfels

Sigurd Gall: „Jetzt gehören wir dem Amerikaner“

Bedingt durch den Krieg wuchs ich von 1944 - 1946 bei meinem Großvater, dem Landwirt und Schneidermeister Joseph Gall in Uttendorf auf. Der Vater war als Soldat in Frankreich, während die Mutter mit meinen jüngeren Brüdern in Straubing lebte. Kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner war sie auch nach Uttendorf gekommen. Als Zehnjähriger erlebte ich hier das Kriegsende.

Kriegsende01Situation im Frühjahr 1945

Für jeden Normaldenker war im Frühjahr 1945 klar erkennbar, dass das „Großdeutsche Reich” und damit die Naziherrschaft sich mit Riesenschritten dem Ende näherte. Engländer, Franzosen und Amerikaner hatten im Westen den Rhein überschritten. Die Rote Armee hatte im Osten die Oder überquert, die Russen setzten zum Sturm auf die Reichshauptstadt Berlin an. Zehntausende Hitlerjungen wurden noch an die Front geschickt und starben einen sinnlosen Heldentod. Flüchtlinge, vor allem aus dem Osten und aus dem Balkan, bevölkerten die Straßen und wurden in Wirtshäusern und Schulen einquartiert.

Meine Mutter erzählte, dass in Straubing das Gerede umging, dass ein Teil der hiesigen Bevölkerung nach Tirol evakuiert werden sollte, denn die Propaganda faselte den Leuten etwas vor von der uneinnehmbaren „Alpenfestung”. Eine große Tafel auf dem Straubinger Bahnhofsgebäude verkündete noch schwarz auf weiß: „Räder rollen für den Sieg.” Doch die täglichen Bombardierungen deutscher Städte durch die Alliierten sprachen eine andere Sprache.

Bangen und Hoffen

Die Amerikaner standen schon bei Nürnberg. Da sollte der Volkssturm die Wende bringen. Alle alten Männer, die noch gehen konnten und zwei gesunde Arme hatten, wurden aufgeboten um Mitterfels zu verteidigen. Als sichtbareres Zeichen wurde in der Straße von Mitterfels nach Steinburg bei der Höllmühl eine Panzersperre errichtet und noch einige Löcher ausgehoben für sog. MG-Nester. Die Bevölkerung hoffte inständig, dass es hier zu keinen Kampfhandlungen kommt.   Einen Vorgeschmack hatten wir am 20. April 1945 erlebt, als ein Flüchtlingstreck zwischen Uttendorf und der Höllmühl von amerikanischen Jagdflugzeugen beschossen wurde.

Einige deutsche Soldaten aus der unmittelbaren Umgebung hatten ihre Truppe verlassen, waren desertiert, wie es in der Fachsprache hieß, und hatten sich daheim oder in den Wäldern versteckt. Uns Kindern ist es sehr schwer gefallen darüber nichts zu sagen. Für eine solche Meldung wären wir nämlich mit einer öffentlichen Belobigung gefeiert worden. Die Propaganda hatte einen solchen „Verrat” zu einer „Heldentat” erhoben. „Halt das Maul, du weißt davon nichts”, hatte mir der Großvater eingetrichtert. Auf Fahnenflucht, also „Feigheit vor dem Feind” und Beihilfe zur „Wehrkraftzersetzung” stand die Todesstrafe; entsprechende Bilder und Berichte bezeugten es. Als „Geheimnisträger” durchlebte ich da viele unruhige Stunden.

„Sie kommen!”

Am Mittwoch, den 25. April 1945, flog seit den Vormittagsstunden ständig ein amerikanisches Aufklärungsflugzeug über der Straße von Mitterfels über Steinburg nach St. Englmar und wieder zurück. Schnell hatte es sich herumgesprochen, dass am Vormittag die Amis in Mitterfels „einmarschiert” waren. Die Panzersperre bei der Höllmühl musste von deutschen Männern wieder abgebaut werden. Großvater und Tante Franziska hatten einige weiße Tücher hergerichtet.

Am frühen Nachmittag hörten wir von Mitterfels her Motorenlärm und das Rasseln von Kettenfahrzeugen. Als die ersten Panzer die Straße von der Höllmühl heraufkamen, versammelten wir Uttendorfer uns in der Point des Schlamminger-Anwesens und winkten mit weißen Tüchern den „Feinden” zu (Entfernung ca. 80 m). Die Panzer- und Fahrzeugkolonne nahm einfach kein Ende. Völlig ungewohnt war für uns, dass keine marschierenden Soldaten zu sehen waren. Alle saßen grinsend auf den Wägen und winkten manchmal zurück. Ein weiterer ungewohnter Anblick waren für uns die ersten leibhaftigen Schwarzen; „Neger” kannten wir Kinder nur von Bildern.

Wir Kinder saßen auf einem Brett, das über zwei Hackstöcke gelegt war. Wir hatten es aufgegeben, die Panzer und Fahrzeuge zu zählen. Mein gleichaltriger Schulkamerad, der Santl Hans aus dem Nachbaranwesen, meinte ganz unpathetisch, aber doch die Situation genau treffend: „Jetzt gehören wir dem Amerikaner.” Die Erwachsenen kommentierten die kindliche Bemerkung erleichtert: „Hoffentlich ist der Krieg bald ganz aus.”

Was geschieht mit uns?

Etwa eine Stunde später fuhr ein Jeep mit vier Soldaten in den Hof. Beim Anblick der Waffen zitterten mir die Knie. „Raus!”, brüllten die Amis. Großvater öffnete die Haus- und Stalltüre und bedeutete uns, die vorbereiteten Habseligkeiten (Decken und Nahrungsmittel) zu schultern und in Richtung „Riglloh” (Senke zwischen Utten­dorf und Riglberg) zu gehen. Unter der riesigen Weißtanne, die dem „BaumgartnerWirt” (heute: Fischer Veri) von Mitterfels gehörte, wollten wir die Nacht verbringen. Da der Baum inmitten von einigen Haselsträuchern nicht von Nachbarbäumen bedrängt war, reichten seine weit ausladenden Äste fast bis auf den Boden, der von dichter und trockener Streu bedeckt war.

