Bairisch ist Hochdeutsch

Nein, diese Überschrift ist nicht provokant gemeint oder irgendein gewitzter Werbeslogan mit eingebautem Widerspruchsgag ...

... sondern ganz einfach eine Tatsache. Sie findet sich in ihrer ganzen schlichten Eleganz über einem Kapitel der „Bairischen Wortkunde" des Journalisten und Historikers Gerald Huber, die jetzt in einer erweiterten Neuauflage erscheint und aus der wir eine Leseprobe präsentieren dürfen. Lesen Sie im Folgenden Auszüge aus den einleitenden Kapiteln des Buches, die ein paar grundsätzliche Eckpfeiler zur Herkunft und Genese des Bairischen einschlagen. (Gerald Huber war im Oktober 2013 Gast des AK Heimatgeschichte Mitterfels zur gleichen Thematik.)

Sprachwissenschaftler unterscheiden bekanntlich zwischen den sogenannten hochdeutschen Sprachen, also grob gesagt den Regionalsprachen im hoch über dem Meeresspiegel gelegenen südlichen Teil Deutschlands, und den niederdeutschen Sprachen aus dem Tiefland im Norden. In der breiten Bevölkerung ist diese Unterscheidung nahezu unbekannt. Vielfach hört man immer, dass es die Norddeutschen seien, die das reinste Hochdeutsch sprechen (...)

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 Die heutige deutsche Schriftsprache ist ein künstliches Produkt – entstanden im Laufe der letzten 500 Jahre seit der Erfindung des Buchdrucks.


Oft wird selbst von Sprachwissenschaftlern die Schriftsprache als Sprache schlechthin betrachtet. Dabei weiß jeder, der sich damit beschäftigt, dass sich jede Schriftsprache zu einem nahezu eigenen System entwickelt hat, das mit der tatsächlich gesprochenen Sprache, die der Schriftsprache ja um Jahrtausende vorausgeht, weitgehend nichts mehr zu tun hat. Das betrifft nicht nur die Aussprache. Die heutige deutsche Schriftsprache ist ein künstliches Produkt, entstanden im Laufe der letzten 500 Jahre seit der Erfindung des Buchdrucks. Sie wurde zunächst dazu geschaffen, dass gedruckte Werke überall in Deutschland gelesen und verstanden werden können. Nicht weniger – aber auch nicht mehr. Trotzdem aber ist zu beobachten, dass diese künstliche Schriftsprache in mehreren großen Schüben Besitz ergriffen hat von den deutschen Sprechsprachen, die sie mittlerweile komplett zu unterwerfen droht.

Anfangs gab es noch deutliche Unterschiede, etwa zwischen der niederdeutschen Schriftsprache der Hanse und der ober- oder hochdeutschen Schriftsprache der Wiener Kaiserkanzlei. Zeitgleich zur berühmten Bibelübersetzung Luthers übersetzte auch Luthers katholischer Gegenspieler, der Ingolstädter Theologieprofessor Dr. Johannes Eck, die Bibel in einem lupenreinen südlichen Hochdeutsch. Letztlich aber setzte sich Luthers Hochdeutsch (seine Form der Bibel-Ausdeutschung) durch – vor allem auch deswegen, weil die niederdeutschen Länder die Reformation annahmen. Sie wollten jetzt auch die Lutherbibel lesen und lernten damit Hochdeutsch.


Die niederdeutschen Sprechsprachen Norddeutschland wurden zuerst eliminiert.


Es dauerte einige Jahrhunderte, bis man in Norddeutschland letztlich auch die niederdeutsche Sprache in den Sprechsituationen des Alltags eliminiert und durch ein mit niederdeutschem Akzent gesprochenes Hochdeutsch ausgetauscht hatte. Das sogenannte Plattdeutsch hat heute als Normalsprache der breiten Bevölkerung in Norddeutschland ausgedient. Nach angelsächsischem Vorbild gilt hier der Dialekt nicht als ein regionales, sondern als soziales Phänomen: Je tiefer die soziale Schicht, desto mehr Dialekt. Eine solche Wertung war den süddeutschen Ländern bis in die jüngste Vergangenheit völlig fremd.
Der entscheidende Schub zur Vereinheitlichung des Deutschen ist gekennzeichnet durch die Reichsgründung 1871. Wenige Jahre danach, nämlich 1880, brachte Konrad Duden sein erstes deutsches orthografisches Wörterbuch heraus. Seither gibt es ein einheitliches und auch in Teilen rechtlich verbindliches Schriftdeutsch für alle Deutschen. Übrigens auch für die Deutschen in Österreich und in der Schweiz, die aber besonders berücksichtigt werden.


