Bayerische Geschichte
Eine Geschichte voller Neuanfänge
Historische Ansichtskarte (Repro - Bildarchiv AK Heimatgeschichte Mitterfels)
Historiker Guido Scharrer informiert über Synagoge und jüdisches Leben in der Stadt
Am 15. Mai 1945, eine Woche nach Kriegsende, sollen in Straubing 700 Überlebende des KZ-Außenlagers Ganacker den ersten jüdischen Gottesdienst in Deutschland gefeiert haben. Etwa 900 Mitglieder zählt die Israelitische Kultusgemeinde heute. Straubing ist das jüdische Zentrum in Niederbayern, die Synagoge an der Wittelsbacherstraße eine der wenigen, die in der Reichspogromnacht 1938 nicht zerstört wurden. Zwischen dem Bau des heute einzigen jüdischen Kultbaus im Regierungsbezirk im Jahre 1907 und heute liegen viele Ereignisse voller Leiden und auch Freuden. Darüber hat Historiker Guido Scharrer am Dienstagabend zahlreiche Gäste informiert, die der Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung zum Vortrag in der Synagoge gefolgt waren.
Historiker Guido Scharrer zeigte bei seinem Vortrag Bilder vom Inneren der Synagoge aus früherer Zeit.
Die Geschichte der Juden in der Stadt Straubing ist von Neuanfängen, Vorurteilen und Vertreibungen geprägt. Bereits 1338 gab es „furchtbare Pogrome“, erklärte Scharrer. Die Sicherheit der Juden verschlechterte sich laufend durch Beschuldigungen, die von der Geschichtswissenschaft als völlig unbegründet gewertet werden. Juden sollen Kinder ermordet oder die Pest ausgelöst haben. Furchtbare Pogrome, etwa 1338, bewiesen diese Entwicklung. „Der Haupthintergrund war, dass man so seine Schulden loswerden konnte“, erklärte Scharrer, denn der Herzog legitimierte diese Morde und Verwüstungen und veranlasste, die Schulden der Bürger bei den Juden seien „getilgt“. Später verfolgte Herzog Albrecht III. ebenso eine judenfeindliche Politik und vertrieb sie aus Straubing. Erst Anfang des 19. Jahrhunderts, berichtete Scharrer, ließen sich langsam wieder Juden in Straubing nieder.
Jahrhunderte später folgte das dunkelste Kapitel der Geschichte. Mit der Herrschaft der Nationalsozialisten änderte sich auch in Straubing alles, begonnen mit der brutalen bis heute legendenumwobenen Ermordung des israelitischen Güterhändlers Otto Selz. Jüdische Geschäfte wurden boykottiert, ein Badeverbot in der Donau für Juden erlassen und Hetzschriften verteilt. Den Gipfel fand der Terror hier wie andernorts in der Reichspogromnacht 1938, in der unter anderem mehrere Schaufenster jüdischer Geschäfte zertrümmert, Läden geplündert und in der Synagoge Thorarollen angezündet wurden. 1945 waren noch zwei Juden in Straubing registriert, viele waren schon früher geflohen, andere nach Osten deportiert und in Konzentrationslagern umgebracht.
Seit wann Juden in der Stadt zuhause waren, darüber gebe es keine eindeutigen Quellenbelege. Doch als Geldverleiher seien sie sicher maßgeblich an der Städtegründungswelle im späten zwölften und frühen 13. Jahrhundert beteiligt gewesen.
Bau der Synagoge
1896 wurde eine Israelitische Kultusgemeinde gegründet. Damals wohnten zwölf jüdische Familien in der Stadt. 1907 fand nach fünf Monaten Bauzeit, „damals bauten sie schneller“, schob Scharrer grinsend ein, die Einweihung der Synagoge statt, in deren Gemeindehaus eine Mikwe, ein rituelles Tauchbad, ein Schlachtraum, Bäder, Wirtschaftsräume, Schulzimmer und Gemeinderäume eingerichtet wurden.
„In Straubing gehört sie zweifellos zu den eindrucksvollen Bauten der späten Gründerzeit“, sagte Scharrer, der auf Architektur und Symbole des Kultbaus einging. Er spricht von „harmonischer Vielgliedrigkeit“ und „symbolhafter Gestaltung“, welche sich vor allem an der monumentalen Westfassade zeige, welche zwei Türme flankieren, die von Davidsternen gekrönt werden.
Symbol des jüdischen Glaubens: der siebenarmige Leuchter, die Menora
Der Davidstern ist übrigens nicht das wichtigste Symbol des jüdischen Glaubens, sondern der siebenarmige Leuchter, die Menora. In der Straubinger Synagoge ist sie als Relief (kleines Bild) und stehend in moderner Form zu sehen. Die Zahl 7 weise auf „eine der wichtigsten Erfindungen, die das Judentum der Menschheit geschenkt hat“, hin, zitierte Scharrer: die Sieben-Tage-Woche. Der Davidstern hingegen sei schon länger bekannt, nicht nur als jüdisches Symbol, wo er durch zwei einander zugewandte Dreiecke die Zuwendung von Gott zum Menschen und umgekehrt zeigen soll.
Auch den Thoraschrein, den ein blauer Samtmantel verhüllt, öffnete die Geschäftsführerin der Kultusgemeinde, Anna Zisler, für die Besucher. Darin sind mehrere prächtig geschmückte Thorarollen aufbewahrt, die nur mit der Hand beschrieben werden dürfen. Die Thora ist die wichtigste Schrift der Juden, die die fünf Bücher Moses und 613 Vorschriften enthält, erklärte Scharrer. Zur Einrichtung gehören auch mehrere Gedenktafeln, die später von der ein Jahr nach Kriegsende gegründeten, neuen israelitischen Kultusgemeinde angebracht wurden. Auch das Ehrenmal im Pulverturm erinnert an die jüdischen Opfer der zwei Weltkriege. 1988/89 wurde die Synagoge renoviert, seit 2002 gibt es einen neuen jüdischen Friedhof in Lerchenhaid, der alte befindet sich im Thomasweg.
Bei der Einweihung des neuen Anbaus an die Synagoge 2006 stellte der langjährige Vorsitzende der Gemeinde Israel Offman, fest, dass in der jüdischen Geschichte „immer wieder ein neuer Anfang möglich ist“. Etwa 550 von 900 Mitgliedern der Gemeinde wohnen heute in Straubing. Geprägt von Hoffnung, aber auch zunehmender Angst vor wachsendem Antisemitismus sei die Entwicklung der Gemeinde, sagte Scharrer.
Gemeindemitglieder bewirteten im Anschluss an den Vortrag alle Gäste im Gemeindesaal und saßen mit ihnen zum Gedankenaustausch zusammen.
Quelle: rus, in: Straubinger Tagblatt vom 13. November 2014 (Anmerkung: Zeitversetzte Veröffentlichung aufgrund einer 14-tägigen Sperrfrist)
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