Wir standen da, in Mäntel gehüllt, die Decke über der Schulter, eine Tasche, die mit Brot, gekochten Eiern und Geräuchertem gefüllt war, in der Hand. Da kam Großvater im Laufschritt den Hang herunter und brachte die frohe Botschaft, dass wir mit Einwilligung der Amis im Bienenhaus übernachten dürften. Also zurück in den „Impnstand”!

Wie war es zu dieser Lösung gekommen? Die Amerikaner hatten Eduard, unseren polnischen Knecht, als deutschen Soldaten in Zivil betrachtet und wollten ihn als Gefangenen abführen. Einer der Amis, selbst ein Pole, hörte nun Eduard schimpfen und fluchen und mischte sich ein. Eduard, der polnische Zwangsarbeiter, der von meinem Großvater wie ein Familienmitglied behandelt worden war, legte nun bei den Amerikanern ein gutes Wort für uns ein. Und so wurden wir nur „Flüchtlinge” im Bienenhaus.

Feind - Freund?

Die Amis feierten im Wohnhaus und freuten sich, dass wieder ein Tag ohne Kampfhandlungen zu Ende ging. Wie wir später feststellten, hatten sie weder ein Einmachglas geöffnet, noch einen Laib Brot weggenommen, noch das Geselchte angerührt. In der Fletz (Diele) stand im Waschkessel ein Honigkübel mit etwa einem halben Zentner Honig, Dieser war für die Bienenfütterung gedacht, da die Bienen sich zu dieser Jahreszeit noch nicht selbst versorgen konnten. Auch dieses wertvolle Nahrungsmittel hatten sie nicht angerührt. Nur die Eier in der Kammer schlugen sie in die Pfanne. Aber die reichten bei weitem nicht für die große Anzahl Soldaten. So trat ein Ami an meine Tante heran und verlangte mehr Eier. Die Tante gebot mir ihm die Nester zu zeigen. So stieg ich über eine Leiter zu den Legenestern über dem Stall, der Soldat folgte mir. Grinsend steckte er die frischen Eier in seine Hosen- und Jackentasche.

Gegen Abend verlangte ein Soldat, dass unsere Heu- und Mistwägen aus dem Stadel gezogen werden sollten; denn die boten Platz für kleinere Mannschaftswägen. Großvater und ich schoben also die Wägen heraus. Der Ami wollte nun in den Stadel. Aber da war Mako, unser Hund, dagegen. Seine Hütte stand neben der Einfahrt. Mako hatte den ganzen Nachmittag gebellt, da er die Fremden und ihre Fahrzeuge nicht dulden wollte; er war jetzt fast heiser. Da griff der Ami nach seiner Pistole. Ich muss einen gellenden Schrei ausgestoßen haben; denn die Leute auf dem Hof schauten plötzlich zu mir her. Ich stellte mich vor den Hund. Wenn Mako einige Schritte zurückwich, wickelte ich seine Kette um den Pflock, an dem sie befestigt war. Der Hund sprang immer wieder bellend nach vorn und wich dann wieder zurück. Sogleich schlang ich die Kette wieder um den Pflock. Beruhigen konnte ich den Hund, der sonst aufs Wort folgte, heute nicht. Aber sein Bewegungsspielraum wurde immer enger. Der Soldat, der noch vor wenigen Augenblicken den Hund erschießen wollte, stand da und lachte. Zwei weitere Soldaten kamen dazu und grinsten ebenfalls, einer war ein Schwarzer. Obwohl er über das ganze Gesicht lachte, dass ich seine weißen Zähne sehen konnte, war mir, dem Zehnjährigen, bei seinem Anblick nicht geheuer.

Nun geschah etwas, das sich mir einprägte, als wäre es gestern passiert. Der Soldat, der nach der Pistole gegriffen hatte, zog aus der Brusttasche seiner Uniform einige in durchsichtiges Papier gehüllte Bonbons und reichte sie mir. Ich muss einen sehr zögernden Eindruck gemacht haben; denn er gab mir durch Gesten zu verstehen das Geschenk doch anzunehmen. Ich sagte ganz verschüchtert: „Danke.” Die drei Soldaten nickten, der Schwarze klopfte mir auf die Schulter und schüttelte sich vor Lachen; was er sagte, verstand ich natürlich nicht.

Der Hund war jetzt so kurz angebunden, dass zwei Mannschaftswägen mit aufgebautem MG auf der Tenne abgestellt werden konnten. Am Abend waren Großvater und Tante mit Stallarbeiten befasst. Meine Mutter und meine jüngeren Brüder standen beim Brunnen, während ich Wasser pumpte. Da kam ein Ami, das Gesicht voller Rasierschaum, zu uns und hielt mir ein Blechgeschirr hin und verlangte Wasser. Ich füllte die Blechdose. Da griff der Soldat in eine Seitentasche einer Uniform, zog eine Tafel Schokolade heraus, brach sie auseinander und gab uns die Hälfte. Da begriffen wir, dass der Feind doch ganz anders war, als die Propaganda uns das eingehämmert hatte.

Das letzte „Gefecht”

Die Nacht verbrachten wir in voller Montur auf dem Bretterboden des Bienenstandes. Am nächsten Morgen - Großvater und Tante waren bereits im Stall - rissen uns Schreie und Kommandos aus dem Schlaf. Ich schaute durch die Fenster in den Obstgarten. Eine ohrenbetäubende Schießerei setzte ein. An jedem Baumstamm lehnte ein Soldat und schoss, die MGs auf den LKWs und Mannschaftswägen ratterten wie wild, dazu donnerten die Kanonen, die am „alten Weg” unter hohen Apfelbäumen postiert waren und die Kanone, die am Eingang zu einem Hohlweg im „SchambeckHolz” (zwischen Wiespoint und Riglberg) stand. Die Schüsse galten einem deutschen Jagdflugzeug, das - aus Böhmen kommend - über den Vormarsch der Amerikaner Erkundigungen einholen sollte. Das war die Meinung der Erwachsenen. Der Pilot drehte sofort in Richtung Buchberg ab.

