1000 Jahre Geschichte um Mitterfels - 51 Die Zwerggemeinde Scheibelsgrub gibt auf (1875)
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Vor gut 830 Jahren tauchte der Name Mitterfels das erste Mal in einer Urkunde auf; Gschwendt im Kinsachtal kann auf 900 Jahre zurückblicken; vor 960 Jahren übernahmen die Grafen von Bogen den östlichen Donaugau von den Babenbergern; Metten, im Jahre 766 gegründet, rodete zu Füßen der schützenden Bergkette zwischen Vogelsang und Hirschenstein . . . über 1000 Jahre interessante Geschichte, in die wir in halbmonatlich wechselnden Kapiteln eintauchen.
Zu den vorhergehenden Kapitelbeiträgen können Sie sich im Menue rechts in der Grafik „1000 Jahre Geschichte um Mitterfels“ durchklicken.
Die Zwerggemeinde Scheibelsgrub gibt auf (1875)
Die jahrhundertelange Hofmarkszugehörigkeit mag der Grund gewesen sein, dass Scheibelsgrub nach Auflösung der Hofmarken 1848 als selbständige Gemeinde bestehen blieb. Es war eine Zwerggemeinde mit nur 20 bis 22 stimmfähigen Gemeindebürgern, und die waren samt und sonders nur "kleine Leute". Auf Dauer war es einer auf so schwachen Füßen stehenden Gemeinde unmöglich, die anfallenden Gemeinschaftsaufgaben zu tragen. Nach 27 Jahren Durchhaltens hat sich die Gemeinde Scheibelsgrub freiwillig der Gemeinde Mitterfels, von der sie ganz umschlossen war, eingegliedert.
94 Beschlüsse beinhaltet das Buch "Gemeinde-Beschlüsse und Verhandlungen der Landgemeinde Scheibelsgrub", einzelne von der schweren Bauernhand eines "Vorstehers" geschrieben, andere wieder schwungvoll, wie die des landgerichtlichen Schreibers Knott oder der Schullehrer Probst und Braunhofer. Die beherrschten auch die "Kanzleisprache"; da liest man dann von "mitgetheilten Communicaten", einem "rubrizierten Betreffe", einem "nicht ergriffenen Rekurs" , einem "schriftlichen Signat", von "polizeilichem Consens", von "disponibler Wohnung" und "frequenter Straße".
94 Beschlüsse sind zwischen 1852 und 1875 zusammengekommen. Fast immer ist es nur um Menschen gegangen, selten um sachliche Belange – heute ein Dokument der sozialen Lage in einer Landgemeinde vor über einem Jahrhundert. - Vergrößern durch Anklicken!
Die Mehrzahl der Beschlüsse befasste sich mit Ansässigmachung, Heimatrecht und Verehelichungsgesuchen. Das Heimatrecht war für jeden ein unentbehrlicher Rückhalt im Falle von Verarmung, Mittellosigkeit, Krankheit und Arbeitslosigkeit. Dann nämlich musste die Gemeinde die Fürsorge tragen. Nun war das Heimatrecht mit der Verehelichung gekoppelt - kein Wunder, dass die Gemeinde dazu nur ihre Zustimmung gab, wenn auch der "Nahrungsstand" gesichert schien. Für ledige Taglöhner und Dienstboten stand das Heimatrecht nach fünf- oder zehnjährigem Aufenthalt zu; da ist es so manchem dienenden Waldler passiert, dass ihn die Gäubodengemeinde "rechtzeitig" zu einem Dienstplatz- und Gemeindewechsel gezwungen hat.
Das Beschlussbuch wurde regelmäßig dem Landrichter zu Mitterfels vorgelegt, der setzte dann sein "vidi" - "gesehen" - zu seiner Unterschrift. Weil das Landgericht auch Berufungsinstanz war, mussten ablehnende Bescheide gut und ausführlich begründet sein. Wenn einer als Beruf nur Taglöhner, Holzhauer, Stockgraber oder Schuhflicker angab, konnte er gleich schon mit Ablehnung rechnen; die Gemeinde Scheibelsgrub erklärte ihm, dass "mehr als drei Viertheile der Einwohner Taglöhner und Holzarbeiter sind und kaum die Hälfte ständige Beschäftigung findet". Neben dem Beruf wurden auch Arbeitsfähigkeit und Arbeitswille, Vermögensstand und Leumund gewertet, letzterem aber nicht immer Glauben geschenkt, wenn entfernte Gemeinden vielleicht nur einen Unversorgten weniger haben wollten. Eine "Braut" wurde abgelehnt, da sie sich bisher vorwiegend vom Bettel fortgebracht hatte und auch schon ihre zwei ledigen Kinder zur Bettelei abrichtete. Ein Kötztinger Schneider wurde mit dem Vermerk abgewiesen, dass schon ein Schneider vor ihm wegen Auftragsmangel nach Vilshofen "ausgewandert" sei. Kurz danach dann das genaue Gegenteil: da wird der Schneidermeister Griesbeck aus Runding gerne aufgenommen, nicht allein wegen seiner Note II,sondern wegen seines zu erwartenden "bedeutenden Nebeneinkommens als Musiker".