Obwohl man in Österreich Mittel- oder Südbairisch spricht, kürzt der Duden regionale Ausdrücke mit „österr." ab.


So kommt es, dass etwa mittelbairische Ausdrücke, die in Oberbayern genauso selbstverständlich sind wie in Niederösterreich, im Duden mit der Abkürzung „österr." gekennzeichnet sind. Die Abkürzung „bair." kennt der Duden in bewährter nationalistischer Manier bis heute nicht. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Im Duden gibt es zwar die Abkürzung „ägypt." für Wörter, die ägyptischen Ursprungs sind, aber die sprachwissenschaftlich korrekte Bezeichnung für diejenige Sprache, die im weitaus größten Teil Österreichs gebräuchlich ist – Bairisch nämlich – kennt er nicht. Dafür setzt er den rein national motivierten Ausdruck „österreichisch".

Auch der gesprochenen Sprache ging es Ende des 19. Jahrhunderts an den Kragen. An Duden und seine Orthografie angelehnt schuf Theodor Siebs 1898 eine deutsche Orthoepie, also eine verbindliche Sprechsprache, die Grundlage wurde für das, was heute im Theater oder im Radio als sogenanntes Hochdeutsch gesprochen wird. Beides, Dudens Orthografie und Siebs' Orthoepie, sind künstliche Festschreibungen der Sprache, regelrechte Kunstsprachen, motiviert vor allem durch die Gründung des zweiten deutschen Kaiserreichs. Sie sollten diesem Reich eine einheitliche geschriebene und gesprochene Sprache verschaffen.


Nationalistische Tendenzen: „Ein Volk, ein Reich, eine Sprache"


„Ein Volk, ein Reich, eine Sprache" möchte man sagen, und es verwundert nicht, dass gerade in der zweiten großen nationalistischen Epoche seither, in der Nazizeit, weitergebaut wurde an der künstlichen Sprechsprache, die ihrerseits an der künstlichen Schriftsprache angelehnt ist. Dieser Druck ist 1945 und 1948 mit der Aufteilung und Regionalisierung Deutschlands zusammengebrochen, aber seit der Wiedervereinigung 1989/90 wieder deutlich spürbar. Es klingt ja auch so furchtbar logisch: Eine Nation, eine Sprache. Auch wenn es historisch und kulturell betrachtet absoluter nationalistischer Unfug ist. Solche zumindest auf sprachlicher Ebene nach wie vor krass nationalistische Tendenzen widersprechen fundamental der subsidiarischen und bundesstaatlichen Verfassung der Bundesrepublik sowie der verfassungsrechtlich verankerten Kulturhoheit der Länder – unter den Augen, mit Billigung und sogar unter Mitwirkung aller staatlichen Organe, vor allem der Kultusministerien der Länder.


Drei Regionalsprachen in Bayern: Fränkisch, Schwäbisch (Allemanisch) und Bairisch