Die Tiere im Stall beruhigten sich erst nach einer Stunde so weit, dass Großvater mit der Fütterung und die Tante mit dem Melken weitermachen konnten. Mako winselte und jaulte mehr als er bellte. Die Hühner hatten sich bei dem Lärm sofort in einen Unterschlupf verkrochen, nur der Gockel stand „schimpfend” auf dem Misthaufen.

Gegen Mittag zogen die Amerikaner ab. Wir konnten wieder ins Wohnhaus zurück und waren froh, dass der Krieg für uns aus war. Uns wurde aber auch bewusst, dass wir nun wirklich „dem Amerikaner gehörten”.

 

Josef Brembeck: Ehrenmal für 28 unbekannte Opfer

Bei Kriegsende war ich 12 Jahre alt. Am Vormittag des 25. April 1945 wurde im Dorf erwartet, dass die Amerikaner einrücken. Während des Mittagessens, etwa um 11 Uhr, sahen wir plötzlich eine Kolonne, die von Bumhofen heruntermarschierte. Wir meinten zuerst, der RUSS kommt. Die Leute wurden rebellisch, da sie nicht wussten, was los war.

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Die KZ-Todesmärsche sollten von Flossenbürg nach Oberbayern führen. Vergrößern durch Klick in Abbildung!

Auf einmal erkannten wir, dass ein langer Zug von Häftlingen herabgetrieben wurde, in gestreiften Joppen, eine Kolonne so lang wie das Dorf. Etwa 500 bis 600 Leute dürften es gewesen sein. Es war ein trüber, nebeliger Tag, an dem es leicht nieselte. Die KZler machten einen arg geschundenen und verhungerten Eindruck. Sie trugen zerrissenes Schuhwerk, einige gingen sogar barfuß. Ein paar hatten Grasbüschel in der Hand und bissen davon ab. Alle mussten ziemlich schnell marschieren, da der Zug links und rechts von stark bewaffneten SS-Leuten angespornt wurde. Ich schätze, es waren etwa 30 bis 40 SSler. Zusätzliche Maschinengewehre und Pistolen wurden auf zwei kleinen Truhenwagen mitgezogen.

Kriegsende03Hinter unserem Haus befand sich neben einem Feldkreuz eine offene Kartoffelgrube. Wie die Wilden stürzten sich etwa 20 Gefangene auf die angefaulten Erdäpfel. Da hetzte ihnen ein SS-Mann seinen Hund an. In zehn Minuten zog die ganze Kolonne vorüber. Ich, damals zwölf Jahr alt, war ziemlich beeindruckt, da ich zwar von KZs gehört hatte, aber nichts über die schrecklichen Zustände dort wusste.

Am nächsten Tag erfuhren wir das ganze Ausmaß des Schreckens in unserer Gegend. Im Wald bei Einstück, im Rosenholz und im Grimmholz wurden Häftlinge erschossen, die nicht mehr weiter konnten. Bei der Ziermühle sah unsere Nachbarin, wie einer um sein Leben bettelte und durch Genickschuss getötet wurde. Insgesamt brachten die SS-Leute 28 Männer um.

Etwa zwei Stunden nach dem Durchzug der Häftlinge kamen die Amerikaner. Meine Schwester als Gemeindedienerin musste auf Anordnung alle Leute, die an der Strecke des Todesmarsches wohnten, benachrichtigen, dass die Toten an Ort und Stelle im Wald eingegraben werden müssen.

Am 15. Juli wurden die Namenlosen exhumiert und bei einer würdigen Trauerfeier im Friedhof bestattet. Pfarrer Johann Eigenstetter hielt dazu eine längere Ansprache, die auch als Gedenkblatt gedruckt verteilt wurde.

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Fünf Jahre nach jenem leidvollen Geschehen wurde am 26. August 1950 über dem Haselbacher Massengrab ein würdiges Ehrenmal errichtet. Die ganze Pfarrgemeinde nahm Anteil, hohe Gäste sprachen zum Gedenken. Die Kapelle Grimm spielte einen Trauerchoral, der Männerchor sang „Wie so sanft ruhn ...”, ein gemischter Chor das „Dies irae”, ein Mädchen sprach den Vers „Was ihr erduldet”. H. H. Pfarrer Eigenstetter segnete den Boden und weihte die Stätte. Der Präsident des Landesentschädigungs­mtes, Dr. Philipp Auerbach, übertrug die Gedenkstätte in die Obhut des Landkreises Bogen. Landrat Hafner versprach, das Mal in Ehren zu halten, als “Teil unserer Dankesschuld an die Toten”. Regierungsvizepräsident Dr. Jutemann, Regensburg, mahnte zur innerlichen Festigung, dass nie mehr Menschenhass wachsen könne. Der amerikanische Resident Officer für Straubing und Bogen, Mr. Lawrence, legte einen Kranz nieder und sprach die Hoffnung aus, „dass Ihre Kinder dieses Grab ehren und dass sie niemals ähnliche Grausamkeiten in ihrem geliebten Land erleben müssen”. Bürgermeister Grimm schmückte das Grab mit einem Kranz der Gemeinde Haselbach. (Aus „Bilder erinnern”, Verfasser Georg Kallus - Archiv Josef Brembeck, Mitarbeit Franz Wartner)

Im November 1958 wurden die sterblichen Überreste der Häftlinge nach Flossenbürg umgebettet. Der Gedenkstein, der damals entfernt wurde, steht heute wieder auf dem „schönsten Fleck des Friedhofs” nahe der Totentanzkapelle.