Ähnlich verfuhr man auch bei der Vergabe einer Konzession. Bei gutsituierten Leuten gab es keine Einwendungen: nicht beim Mitterfelser Hausbesitzer Ignaz Baumgartner, als der um "Errichtung einer Bierschenke nebst Verleihgabe von kalten und warmen Speisen, dann Kaffee und Weinschenke" nachsuchte und damit die spätere Gaststätte und Brauerei Moosmüller begründete; und nicht die Scheibelsgruber Gastwirtin Denk, als sie neben der bestehenden Dorfkramerei eine zweite einzurichten gedachte. Die Problemfälle aber waren und blieben die Fürsorgefälle. Einer verarmten Witwe konnte man nur 24 Kreuzer die Woche genehmigen, dazu 1 Paar Schuhe im Jahr. Lieber als mit Geld half man mit Gewährung der "Umhut" - wobei ein Bedürftiger reihum von Mitbürgern das Essen bekam; diese Leistung wurde zu einem geringen Teil steuerlich angerechnet. Der Schuhmacher Drexler war "wegen seines bösen Fußes" mehrere Wochen in Umhut; dann der 14-jährige Vollwaise Tremmel, bis man für ihn einen Dienstplatz fand; dann mehrfach der 42-jährige ledige Habberger, der trotz guten Willens einfach keine Arbeit bekam.
Bei der Verteilung von Posten und vorgeschriebenen Mitgliedschaften hätte man leicht jeden der 22 Bürger berücksichtigen können. Es gab als Bürgermeister den "Vorsteher", als Gemeinderat die "Beigeordneten", dann den Verwalter, den Pfleger, den Gemeindediener, den Flurwächter, die Feldgeschworenen, die Stallvisitatoren, den Brandversicherungsausschuss, und seit 1868 die fünfköpfige Einquartierungskommission mit einem Vorstand, einem Stellvertreter und Listenführer.
"Vorsteher" (Bürgermeister) waren Martin Graf von Schoppiehl 2 Jahre, Jakob Lehner 2 Jahre, Georg Wartner 2 Jahre, Georg Breu 3 Jahre, Wolfgang Steinbauer 4Jahre, Jakob Gall 2 Jahre und Anton Tremel 3 Jahre und nochmals 4 Jahre. Die Unterschriften sind je nach Hand eckig und auch schwungvoll; die komplizierten deutschen Buchstaben scheinen manchem recht arg zugesetzt zu haben. Vorsteher Graf mit sonst guter Schrift scheint einmal einen ganz schlechten Tag gehabt zu haben: sein "Graf" las sich eher wie ein "Stardin Yraß" - G und Y waren sich ja nicht unähnlich, weniger schon das f und ß. 1875 wird es stiller mit Sitzungen und Beschlüssen. Nur im April wird noch einmal ausführlich über Heimatrecht und Bürgeraufnahme beraten und beschlossen; dann mögen die anstehenden Fragen mehr im Wirtshaus diskutiert worden sein - vor allem die Zukunft der Gemeinde. Am 30. Oktober war die Zeit reif: Es wurde zur letzten Scheibelsgruber Bürgerversammlung geladen - einziger Beschlusspunkt: die Auflösung der Gemeinde. Waren sonst fast alle Versammlungen vollzählig besucht, so kamen diesmal nur 16 von 22 - vielleicht unterschrieben auch nur 16 von mehr Anwesenden; aber die erforderliche Zweidrittelmehrheit war erreicht.
Das Schlussprotokoll bringen wir im vollen Wortlaut:
Die Gemeinde Scheibelsgrub löst sich als solche auf und stellt an die Gemeinde Mitterfels das Ersuchen um Einverleibung in dieselbe, so dass beide Gemeinden nur mehr eine politische Gemeinde unter dem Namen "Gemeinde Mitterfels" bilden sollen. Nachstehende Gründe bestimmen diesen Beschluss:
- Die Gemeinde Scheibelsgrub ist zu klein.
- Befindet sich die Gemeinde Scheibelsgrub ohndieß in Mitten der Gemeinde Mitterfels und wird von Letzterer ganz umschlossen.
- ist die Gemeinde Scheibelsgrub nur mit 133 Steuergulden angelegt, was hinlänglich bestätigt, dass dieselbe aus lauter Kleingütlern besteht, welche die Ausgaben für eigne Verwaltung und die enormen Armenausgaben nicht mehr leicht zu decken im Stande sind.
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Um Genehmigung dieses Beschlusses wird gebeten.
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Landgemeinde Scheibelsgrub: Schrift- und Unterschriftenbeispiel vom 29. April 1857, wo es um eine Herberge für die Schindelmaierschen Inwohnerseheleute geht. – Für 4 Bürger steht das Kreuzchen als Handzeichen; der Martin Graf hat mit „Yraß“ unterschrieben; dem Joseph Hackl (unten) hat die schwere Hand kaum gefolgt. - Vergrößern durch Anklicken!
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30. Oktober 1875: Auflösungsbeschluss der Landgemeinde Scheibelsgrub, unterschrieben von 16 der 22 „stimmfähigen Gemeindeglieder“. - Vergrößern durch Anklicken!
Alt-Scheibelsgrub
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Da gleicht manches noch der Zeit, als Scheibelsgrub Landgemeinde war. Das „Gassl“ hat sich am längsten gehalten, und der Kirchenweg war noch ein Weg zum Schauen durch eine schöne, unverbildete Natur. - Vergrößern durch Anklicken!
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