Bairisch
Wanderbaustelle Sprache
Was mit "lecker" scheinbar hochmodern daherkommt, ist nur die Unlust, das passende Wort zu finden. Die Rattenberger Kinder sagen hingegen lieber „g'schmackig". Das Foto entstand bei der Sprachwurzelverleihung 2011 an Georg Ringsgwandl.
Wie aus lecker wieder g'schmackig wird: Neue Bücher übers Bairische
Es hat sich immer schon als nützlich erwiesen, mehrere Sprachen zu sprechen und die eigene, wo es Sinn ergibt, durch Wortimporte zu ergänzen. Kommunikation ist eine Experimentalküche und böte bald recht faden Eintopf, gewönne sie nicht neue Aromastoffe aus anderen Sprachen – wie Wortneuschöpfungen, neue Begriffskombinationen, ins Schwarze treffende Metaphern oder frisch geklopfte Sprüche.
Sprache lebt und verändert sich permanent. Sie befindet sich auf der sich täglich weiterfräsenden Wanderbaustelle zwischen Tradition und Zukunft. Wer sie vor Ein- und Übergriffen schützen will, findet oft vor lauter scheuklappriger Wortklauberei nicht die richtige Abzweigung vor der letzten Ausfahrt Antiquariat -Endstation Museum. Andererseits ist es wichtig, Sprachen vor der gänzlichen feindlichen Übernahme zu bewahren, Sensibilität für ihre Eigenständigkeit zu schärfen. Die Sprache ist, wie GeraId Huber schreibt, eine Welt, die "der nie entdeckt, der immer grad das nachplappert, was modern ist".
So, wie derzeit von allen Seiten Anglizismen ins Deutsche übersiedeln, so drängt sich das oft arglos für Hochdeutsch gehaltene Norddeutsch in die süddeutschen Dialekte: Lecker, tschüss und kross sind da nur die berühmtesten und traurigsten Beispiele. Was da in scheinbar hochmoderner Anmutung daherkommt, ist eine in Nachdenkunlust gründende Wortfindungsstörung. Jetzt sind einige Bücher neu oder wieder aufgelegt worden, die diesem Tun und Treiben den Beweis entgegenstellen, was für eine wertvolle, bildmächtige und subtile Sprache das Bairische ist. Lang war Ludwig Zehetners „Bairisches Deutsch - Lexikon der deutschen Sprache in Altbayern" vergriffen, jetzt ist es in 4. überarbeiteter und erweiterter Auflage wieder da - mit g'schmackig, pfüat di und resch.
Der Regensburger Dialektologie-Professor zeigt, welche Vielzahl an Ausdrucksformen es in den bairische Dialekten gibt. Er hat viele Belegstellen ausgewertet von Emerenz Meier bis Harald Grill -und aus der regionalen Presse wie dem Straubinger Tagblatt. Und weil ohne Beweisführungen aus der Pisa-Studie niemand mehr auskommt, hat auch Zehetner eine: Regionen, die vom Dialektsprechen geprägt sind (Bayern, Baden-Württemberg, Österreich, Schweiz) sind besonders gut in der Lesekompetenz. Klar: Weil das dialektsprechende Kind durch Übersetzen ins Hochdeutsche sich diese Kompetenz zwangsläufig antrainiert.
Wer das Lexikon liest, wird die Vielfalt bairischer Sprachformen rasch (wieder) zu schätzen wissen. Vieles - Redensarten, grammatikalische Konstruktionen - ist nur leicht in der Erinnerung abgesunken und kann schnell wieder gehoben werden. Ähnlich geht es dem Leser bei der Lektüre von Gerald Hubers "Bairischer Wortkunde", eine veränderte Neuauflage seines Buchs "Lecker derbleckt". Der gebürtige Landshuter Huber, ein Zehetner-Schüler, berichtet vor allem von der Etymologie der bairischen Ausdrücke, vermittelt also Wissen, woher Wörter kommen.
Wörter haben oft Vorgeschichten, die gut erklären können, warum sie wann wo wie gebraucht werden. Diese Kenntnis hilft zu begreifen, welches Wort weshalb auch heute noch den Nagel auf den Kopf trifft und dass es Wörter gibt, die ebenso wenig in die bayerische Landschaft passen wie ein Toskana-Haus oder Grünkohl mit Pinkel. Pinkel? Das wahllos herausgegriffene Wort Metzger und seine Gesellen Mettwurst und das englische Wort meat für Fleisch beschreiben ungefähr, wo Huber hingeht: an die Wurzel jedes Worts.
Helmut A. Seidls Buch "Sprichwörtliches über Altbayern" wiederum versammelt Ortsporträts aus Oberbayern, Niederbayern und der Oberpfalz. Dazu hat der Augsburger Sprachprofessor, der ähnliche Bücher für Franken und Schwaben vorgelegt hat, alte Sprüche gesammelt, die sich mit Besonderheiten von Städten und Dörfern auseinandersetzen, hier und da deftig: "Dee Passauer Menscher ham Kopftüachl auf, hängt der Zipfi auf der Seitn, steht Lumpamensch drauf." Seidl erzählt von Herkunft und Bedeutung von derlei Sinnsprüchen, beispielsweise, dass der Begriff Mensch zur Entstehungszeit dieses Sprichworts nichts Abschätziges hatte und sich eher grundsätzlich lustig über arme Passauer Mädchen machte. Immer noch boshaft genug. So entsteht bei der Lektüre ein aus Anekdoten zusammengesetztes Sittenbild Altbayerns. Man kann literarisch und genussvoll auf der bairischen Sprache reitend durchs Land reisen. Und auch in diesem Buch wird bestätigt, was für starke Metaphern das Bairische bereithält. So sagt man, schreibt Seidl, über einen recht dürren Menschen: "Gega den is da Tod z'Öding a Mastsau."
Ludwig Zehetner: Bairisches Deutsch - Lexikon der deutschen Sprache in Altbayern. edition vulpes, Regensburg. 501 Seiten, 29 Euro.
Gerald Huber: Hubers bairische Wortkunde - Wissen woher Wörter kommen. Volk-Verlag, München. 216 Seiten, 19,90 Euro.
Helmut A. Seidl: Sprichwörtliches über Altbayern - 444 Ortsporträts aus Oberbayern, Niederbayern und der Oberpfalz. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg. 254 Seiten, 22 Euro.
Quelle: Christian Muggenthaler, in: Magazin zum Wochenende – SR-Tagblatt vom 4. Januar 2013
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