 

Gesprächsprotoll Guido Scharrers mit einem (1995) 65-jährigem Haselbacher

Vom Durchzug einer Marschkolonne von ca. 200 Häftlingen erzählte meine Mutter. Die Häftlinge kamen von Dietersdorf über Edt nach Haselbach und wollten, glaube ich, nach Bogen an die Donau hinaus. Vielleicht sollten sie dort ertränkt werden? Meine Schwester wohnte damals in Edt. Als die Häftlinge direkt an einem Haus vorbeigetrieben wurden, warf sich einer in die offene Haustür. Er wollte sich verstecken. Wie mir meine Schwester erzählte, hatten die Frauen Angst, weil keine Männer im Haus waren. Da wurde einem Bewacher gemeldet, dass sich ein Häftling im Haus verborgen halte. Er wurde herausgeholt, mit Gewehrkolben heftig geschlagen und angeblich dann erschossen. Auch andere Gefangene wurden von den SS-Leuten im Wald bei Einstück, wie ich später erfuhr, getötet.

Ein weiteres Ereignis ist in unserer Gegend immer wieder berichtet worden. Ob es sich tatsächlich zugetragen hat, kann ich nicht behaupten, da ich es nicht gesehen habe: Als ein KZ-Häftling von Einheimischen im Wald bei Rogendorf eingegraben werden sollte, stellte man fest, dass der Mann noch lebte. Da soll einer der Umstehen­den gesagt haben: „Haut's eahm d'Schauf'l auffe . . .!” Ob der Häftling das überlebt hat oder nicht, dazu wird Verschiedenes erzählt. Eines von mehreren Gerüchten will wissen, dass der ehemalige Häftling wieder gesund wurde und später noch einmal in Haselbach gewesen sein soll. Meine Mutter, die in Dürrmaul lebte, berichtete mir noch, dass ein SS-Posten aus der KZ-Kolonne sie um Zivilkleidung bat: „Der Amerikaner verfolgt uns. Wenn uns der erwischt, bringt er uns um. Wir sind SSler.” Ich glaube, meine Mutter gab ihm eine alte Hose und eine Joppe meines Vaters. Wahrscheinlich wollte sich der Posten in Zivilkleidung vom Zug absetzen.

 

Hans Jakob: Kriegserinnerungen aus der Kinderzeit

Das Ende des 2. Weltkrieges erlebte ich als 8-Jähriger. Erlebt ist zuviel gesagt; denn in diesem Alter kann man sich keine Vorstellungen über Ausmaß, Auswirkungen und Leid eines Krieges machen.

In den ersten Jahren war bei uns, in dem beschaulichen Mitterfels, der Krieg noch weit entfernt. Die Versorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln war weitgehend gesichert. Von der Versorgungsnot, wie sie vor allem in Großstädten und Ballungsräumen herrschte, waren wir noch verschont.

Vom Kriegsgeschehen eingeholt wurde ich Ende 1944, Anfang 1945 durch folgende Ereignisse:

• Mein 17 Jahre alter Bruder wurde zur Wehrmacht einberufen und nach kurzer Ausbildung an die Ostfront versetzt.

• Der Kindergarten der Englischen Fräulein an der Straubinger Straße wurde zweckentfremdet und mit ausgebombten Mädchen aus Hamburg und Umgebung belegt.

• Alliierte Bomberverbände griffen Straubing an. Der Einschlag der Bomben ließ bei uns die Fensterscheiben klirren.

• Tiefflieger donnerten mit schrill aufheulenden Motoren über Mitterfels in einer Höhe, dass man die Piloten in der Kanzel sitzen sah. Sie schossen auf alles, was sich auf der Erde bewegte. Die angreifenden Flugzeuge hatten die alleinige Luftherrschaft. Die deutsche Flugabwehr war anscheinend ausgeschaltet.

• Vom Ortsgruppenleiter wurden wir Bewohner des „unteren Dorfes” aufgefordert, bei Annäherung von Bomberverbänden und beim Heulen der Sirenen, die man von Straubing her hören konnte, die Wohnungen zu verlassen. Wir begaben uns dann in Felshöhlen im Schlossberg, wo schon vorher einige Decken, Verpflegungsrationen und sonstiger Bedarf deponiert waren.

Im Februar 1945 erhielten meine Eltern einen Brief, in dem die halbe Erkennungsmarke und persönliche Papiere meines Bruders enthalten waren. In einem Begleitschreiben des zuständigen Kommandeurs der Wehrmacht wurde kurz und bündig mitgeteilt, dass der Sohn am 23. Januar 1945 in Jenowitz bei Krakau gefallen ist. Man kann sich vorstellen, welche Trauer und tiefes Leid in meiner Familie war. Es gab keine Grabstelle für den toten Sohn. Lediglich ein schlichtes Holzkreuz aus Birke an der Außenmauer der Friedhofkapelle in Mitterfels erinnerte an den Gefallenen.

Ein sehr einschneidendes und in Erinnerung bleibendes Ereignis war im April 1945 ganz kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner. Wie gesagt: Fast täglich donnerten Tiefflieger über Mitterfels hinweg. An einem klaren Frühlingstag raste wieder ein Flugzeug knapp über die Baumwipfel des Perlbachtales und stieg fast senkrecht zum Hinterbuchberg auf. In diesem Augenblick kam ihm ein anderes Flugzeug entgegen. Es gab ein kurzes Luftduell und aus einem der Flugzeuge drang plötzlich schwarzer Rauch. Kurz darauf öffnete sich am Himmel über Hinterbuchberg ein Fallschirm, der zu Boden glitt. Das angeschossene und brennende Flugzeug trudelte in einer großen Schleife und immer mehr an Höhe verlierend in Richtung Ortschaft und strich nur ganz knapp über das Haus- und Stadeldach des „Paulus-Anwesens” am Osthang des Schlossberges. Ca. 50 Meter weiter prallte es gegen eine mächtige Linde, schnitt diese in der Mitte ab, fiel brennend herab und grub sich etwa zur Hälfte in den Boden.