Bayern vereint auf seinem Staatsgebiet die drei Regionalsprachen Fränkisch, Schwäbisch und Bairisch, also genau die drei Regionalsprachen, die konstituierend sind für das echte Hochdeutsche, eine Sprache, die noch unsere Klassiker, allen voran Goethe, geprägt hat. Der Geheimrat würde sich im Grab umdrehen, wenn er hören müsste, welche Sprache heute in Weimar, in Frankfurt oder auch in München gesprochen wird!
Allgemein hin teilt man das deutsche Sprachgebiet in zwei große Teile. Das sogenannte Niederdeutsche im Norden – dazu gehören heute alle plattdeutschen Dialekte samt dem Niederländischen, das es zu einer regelrechten Standardsprache gebracht hat – sowie das gesamte Hochdeutsche im Süden, wozu im Großen und Ganzen die ehemaligen germanischen Stammessprachen der Franken, der Thüringer und der Alemannen zählen. Auch das Bairische gehört zu diesem hochdeutschen Sprachgebiet – allerdings handelt es sich dabei um keine alte germanische Stammessprache. Denn der Begriff „Stamm der Baiern" ist ein historisches Kunstprodukt. Baiern, so begann man um das Jahr 500 die Leute zu bezeichnen, die im ehemaligen Land der keltischen Norer, Vindeliker oder Boier immer schon lebten. Bald auch fühlten sich, ganz ähnlich wie heute, Zugezogene aus aller Herren Länder als Baiovarii, als Baiern.

Baiern bis zur Donau, vielmehr die damalige Provinz Rätien, gehörte jahrhundertelang zu Italien. Neben den einheimischen Keltoromanen siedelte dort seit der Völkerwanderung ein buntes Völkergemisch, das bis weit ins Mittelalter lateinisch-romanisch geprägt war. Erst allmählich begann sich die romanische Sprache der angestammten Bevölkerung und die germanische der Neusiedler zu vermischen, was dazu geführt hat, dass das alte Bairisch in weiten Teilen eine Mischsprache zwischen romanischen und germanischen Elementen darstellt. Das in Teilen der Schweiz, Österreichs und Südtirols heute noch gesprochene Rätoromanisch ist ein Relikt der ehemals in ganz Rätien gesprochenen romanischen Sprache.

Die kulturell und sprachlich eigenständige Entwicklung des altbairischen Raums, der von der Salurner Klause bis nach Eger und vom Lech bis über Wien hinaus reicht, endet erst, als Kaiser Karl der Große den königsgleichen Herzog Tassilo absetzte und das mehr oder weniger unabhängige bairische Herzogtum seinem fränkischen Reich eingliederte. Seit dem 12. Jahrhundert schließlich wurde das alte Baiern mehrfach geteilt. Das Erbe der staatlichen Selbständigkeit Baierns hat Österreich angetreten. Der Freistaat Baiern hat zwar den alten Namen behalten, in seinen Grenzen aber zu Beginn des 19. Jahrhunderts auch zahlreiche Gebiete aufgenommen, in denen nicht bairisch, sondern fränkisch oder schwäbisch gesprochen werden.


Der bairische Sprachraum reicht von der Salurner Klause (Südtirol) bis Eger und vom Lech bis Wien. Er gliedert sich in drei Dialektgruppen, die mittel-, nord- und südbairischen Gruppen.


 

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Mit Bairisch, Baiern und dergleichen meint die Sprachwissenschaft dagegen immer die im engeren Sinn bairische Sprache, die in Teilen Böhmens, Bayerns, Österreichs und im italienischen Südtirol gesprochen wird.
Politische Grenzen sind nicht zwangsläufig Sprachgrenzen. Schon aus diesem Grund gibt es kein Niederbayerisch, kein Oberbayerisch und erst recht kein Österreich. Der bairische Sprachraum teilt sich in drei große Dialektgruppen: Mittelbairisch wird (grob gesagt) gesprochen in Ober- und Niederbayern, dem Salzburger Land sowie Ober- und Niederösterreich. Minimale dialektale Unterschiede von Ort zu Ort summieren sich dabei schließlich auf zu den größeren Unterschieden zwischen einem Münchner und einem Wiener, die beide trotzdem der mittelbairischen Dialektgruppe angehören. Im alten bairischen Nordgau nördlich der Donau und im Egerland (soweit als deutsche Sprachgruppe noch existent) wird Nordbairisch gesprochen. Das Nordbairische kennt man beispielsweise an den sogenannten gestürzten Diphtongen: Wo Süd- und Mittelbaiern Bruader und dahoam sagen, sagt der Nordbaier Brouder und dahoim. Wo Süd- und Mittelbaiern außerdem aus dem dem „l" nach Vokalen ein „i" machen (viel zuviel Gefühl = vui zvui Gfui), bleiben die Nordbaiern beim „l": Vüll zvüll Gfüll. Südbaiern dagegen sind (wiederum grob gesagt) die Steirer, die Kärntner, sowie die Nord-, Ost- und Südtiroler. Typisch für das Südbairische ist beispielsweise das so genannte gutturalisierte „k". Südbaiern sagen kchemma statt kemma (= kommen) oder Kchersch statt Kersch (= Kirschen). Bairisch also ist eine komplette (Regional-)Sprache mit eigenen Dialektgruppen und Ortsdialekten respektive Mundarten.

