Falkenfels
Von Regensburg bis Taschkent: Die Turmuhren der Firma Rauscher ticken überall
Früher tickte auch eine auf dem Falkenfelser Turm [Red.]
Jeder wirft einen flüchtigen Blick auf sie, ob beim Einkaufen, auf dem Weg zur Arbeit oder zum Arzt-Termin – die Turmuhr. Egal, ob es sich um die Uhr der Sankt-Jodok-Kirche in Landshut oder des Regensburger Rathauses handelt. Doch, wer sorgt dafür, dass die Uhr richtig tickt ? Für die Uhren in der Region ist die Turmuhrenfabrik Rauscher aus Regensburg verantwortlich. Es gibt kaum einen Ort im Freistaat, in dem keine Uhr der Manufaktur ihren Dienst tut. Denn: Rauscher ist bayernweit der einzige Hersteller. Auch wenn das mal anders war, erzählt Christine Rauscher, die der bereits vierten Rauscher-Generation angehört und sich um Kundenaufträge kümmert. „Früher gab es noch mehr Turmuhrbauer. Diese Berufsbezeichnung gibt es heute nicht mehr, heute machen das Feinmechaniker. Während und nach dem Krieg haben viele Turmuhrfabriken geschlossen.“ Die Firma Rauscher bestückte während der Zeit des Nationalsozialismus mehr als 40 Bahnhöfe im Sudetenland mit Turmuhren für die Deutsche Reichsbahn und konnte über den Zweiten Weltkrieg hinaus bestehen.
„Er hat wirklich getickt wie ein Uhrwerk“
Der Gründer Georg Rauscher, um 1925, beim Bau einer elektromechanischen Uhr, die heute noch in der Werkstatt zu sehen ist. (Fotos: Rauscher)
Der mittelständische Familienbetrieb stellt seit 1920 Turmuhren her. Angefangen hat alles mit Christine Rauschers Urgroßvater Georg, der 1926 seine erste elektromechanische Turmuhr entwickelte. Seine Uhren zeigen an den beiden Türmen der Münchner Theatinerkirche immer noch die Zeit an. Nach dessen Tod übernahm Sohn Georg junior die Geschäfte und stellte die ersten elektrischen Turmuhren her. „Er war jeden Morgen als Erster in der Werkstatt – er hat wirklich getickt wie ein Uhrwerk“, erinnert sich Christine Rauscher an ihren Großvater. Dann kam ihr Vater, der dritte Georg, mit dem Christine schon als Mädchen auf Türme geklettert war. „Ich hatte immer ein bisschen Angst um ihn, wie locker er dastand, in 25 Metern Höhe.“ Ihr Vater, der für die Familie gerade sein Wissen in einem Buch festhält, hat 1978 eine funkgesteuerte Uhr für das Regensburger Rathaus entwickelt – seinerzeit die erste in Deutschland. Die Süddeutsche Zeitung titelte damals „Regensburger leben nach der Atomzeit“. Jetzt leben die Regensburger nach sogenannten Digitimern, Uhren mit Prozessoren.
Die Zeiger der Uhr am Straubinger Stadtturm sind auch von Rauscher (links). Eine Rauscher-Uhr am Schloss Thurn und Taxis in Regensburg.
In der Rauscher-Werkstatt stapeln sich armlange Kupferzeiger und Uhrenschablonen, deren Durchmesser so groß ist, dass man beide Arme braucht, um sie zu umschließen. Hier arbeiten 17 Mitarbeiter jeden Tag ab 7 Uhr daran, dass eine Uhr mit Glockenspiel entsteht oder repariert wird. „Wir bilden aber nicht mehr aus. Es wäre zu teuer, wenn Lehrlinge wieder gehen. Wir stellen nur fertige Kräfte ein“, sagt Rauscher und führt durch einen Raum, in dem ein Mitarbeiter mit der Schere Zeiger aus Kupfer nach barockem Vorbild ausschneidet und diese von Hand in Holzmodelle treibt. „Später tragen wir noch den gelben Lack auf und dann kommt das Blattgold. Falls später mal ein Vogel etwas abpickt, fällt es nicht so auf“, erklärt Rauscher. Die Zifferblätter aus Kunststoff werden ausgeschnitten und lackiert. Ein Schlosser stellt in seiner Werkstatt den Glockenklöppel her, der später für den richtigen Ton sorgt. Elektriker schließen das Laufwerk an die Steueruhr an. „Die ist das Herz der Turmuhr“, sagt Rauscher. Darum kümmern sich die Mechaniker und Christine Rauschers Schwester Elisabeth. Schwester Ingrid macht die Logistik, ihr Mann programmiert Software für die Digitimer. In einem anderen Raum sieht es aus wie in einem Antiquitätenladen: Überall liegen alte Uhren, verstaubte Zeiger und Uhrwerke. „Mein Vater hat sie alle gesammelt.“ Früher hat so ein Uhrwerk schon mal 700 Kilogramm gewogen, heute sind es knapp 40 Kilo. Im Schnitt dauert es drei bis fünf Wochen, bis eine Rauscher-Uhr fertig ist. Dazu zählen große Turmuhren oder kleine Turmuhren für das Wohnzimmer. Kunden sind Kirchen, Gemeinden, aber auch Privatleute. „Im süddeutschen Raum haben wir an die 3 000 Kunden“, sagt Rauscher. Die größten Uhren kosten etwa 20 000 Euro, die kleinsten rund 3 000 Euro. Seit etwa 15 Jahren stellt Rauscher auch Uhren für das Ausland her. „Unser aktuelles Projekt ist eine Turmuhr für Aserbaidschan. Davor haben wir eine Uhr nach Taschkent und Oman verkauft. Auch Promis setzen auf Rauscher-Uhren. Microsoft-Mitbegründer Paul Allen wollte eine Uhr in Gitarrenform für sein Schiff Octopus. „Das war das ausgefallenste Projekt für uns.“ Dass Rauscher auch weiterhin in Familienhand bleibt, da ist sich Christine Rauscher sicher. „Es gibt neun Kinder in der Familie.“
„Wenn ich noch bin, seid Ihr nicht mehr“
Für Christine Rauscher, die sich tagein tagaus mit Uhren beschäftigt, ist Zeit kostbar: „Generell bedeutet sie für mich, dass wir uns bemühen sollten, die Dinge, die wir machen, gerne zu tun.“ Die Lebenszeit ist kurz, die Turmuhren selbst überdauern aber wohl weitere Jahrhunderte. Dazu passt ein fast 100 Jahre altes Uhren-Gedicht des Urgroßvaters, das an einer Wand der Werkstatt hängt: „Ich zähl’ die Zeit und schlag’ die Stund’ und geb’ Euch Leid und Freude kund. Ich pendle hin und pendle her, wenn ich noch bin, seid Ihr nicht mehr.“
Quelle: Sonja Esmailzadeh/BOG Zeitung vom 28. Oktober 2017 (Zeitversetzte Übernahme aufgrund einer 14-tägigen Sperrfrist)
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