Wir Kinder liefen natürlich sofort zur Absturzstelle und wollten das Flugzeug von der Nähe besichtigen. Dies verging uns jedoch sehr schnell, weil die im Flugzeug gelagerte Munition durch das Feuer explodierte und in der Gegend herumflog. Kurze Zeit später kam die Polizei und sperrte das Gelände ab. Der mit dem Fallschirm abgesprungene deutsche Fliegerpilot war am Hinterbuchberg gelandet und wurde von Kommissär Fuchs von der Polizeistation Mitterfels abgeholt. Er brachte die Nachricht, dass sich die Amerikaner von Cham her Mitterfels näherten. Später erfuhren wir, dass es sich bei dem Flugzeugführer um einen äußerst mutigen und daher hoch dekorierten deutschen Jagdflieger handelte.

Das ausgebrannte Flugzeug war für uns Kinder natürlich eine Fundgrube besonderer Art. Alles was brauchbar erschien, wurde ausgebaut. Besonders Plexiglas aus der Fliegerkanzel war für Bastelzwecke sehr gefragt. Später kamen Alteisenhändler und sonstige Sammler und entfernten alles, was noch verwertbar war. Einige Restteile dürften sich an der Absturzstelle noch im Boden befinden.

Cilly Bemmerl, geb. Simmel: Erste Erfahrungen mit den „Amis“

Am Mittag des 25. April 45 fuhren die ersten amerikanischen Panzer an unserem Haus (in Mitterfels) vorbei, einige Soldaten kamen in die Wohnung und durchsuchten alles. Sofort wurde das Schlafzimmer der Eltern beschlagnahmt und eine österreichische Frau mit drei Kindern einquartiert. Das älteste Kind war die 14-jährige Inge; sie wurde für mich, die 11-Jährige, gleich Spielgefährtin. Da die Inge Englisch sprechen konnte, bekam sie von einem Ami Schokolade; davon fiel auch ein Stückchen für mich ab. Später zog die Frau mit ihren Kindern wieder nach Österreich. Die Inge wurde Lehrerin und lebt heute in Wien. Vor fünf Jahren besuchte sie mich und bedankte sich für die Aufnahme ihrer Mutter und ihrer Geschwister.

Zu den ersten Maßnahmen der neuen „Herren” gehörte, dass eine Ausgangssperre verhängt wurde. Wir Deutschen durften nur noch von 8 bis 9 Uhr täglich auf die Straße. Die Zeit für Einkäufe wurde da sehr knapp. Herr Hornauer, ein recht eigenwilliger Zeitgenosse, missachtete dieses Ausgehverbot. Da packten ihn zwei amerikanische Soldaten und wollten ihn in unseren Backofen, der auf der anderen Seite des Weges stand, sperren. Herr Hornauer sträubte sich, schlug um sich und schrie aus Leibeskräften. Da ließen die Amis doch Gnade vor Recht ergehen und ließen ihn wieder frei. Spätere Erzählungen, dass er drei Stunden oder gar drei Tage in diesem „Gefängnis” gesessen wäre, entsprechen nicht der Wahrheit.

 

Alois Bemmerl: Fundmunition

Bei Kriegsende wurden viele Waffen und eine Menge Munition von deutschen Soldaten weggeworfen. Zwei 15-jährige Burschen aus München, der Müller Artur und der Bendenrieder Karl weilten damals in Mitterfels. Sie fanden eine Pistole. Auch ihnen dürfte bekannt gewesen sein, dass Fundmunition abzuliefern war. Sie taten es nicht, sondern vergnügten sich am Teufelsfelsen und „untersuchten” die Waffe. Sie war geladen. Beim Hantieren an der Waffe löste sich ein Schuss und traf den Müller Artur tödlich.

In Buchberg vergrub 1945 ein Bauer eine Menge dieser Fundmunition im Wald. Als er später den „Schatz” wieder heben wollte, fand er ihn trotz eifriger Suche nicht mehr, er hatte sich das Versteck zu wenig eingeprägt und auch nicht markiert. Niemand dachte mehr an das vergrabene Kriegsgerät. Sechs Jahrzehnte später fegte ein Sturm übers Land und wütete auch in diesem Wald. Unter einem entwurzelten Baum kamen die 1945 vergrabenen Waffen wieder zum Vorschein. Sie waren aber vom „Zahn der Zeit”, dem Rost, derart angenagt, dass sie nicht mehr brauchbar waren.

 

Erika Uekermann: Kinderfreundliche „Amis“

Bei Kriegsende war ich 25 Jahre alt. Von meinem Mann hatte ich schon seit Monaten kein Lebenszeichen mehr. Er war - was ich nicht wusste - in russischer Gefangenschaft. Beim Einmarsch der Amerikaner wohnte ich mit meinen Kindern im Haus der Familie Stolz. Ich musste die Wohnung verlassen und zog zu meinen Eltern in die Talmühle; ihnen gehörte das E-Werk dort. Eines Tages kam meine Tochter Heide, 2 ½ Jahre alt, freudestrahlend ins Haus und sagte: „Mama schau, Balli, Balli!” Und was hielt sie in Händen? Zwei Orangen, die sie von einem Ami bekommen hatte. Solche Früchte hatte es in den letzten Kriegsjahren bei uns - zumal auf dem Dorf - nicht mehr gegeben.

Schwester M. Tabitha Popp: Letzte Kriegstage in Mitterfels:

Sr. Tabitha Popp (bei Kriegsende 17 Jahre alt) hat auf Anraten von Pfarrer Pramps ausführlich niedergeschrieben, wie sie das Kriegsende in Mitterfels erlebt hat. Hier werden einige wichtige Abschnitte ihres Berichtes abgedruckt.