Der Freistaat Bayern hat auch als deutsches Bundesland seine kulturelle und sprachliche Eigenart immer gepflegt. Trotzdem erlebt das Bairische in den letzten Jahrzehnten einen rapiden Verfall. In größeren Städten wächst eine Generation heran, die ihre eigenen Urgroßeltern kaum verstehen würde. Im Gegenteil: Sie macht sich oft darüber lustig. Das aber hat Folgen. Goethe, der, wie er in seiner Autobiografie „Dichtung und Wahrheit" schreibt, „in dem oberdeutschen Dialekt geboren und erzogen" war, betont, er habe sein Frankfurterisch auch in Leipzig und in Weimar immer wieder „mit Behagen" hervorgehoben, sich aber von den Gebildeten, die an die alleinseligmachende Sprache Luthers glaubten, „jedesmal einen strengen Verweis" zugezogen, so dass er schließlich völlig verunsichert war. „Ich fühlte mich im Innersten paralysiert und wusste kaum mehr, wie ich mich über die gemeinsten Dinge zu äußern hatte."


Mit durch die Sprachgeschichte getragenes Selbstbewusstsein die alten Kultursprachen erhalten!


hubers wortkunde 12Es ist zwar nur ein schwacher Trost zu hören, dass selbst Goethe unter der völlig ungerechtfertigten Sprachdominanz einer gesellschaftlichen Mehrheit zu leiden hatte. Es zeigt aber, wie wichtig Sprache für den Menschen ist, für seine Psyche, für sein Selbstbewusstsein, sein ganzes Ich. Dieses Buch möchte dazu beitragen, die Schönheit und den Wert einer der traditionsreichsten Kultursprachen Europas wieder bewusst zu machen, Bewusstsein zu schaffen und dadurch das Selbst-Bewusstsein der Baiern im Umgang mit ihrer Sprache zu heben.

Andere deutsche Dialekte sollen aber dadurch mitnichten verächtlich gemacht werden. Jede Sprache hat ihre Berechtigung, denn in jeder schöpft, um wieder mit Goethe zu sprechen, eine ganz spezielle Volksseele ihren Atem. Gehen die Dialekte verloren, gehen auch die dazu gehörenden Seelen verloren, und mit dem Verschwinden der vielfältigen gesprochenen Sprachen verliert auch die einheitliche Schriftsprache ihre Berechtigung und Bedeutung. Es ist bestimmt kein Zufall, dass in Zeiten, in denen Dialekte für minderwertig erklärt werden, auch die standardisierte Schrift- und Literatursprache einen Niedergang erlebt. Wer dagegen will, dass die Sprache Luthers, Goethes und Thomas Mann eine Zukunft hat, der muss dafür sorgen, dass das Deutsche seine vielfältigen Wurzeln in der gesprochenen Sprache nicht verliert.

 

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Gerald Huber, *1962 in Landshut, ist Bayernredakteur beim BR, wo er u. a. für die Reihe „Zeit für Bayern" (sonntags um 12.05 Uhr auf Bayern2) zeichnet. Seine Hörfunkreihe „Kleine bairische Wortkunde", in der er die bairische Etymologie erklärt, ist sozusagen legendär. Das darauf basierende Buch „Hubers bairische Wortkunde" erschien vor kurzem beim Volk Verlag.

ISBN: 978-3-86222-107-3

Preis: € 19,90

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