Regierungspräsident Heinz Grunwald: Flüchtlingssituation in Niederbayern und ihre Auswirkungen

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Niederbayerns Regierungspräsident Heinz Grunwald (kl. Bild) hält die derzeitige Lage für durchaus angespannt, aber noch nicht ausgereizt.

 

Heinz Grunwald ist Fachmann für Asyl- und Flüchtlingsfragen. Er ist seit Jahrzehnten damit betraut und jetzt, als Regierungspräsident, verfolgt ihn das Thema ganz besonders. „Das ist derzeit die größte Aufgabe, die wir zu bewältigen haben“, sagt er. Grunwald prognostiziert einen weiter rasanten Anstieg von Asylbewerbern. Die Situation sei angespannt, aber noch nicht ausgereizt. Ein Gespräch über die Asyl- und Flüchtlingssituation im Regierungsbezirk Niederbayern.

Aus welchen Ländern kommen die meisten Asylbewerber? Und auf welchen Wegen?

Grunwald: Das ist bunt gemischt, vom Kosovo bis Zentralafrika, auch die Komoren waren schon vertreten. Die Menschen werden in der Regel von der Polizei aufgegriffen, weil sie eingeschleust wurden und illegal unterwegs sind. Sie werden dann in die zentrale Aufnahmeeinrichtung nach Deggendorf gebracht. Von dort werden sie verteilt. Manche melden sich auch von sich aus, entweder bei der Polizei oder gleich in der Erstaufnahme.

Wer kommt für ihren Lebensunterhalt auf?

Grunwald: Der Staat, also der Freistaat Bayern bzw. das jeweilige Bundesland. Das Asylverfahren läuft beim Bundesamt für Migration, aber die Unterbringung ist Ländersache. In den meisten Bundesländern geht die Unterbringungs- und Versorgungspflicht spätestens nach drei Monaten auf die Kommunen über, in Bayern bleibt sie dauerhaft Staatsaufgabe.

Was kostet ein Asylbewerber den Staat am Tag?

Grunwald: Ein Asylbewerber bekommt ungefähr 150 Euro im Monat für Verpflegung, fast ebenso viel an Taschengeld. Die Unterkunft kostet ungefähr 20 bis 25 Euro je Kopf und Tag, wenn sie dezentral ist, sonst deutlich weniger. Asylbewerber bekommen bestimmt keinen Luxus, aber eine menschenwürdige Unterbringung. Der bayerische Finanzminister rechnet bei ungebremstem Anstieg der Asylbewerberzahl mit über zwei Milliarden Euro für den Doppelhaushalt.

Was kostet’s dann noch die Kommunen, die ja besonders jammern?

Grunwald: Die haben insbesondere die Folge- und Begleitkosten zu tragen. Beispiel: Die Kinder von Asylbewerbern haben Anspruch auf Kindergarten- und Schulbesuch. Die Kosten für die zusätzlich notwendigen Plätze bleiben den Kommunen, vor allem aber auch die Aufgabe, ein möglichst konfliktarmes Zusammenleben zwischen Neuankömmlingen und Einheimischen zu unterstützen.

Warum dauern Asylverfahren bei uns so lange? In anderen EU-Ländern wird zügiger entschieden.

Grunwald: In Deutschland dauern die Verfahren schon deshalb so lange, weil wir das Asylrecht als subjektives Grundrecht im Grundgesetz stehen haben. Deshalb muss besonders intensiv geprüft und sorgfältig vorgegangen werden  ...

...  aber dann gleich so lange? Der bayerische Innenminister beklagt auch stets die langen Anerkennungszeiten!

...  und zudem haben abgelehnte Asylbewerber die Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen. Alle Verfahren sind wegen der hohen Zugangszahlen stark überlastet und verzögern sich.

Halten Sie die Aufnahmefähigkeit Niederbayerns oder Bayerns für ausgereizt? Schweden nimmt sogar noch mehr auf.

Grunwald: Die Lage ist, gemessen an der Flüchtlings- und Vertriebenensituation nach dem Krieg oder dem massenhaften Ansturm Anfang der Neunzigerjahre, noch nicht ausgereizt, aber durchaus angespannt.