Im April 45 rückte die Front und damit das Kampfgeschehen zusehends näher. Wir fürchteten, die Russen würden schneller eintreffen als die Amerikaner. In Mitterfels waren zu dieser Zeit fast tausend Flüchtlinge einquartiert. Im Amtsgerichtsgebäude und in noch einigen Häusern im Ort richtete sich das Oberkommando von Generalfeldmarschall Kleist mit seinem Stab ein. Militär kam und ging, es war ein ständiger Wechsel. Über die Stärke der eigenen Truppenverbände hier im Ort und ihrem Verbleiben wusste niemand Bescheid. Etwa eine Woche vor Eintreffen der Amerikaner waren drei Generäle mit ihrem Stab in Mitterfels. Bei Stapf schliefen einige hohe Offiziere in den Betten der Kinder, andere wieder dort, wo sie nur ein Plätzchen finden konnten, so wurde mir erzählt. Alle waren erschöpft, die Lage war undurchsichtig, ja beängstigend. In diesen Tagen hielten sich auch sechzehn Kreisleiter in Mitterfels auf und es gab immer noch viele Leute, die sich ein Wunder vom „Führer” erhofften.

Wir trafen alle erforderlichen Vorbereitungen, verpackten das Notwendigste in Säcke und verschnürten sie zu Rucksäcken. Wertvolle Gegenstände vergruben wir. Auch Marmelade und Kartoffeln kamen unter die Erde. Es war damit zu rechnen, dass wir wegmüssen, wenn Mitterfels verteidigt würde. Bombardierungen fürchteten wir für den Fall einer Verteidigung ebenso. Von den Ansässigen war Mitterfels nicht mehr zu erkennen. Wo man gerade hinkam, waren fremde Menschen. Viele sprachen andere Dialekte, auch ausländische Sprachen. Die Ortsansässigen sah man nur noch wenig.

Am 23. April ging es von Mund zu Mund, die Amerikaner sind in Cham und fahren auf der Ostmarkstraße. An diesem Tag, so um die Mittagszeit stürzte ein deutsches Kampfflugzeug über Mitterfels ab und schlug nahe dem Schlossberg auf einer Wiese auf. Der Pilot konnte sich mit dem Fallschirm retten. Am Abend war auf einmal alles unheimlich ruhig. Dann wurde der Himmel im Westen brandrot. Vom Simmel (Haus an der Hauptstraße) aus sahen wir dann das Feuer. Schloss Steinach, seit zwei Jahren das „Braune Haus” (Parteizentrum) stand in Flammen. Von den Parteigenossen waren wichtige und geheime Akten mit Benzin übergossen und angezündet worden.

Am 25. April nahmen wir schon frühzeitig das Mittagessen ein. Da sahen wir vom Tisch aus auf der oberen Straße eine Kolonne von Menschen. Sie gingen sehr schnell. Es sah danach aus, als müssten diese Leute auch Wägen mitziehen. Es handelte sich um einen langen Zug, der mit einer großen Beerdigung zu vergleichen war. Auch stellten wir fest, dass es sich um keine militärische Formation handeln konnte. Erst später erfuhren wir, dass es ungefähr 400 KZ-Häftlinge aus Flossenbürg waren, die von der SS wahrscheinlich nach Dachau getrieben werden sollten. Unsere Einwohner oben an der Straße kamen aus ihren Häusern und wollten diesen Armen Brot und zu trinken geben. Die SS-Bewacher verboten dies und schlugen auf die Häftlinge ein. Im Wald bei Rogendorf wurden sechs von ihnen und in Kreuzkirchen dann achtzehn von den SS-Schergen erschossen, weil sie wegen ihrer Erschöpfung das Tempo nicht mehr mithalten konnten.

Etwa eine Stunde später standen alle Bewohner vor den Häusern auf der Straße und hatten weiße Tücher in den Händen. Die Amerikaner waren da. Mit ihren Autos fuhren sie Schritt für Schritt weiter, bis die ersten Fahr­euge im Dorf verschwanden. Kurz darauf hörten wir einen Schuss. Alle Amis gingen in Deckung. Auch wir sind sehr erschrocken. Dann war alles wieder ruhig, es passierte nichts mehr. Erst nach einiger Zeit kamen zwei Amis mit Gewehren sehr vorsichtig den Wald entlang zu uns herunter. Sie fragten nach deutschen Soldaten. Mehr wollten sie nicht auskundschaften. Als alles so ruhig blieb und nach unserem Ermessen der Ort den Amerikanern übergeben war, sagte meine Mutter am Gartenzaun stehend: „Gott sei Dank! Ich glaube, für uns ist der Krieg jetzt fast zu Ende.” Frau Lange, eine bei uns einquartierte Flüchtlingsfrau, weinte und meinte: „Dann kommen wir nicht mehr heim. Ich glaubte immer, der Führer lässt uns nicht im Stich.”

Seit Wochen schon lebte im NSV-Kindergartenhaus, dem früheren Dr.-Hornef-Haus, die Frau des Generalfeldmarschalls Kleist und ihr verwundeter Sohn. Ein anderer Offizier hielt sich oft im jetzigen Kleist-Haus auf. Kindergartenfräulein Emmi Hastreiter, die des Öfteren zu uns kam, erzählte uns einmal genau, wie alles ablief, als die Amerikaner bei ihnen ins Haus kamen. Die Amis durchsuchten zur Sicherheit jedes Haus. Im Ort unten ergaben sich dabei einige deutsche Soldaten, die sich dort nach dem Abzug der deutschen Truppen versteckt hatten. Fräulein Hastreiter, Feldmarschall Kleist mit Frau und Sohn sowie Adjutant Scharnhorst waren im oberen Stock des NSV-Hauses versammelt. Als zwei amerikanische Soldaten dort eintraten, stellte sich Kleist mit erhobenen Händen als Generalfeldmarschall vor. Ebenso gaben sich auch sein Sohn, seine Frau und sein Adjutant Scharnhorst zu erkennen. Die zwei Ami-Soldaten waren auf so eine „Gefangennahme” nicht vorbereitet und waren so überrascht, dass sie eine Zeit hilflos überlegten, was zu tun sei. Kleist gab ihnen dann auf Englisch eine Erklärung und damit war wohl die Gefangennahme erfolgt. Am nächsten Tag kam im Radio die Meldung, in einem kleinen „Städtchen” im Bayerischen Wald hat sich Generalfeldmarschall Kleist den Amerikanern ergeben und wurde gefangen genommen.

Dieser Bericht ist für uns umso mehr von Bedeutung, weil sich in ihm die Hilfe und die Vorsehung Gottes sehr deutlich spiegelte. Kleist hatte schon längst eingesehen, dass ein Weiterkämpfen nur noch sinnloses Blutvergießen ist. Er hatte seine Befehlsgewalt damit abgeschlossen, dass er die Streitkräfte zur Verteidigung von Mitterfels auflöste und ihnen das Verlassen des Ortes befohlen hatte. Er konnte sich nun ohne Gefahr vor den eigenen „Richtern” den Amerikanern ausliefern. Der Volkssturm löste sich dann von selber auf, da man deren Mitglieder nicht mehr zur Verantwortung ziehen konnte. Damit war auch der Weg vollends frei für eine kampflose Übergabe von Mitterfels. Gerade unser Ort, der in vieler Hinsicht für eine Verteidigung ausersehen und deshalb sehr gefährdet war, kam im Ganzen gesehen wohlbehalten über die großen Gefahren der Besetzung durch den Feind. Wir hatten dabei keine Menschenleben zu beklagen und alle Gebäude wurden vor größeren Schäden bewahrt. Wie nun alles weitergehen soll und wird, darüber konnten wir uns an diesem Tag in keiner Weise eine Vorstellung machen; auch nicht nach Tagen und Wochen.

Von der Übergabe von Mitterfels ist natürlich noch eigens zu berichten. Nachdem der Elendszug der KZ-Häftlinge vorüber war, fuhren unsere Nachbarn, Schlossermeister Stapf und Milchfahrer Kräh Sepp mit dem Motorrad zu den Amerikanern nach Ascha. Sie berichteten einem Offizier von den KZ-Häftlingen und regten an, die Amerikaner möchten doch über Agendorf fahren und den Zug abfangen. Leider waren die deutschen Truppen noch in Gschwendt, und die Amerikaner mussten umkehren. Stapf und Kräh fuhren wieder zurück und meldeten unserem Bürgermeister Schmatz, dass die Amerikaner bald hier eintreffen werden.

Bürgermeister Schmatz ging nun mit Stapf den anrückenden Amerikanern bis zur Straßengabelung bei Hößl mit einer weißen Fahne entgegen. Nach einer Aussage von Nachbarn war ihr Gesicht dabei kalkweiß. Niemand konnte ja mit Gewissheit sagen, ob sich nicht doch noch SS oder Militär versteckt hätten, um noch zu kämpfen. Eine weiße Fahne allein hätte bei diesen Fanatikern schon genügt, um exekutiert zu werden. Bürgermeister Schmatz musste den Amerikanern mit dem eigenen Leben bürgen, dass in und um Mitterfels keine Truppenverbände mehr anwesend sind, also kein Widerstand mehr zu befürchten ist .

Die Amis gaben die Anweisung, binnen zwei Stunden müssten die Panzersperren beseitigt sein. Viele Männer und Frauen beteiligten sich an diesem Arbeitseinsatz, auch ich war dabei. Während wir noch arbeiteten, kam ein Ami-Jeep, auf dem vorne ein Mann in Sträflingskleidung und einem Kopfverband saß. Es war ein Flossenbürger KZ-Häftling, der zum Glück nur angeschossen war. Die Amerikaner hatten ihn unter den verscharrten Toten noch lebend entdeckt und mitgenommen. Heute noch ist mir dieser Anblick in Erinnerung und die Gefühle, die ich dabei empfand, sind nicht zu löschen.

Die erste Maiandacht war dann in der Friedhofkirche vor unserer Schutzmantelmadonna. Den Sieg im wahrsten Sinne des Wortes haben nicht die Amerikaner errungen, sondern Maria, unsere himmlische Mutter, war die Siegerin. Ihr schulden wir den größten Dank fürs Überleben.

Wir wussten schon lange, was für die Zukunft, nach dem „Endsieg”, geplant war. Wir, die Menschen des Bayer. Waldes, waren für die Ukraine bestimmt und als Jagdgebiet wäre der „Wald” bis weit nach Böhmen hinein gerade das Richtige gewesen. Schloss Steinach, für ein Jagdschloss gekauft, ist ein Zeugnis dafür geworden.

 

Maria Foidl (Wolferszell): Genickschuss vor Augen eines Zehnjährigen

Hunderte von Männern wurden auf der Straße von Gschwendt nach Straubing durch unser Dorf getrieben. Sie wurden von SS-Soldaten mit aufgepflanzten Bajonetten rechts und links im Abstand von etwa 30 Meter begleitet. Die ausgemergelten Gefangenen sahen sehr heruntergekommen und zerlumpt aus. Sie waren körperlich am Ende. Viele gingen barfuß, andere hatten nur mehr völlig zerfetzte Schuhe an. Der lange Zug der Gefangenen kam direkt an unserem Anwesen vorbei. Wir liefen vors Haus, um alles genauer sehen zu können. Der Anblick der entkräfteten Gefangenen erschütterte uns sehr.

Den Männern stand buchstäblich der Tod ins Gesicht geschrieben. An einen Gefangenen erinnere ich mich noch besonders gut, und das sich uns bietende schreckliche Bild ging uns sehr nahe: Der Gefangene hielt ein Büschel Gras in seiner dürren Hand und biss davon ab. Andere Gefangene deuteten wortlos mit zusammengelegten Daumen, Zeige- und Ringfinger immer wieder an ihren Mund und zeigten uns mit dieser Geste an, dass sie hungrig waren. Ich sagte daraufhin zu meinen Kindern: „Den Armen muss man doch helfen! Ich geh und hole einen Laib Brot!” Unser Nachbar von nebenan hörte meine Rede und sagte mir, dass das streng verboten ist. Wenn ich dabei erwischt werde, würden mich die SS-Soldaten erschießen.