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Die Grafik zeigt die Entwicklung der Asylbewerberzahlen in Deutschland seit Ersterfassung 1953. 

 

Die Türkei oder der Libanon haben riesige Zeltstädte   für Flüchtlinge auf gebaut ...

Grunwald: Wenn der Zustrom bei uns weiter so anwächst, kann ich auch Zelte nicht mehr völlig ausschließen. Es wird immer schwieriger, noch angemessene Unterkünfte zu finden. Aber bislang ist noch jeder nach Niederbayern gekommene Asylsuchende menschenwürdig untergebracht worden. Und dabei bleibt es auch.

Die Quotenregelung in Deutschland hat sich bewährt. Warum ist sie in der EU nicht durchsetzbar? Einige Länder widersetzen sich der Aufnahme von Flüchtlingen.

Grunwald: Jene Länder, die bislang keine oder nur sehr wenige Asylsuchende aufnehmen, werden ihre Interessen diesbezüglich weiterhin mit aller Macht zu wahren wissen. Deshalb wird eine auch von Deutschland gewünschte europäische Quotenregelung nicht leicht durchsetzbar sein. Im übrigen: Auch bei uns sind manche Bürgermeister gar nicht angetan, wenn wir ihnen Asylbewerber zuweisen. Sie haben zwar das angebliche Wohl ihrer Gemeinden im Auge, aber nicht die Solidarität mit ihren Kollegen oder gar mit den Asylbewerbern.

Welche Art von Protest läuft diesbezüglich auf die Regierung zu?

Grunwald: Manche Bürgermeister als auch ihre Gemeindebürger wehren sich und wollen keine Asylsuchenden in ihrer Gemeinde haben. Dagegen hilft nur eine offene Informations- und Aufklärungspolitik. Es gibt aber auch viele gute und positive Beispiele: Bürgermeister und Bürger, denen klar ist, dass politisch Verfolgte Schutz brauchen und dass dieser Schutz ein Menschenrecht ist, den das Grundgesetz garantiert.

Es stehen politische Aussagen im Raum, dass im Umfeld von Asylbewerberheimen die Kriminalität hoch sei. Aus Polizeikreisen verlautet das Gegenteil: keine Auffälligkeiten. Wie ist Ihre Erfahrung?

Grunwald: Es gibt tatsächlich keine Auffälligkeiten. Der durchschnittliche Asylbewerber ist nicht mehr und nicht weniger kriminell als es der durchschnittliche Deutsche ist. Die Polizei führt Statistiken und macht überdies Untersuchungen, die das klar bestätigen.

Mancher Politiker, besonders auch aus der CSU, spricht da eine andere Sprache.

Grunwald: Noch einmal, es gibt keinerlei signifikanten Veränderungen der Kriminalitätsrate im Umfeld von Asylbewerberheimen. Da sind viele Parolen im Umlauf, die lediglich Stimmung machen sollen gegen Asylbewerber.

Was sind pauschal die größten Probleme, mit denen sich die Regierung als die zuständige Behörde auseinanderzusetzen hat?

Grunwald: Das Hauptproblem ist, dauernd neue geeignete Unterkünfte zu finden bei rasant steigenden Asylbewerberzahlen. Wir brauchen für unsere Gemeinschaftsunterkünfte aus logistischen Gründen große Gebäude, in denen wir mindestens so etwa hundert Menschen unterbringen können.

Und wie ist es mit dem Verwaltungsaufwand?

Grunwald: Der ist durchaus sehr umfangreich. Wir brauchen viele Heimleiter und Verwalter, zudem sehr viele Übersetzer praktisch für alle Sprachen dieser Welt. Deutsch kann ja fast niemand von jenen, die ankommen, Englisch auch nicht so viele. Das kostet alles sehr viel Geld.

Erleben Sie auch positive Überraschungen oder freudige Ereignisse?

Grunwald: Es gibt immer wieder Bürgermeister und Bürger, die sehr positiv mit diesem sensiblen Thema umgehen, die diese Herausforderung annehmen und sie bewältigen. Darin liegen ja auch Chancen für die Gemeinden und ihre Betriebe. Unter den Asylbewerbern sind hoch qualifizierte Menschen, Akademiker, Facharbeiter  ...