Gegenüber unserem Hof steht die Kapelle neben dem Gasthaus Schmid. Dort sahen wir, wie einer der Gefangenen zur Seite wankte. Ihm wurde sofort von einem Soldaten durch das Genick geschossen, und man ließ ihn liegen. Mein damals zehnjähriger Sohn musste das aus nächster Nähe mit ansehen und rannte darauf mit einem Schock weinend und schreiend zu mir. Wir gingen ins Haus, weil wir die schrecklichen Bilder nicht mehr ertragen konnten. Ich sagte zu meinen Kindern: „Warum muss man denn Menschen nur so quälen?” Nach wenigen Minuten hörten wir bereits wieder einen Schuss. Später fand man einen weiteren erschossenen Gefangenen einige 100 Meter außerhalb am Straßenrand liegend.

Franziska Wartner: Die letzten Kriegstage in Saulburg

Bei Kriegsende war ich, eine geborene Saulburgerin, 18 Jahre alt. Nur wenige Leute im Dorf besitzen ein Radio, mit dem man mehr als das Programm für den Volksempfänger hören kann. Diese „Schwarzhörer” sind ständig umlagert, denn die Menschen im Dorf wollen Gewissheit über den Vormarsch der Amerikaner. Und so erfahren wir vom Vorrücken feindlicher Truppen von Regensburg her auf Straubing und von Roding her auf die Wiesenfeldener Hochfläche.

Eine Abordnung der Kreisleitung der NSDAP aus Straubing kommt nach Saulburg und ordnet an, die von Kirchroth nach Saulburg führende Kellerbergstraße aufzugraben und damit Panzersperren zu errichten. Der Bürgermeister und der Ortsgruppenleiter sind sich nach deren Weggang einig: „So blöd werden wir sein, und unsere Straße kaputt machen!”

Der Ortsgruppenleiter beauftragt eine Gemeindebedienstete alle Nazi-Unterlagen in einem Backofen zu verbrennen. Während diese tüchtig den Ofen damit schürt, kommt eine Kolonne junger Soldaten vorbeigezogen. Sie bleiben einige Tage in Saulburg und finden Unterkunft in den Schlossgebäuden. Mangels Verpflegungsnachschub werden sie auf Anordnung des Bürgermeisters von der Bevölkerung versorgt. Täglich sieht man auch Deserteure durchs Dorf schleichen.            

Der Bürgermeister schickt zwei Volksturmmänner mit weißer Armbinde als Späher in Richtung Wiesenfelden. Sie kommen rasch zurück und berichten, dass die Amerikaner von dort auch bereits in Richtung Saulburg unterwegs sind. Daraufhin weist der Bürgermeister die Dorfbewohner an weiße Fahnen an ihren Häusern anzubringen. Die Bevölkerung reagiert schnell, an jedem Haus hängt ein Betttuch, als die Spähfahrzeuge am Orts­rand eintreffen. Neugierig versammeln sich Frauen, Kinder und alte Männer (die jungen sind ja alle im Krieg) an der Dorfstraße, die von der Hauptstraße abzweigt in Richtung Friedhof, und sie winken fröhlich, teils auch ängstlich den Amerikanern zu. Eine Frau reicht den Amerikanern einen Blumenstrauß hinauf aufs Fahrzeug. Ein Mitbewohner schimpft sie daraufhin gehörig mit den Worten: „Wie können Sie nur, das sind doch unsere Feinde!”

Später folgen Panzer nach und auch deren Besatzung wird freudigen Herzens empfangen, ist doch jetzt endlich der Krieg vorbei. Als Willkommensgeste überreichen ihnen die Kinder Eier, die von den stets freundlichen Besatzern angenommen werden.

In Saulburg wird für eine kurze Zeit eine Kommandantur eingerichtet. Dazu müssen die Bewohner eines Neubaues diesen vorübergehend verlassen. Alle anderen Dorfbewohner werden aber nicht weiter belästigt. Der aussichtsreiche Büscherl-Gipfel wird Funkstation der Besatzer. Die dort dienenden Soldaten holen ihr Trinkwasser täglich mit Kanistern aus Saulburg. Sie entnehmen das Wasser der Wasserleitung im Hause des Bürgermeisters.

Als Vermittler zwischen der Bevölkerung und den Besatzern stellt sich freundlicherweise der Ortspfarrer, der Englisch spricht, zur Verfügung. Er wird als solcher von den Amerikanern voll respektiert.

Kriegsende05

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Weitere Zeitzeugen (Josef Gattung und Karl Heiß, in den letzten Kriegstagen Hauptlehrer in Mitterfels) kamen bereits im „Mitterfelser Magazin 1/1995 (S. 24ff)” in einem Beitrag von Alois Bernkopf „KZ-Todesmarsch durch Mitterfels” zu Wort. In diesem Artikel sind auch die Ansprache des H. H. Geistl. Rates Josef Brettner bei der Trauerfeier für 24 auf dem „Todesmarsch vom KZ-Flossenbürg” ermordete Häftlin­ge und Auszüge aus den Pfarrmatrikeln der Pfarrei Mitterfels abgedruckt.

Das Gesprächsprotokoll Guido Scharrers aus dem Jahre 1995 mit einem damals 65 Jahre alten Haselbacher und in Teilen auch die Aussagen Josef Brembecks sind mit Erlaubnis von Herrn Scharrer der Broschüre „Todesmärsche aus dem KZ Flossenbürg durch die Stadt Straubing und den Landkreis” entnommen, ebenfalls die beiden Fotos. Wir bedanken uns dafür bei Herrn Guido Scharrer.

Quelle: Sigurd Gall, in: Mitterfelser Magazin 11/2005

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