...  die für die regionale Wirtschaft wichtig werden könnten  ...?

Grunwald: Genau so ist es! Oder deren Kinder, die in die lokale Schule gehen. Durch Zuwanderung ist schon manche gefährdete Grund- oder Hauptschule in ihrem Fortbestand gerettet worden. Und es ist schön, zu erleben, wenn Menschen, die jahrelang einer Verfolgung ausgesetzt waren, hier Ruhe und Sicherheit finden und wenn man ihre Dankbarkeit spürt.

Es gibt oder gab einige wenige Brennpunkte, wo Asylbewerber aus der ländlichen Abgeschiedenheit unbedingt in die Großstadt wollten.

Grunwald: Asylbewerber, die aus Großstädten kommen, haben naturgemäß große Umstellungsprobleme, wenn sie in einer kleinen Landgemeinde abseits der Großstadt untergebracht sind. Das ist für uns alle nachvollziehbar. Junge Leute zieht es häufig nach München, egal ob Asylbewerber oder Einheimische. Für die allermeisten anderen ist es ein Segen, wenn sie hier Schutz und Ruhe finden und zu sich kommen können. Die sind wirklich dankbar. Es gibt halt immer und überall solche und solche.

Welche Forderungen an die Politik in Bund, Land, Europa haben Sie als der oberste Asylmanager des Regierungsbezirks?

Grunwald: Ich befasse mich seit über dreißig Jahren mit dem Thema Asyl, ich darf mir hier schon einen großen Erfahrungsschatz zurechnen. Aus dieser Erfahrung heraus habe ich natürlich eine Reihe von Ideen, wo man ansetzen könnte  ...

... dann bitte nur heraus damit!

Grunwald: ...  aber als loyaler Beamter gehe ich nicht den Weg über die Öffentlichkeit, sondern bringe meine Vorschläge an den richtigen politischen Stellen an. Das ist auch der effizientere Weg. Manchmal werde ich gehört, manchmal nicht. Aber eines will ich noch anbringen: Die Spielregeln müssen eingehalten, das Recht muss durchgesetzt werden, so oder so. Das gilt dann auch für abgelehnte Asylbewerber, die wir notfalls mit Zwangsmaßnahmen zurückschicken müssen. Die haben vor Ort unter Umständen ihr gesamtes Eigentum verkauft, um die Schleuser bezahlen zu können, und dann stehen sie vor dem Nichts, wenn sie zurück müssen.

Wer eröffnet diesen Leuten die bittere Wahrheit?

Grunwald: Das sind dann hauptsächlich meine Mitarbeiter. Das macht keinem von ihnen Spaß, aber jeder ist absolut überzeugt, dass das Recht auch durchgesetzt werden muss und nur Verfolgte Asyl genießen können. Armut ist kein Asylgrund; die Leute aus dem Kosovo zum Beispiel sind praktisch alle reine Wirtschaftsflüchtlinge. Seitdem hier das Signal gegeben wurde, dass abgelehnte Asylbewerber auch wirklich wieder zurück müssen, notfalls mit Sammelabschiebungen, ist die Zahl der Asylbewerber aus dem Kosovo extrem gesunken.

Welche Gründe geben die Asylsuchenden an, dass sie ausgerechnet nach Deutschland wollen?

Grunwald: Interessanterweise in erster Linie nicht die hohen Sozialleistungen – wie es zum Beispiel bei Schweden der Fall ist –  , sondern, sie sagen, wenn man erst einmal in Deutschland ist, darf man auf jeden Fall bleiben. Da wird man nicht gleich wieder zurückgeschickt.

Interessant!

Grunwald: Aber für mich belegt das, dass auch eine konsequente Durchsetzung bestehender Ausreisepflichten ein wichtiger Bestandteil unserer Anstrengungen sein muss, unser Asylsystem vor dem Kollaps zu bewahren.


 

Quelle: Interview: Bernhard Stuhlfelner, in: Bogener Zeitung vom 30. Mai 2015 (zeitversetzte Übernahme des Beitrags aufgrund einer 14-tägigen Sperrfrist)

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