Auf der Walz. „Mal schauen, wo es mich hinverschlägt.“

Falk ist Bäcker auf Wanderschaft und hat drei Monate bei Familie Grimm, Falkenfels, gearbeitet

falk grimmAuf einer Parkbank, unter einer Rutsche auf dem Spielplatz oder im Fünf-Sterne-Hotel - in den vergangenen Monaten hat Falk schon überall geschlafen. Er ist Bäcker und kommt aus der Nähe von Kassel. Und er ist gerade auf der Walz. Am 22. Juli letzten Jahres ist er in seinem Heimatdorf losmarschiert. Am 16. November ist er in Falkenfels in der Bäckerei von Wolfgang und Karin Grimm gelandet.

Am Morgen hat er bei der Familie angerufen, am Abend stand er dann vor der Tür. "Mein erster Gedanke war: Was will ich denn mit einem Zimmerer in der Backstube", erzählt Wolfgang Grimm mit einem Lächeln. Er wusste bis dahin nicht, dass es auch Bäcker auf Wanderschaft gibt. Aber nach genauerem Hinsehen hat er gemerkt: Die Weste sieht vom Muster her aus wie eine Bäckerhose. Dann war für ihn und seine Frau gleich klar, dass sie dem 27-Jährigen Arbeit geben, denn "Tradition verpflichtet". Falk, der seinen Nachnamen nicht nannte, weil er wie alle Wandergesellen seinen Nachnamen abgelegt hat, hat sich gefreut, dass er mit so offenen Armen aufgenommen wurde.

Foto: Der Bäcker Falk ist derzeit auf Wanderschaft. Die vergangenen drei Monate hat er bei Familie Grimm in Falkenfels gearbeitet. (Foto: kh)

Es ist seine erste richtige Anstellung als Bäcker, seit er zur Wanderschaft aufgebrochen ist. Die ersten drei Monate war er noch in Ausbildung zum Wandergesellen, in denen ihm sein Altgeselle die Tradition und Regeln des Wanderns beibrachte, damit er sich allein auf der Straße durchschlagen kann. Dann arbeitete er auf einigen Baustellen mit und sah sich das Land ein wenig an. Schließlich führte ihn sein Weg nach Falkenfels .

Kluft gibt Vertrauen

Einen Großteil der Strecke legte Falk zu Fuß zurück. Den Rest versuchte er zu trampen. Das funktionierte auch recht gut. "Einen Gesellen auf der Walz nimmt man eher mit als einen normalen Tramper, weil man sich sicherer fühlt. Die Kluft gibt den Leuten einfach einen Vertrauensvorschuss", erklärt Falk. Dabei machte er recht positive Erfahrungen. "Einer ist mal extra für mich 160 Kilometer Umweg gefahren." Aber es ist nicht immer so einfach, von einem Ort zum anderen zu gelangen. In Nürnberg wollte er beispielsweise auf einen Rastplatz an der Autobahn. Es gab aber keinen Weg dorthin. Also versuchte er es auf Umwegen. "Auf einmal waren lauter Büsche da. Ich hatte die Wahl - entweder umdrehen oder einen Kilometer auf der Standspur marschieren", erinnert sich Falk. Er entschied sich für die Standspur, obwohl er selbst bekennt: "Es war nicht unbedingt die beste Idee." Es dauerte dann auch nicht lange und die Autobahnpolizei hat ihn aufgelesen. Die Polizisten hätten es aber mit Humor genommen.

Auch gibt es Plätze, die man meiden sollte, weil bekannt ist, dass man dort einen schweren Stand hat oder dass einfach keine Autos fahren. Ihm selbst ist es auch passiert, dass er einmal sechs Stunden an einem Ort gewartet hat, bis endlich ein Auto gekommen ist. "Und der hat mich dann nicht einmal mitgenommen." Dann hieß es zu Fuß weitermarschieren und wo anders das Glück versuchen.

Wenn Falk in eine Ortschaft kommt, in der er eine Nacht bleiben will, führt ihn der erste Weg zum Bürgermeister. Dort holt er sich einen Stempel ab, der in sein Reisebuch kommt. "Früher war das die Aufenthaltsgenehmigung für die Wandergesellen. Sie hatten dann drei Tage Zeit, Arbeit zu finden", erklärt der 27-Jährige, der als Frei-Reisender unterwegs ist und keiner Gruppe angehört. Auch Wolfgang und Karin Grimm haben sich in dem Buch mit einem Arbeitszeugnis verewigt.

Hälfte der Zeit arbeiten

Um überhaupt auf Wanderschaft gehen zu dürfen, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt und ein paar Regeln beachtet werden. Unter anderem darf die Gesellenprüfung nicht länger als 30 Jahre zurückliegen. Man darf auch nicht verheiratet sein oder Kinder haben. Zudem sollte die Hälfte der Zeit gearbeitet werden und man sollte sechs bis sieben Betriebe zusammenbringen. Laut Falk werden es aber meist mehr, da man nur drei Monate im gleichen Betrieb arbeiten darf.

Die Kluft immer zu tragen, ist Pflicht. Für Unterkunft und Fahrt darf kein Geld ausgegeben werden und man darf kein Handy bei sich haben. Und dann gibt es noch eine Bannmeile. Die besagt, dass man sich seinem Heimatort nicht näher als 50 Kilometer nähern darf. Auch nicht, wenn die Autobahn da durch verläuft. In diesem Fall muss man einen Umweg in Kauf nehmen. Die Mindestreisezeit ist auf drei Jahre und einen Tag festgesetzt. Im ersten Jahr darf man im deutschsprachigen Raum reisen, im Zweiten in Europa und im Dritten in der ganzen Welt. Der zusätzliche eine Tag soll für alles stehen, was danach kommt.

Gern erinnert sich Falk an das Ritual der Nagelung zurück. Bevor er auf Wanderschaft ging, hat ihn sein Altgeselle mit dem Ohrläppchen an der Tischplatte festgenagelt. Falk durfte sich sogar den Hammer aussuchen. Dann hing er zehn Minuten, in denen er sich freikaufen musste. Er muss im nächsten Jahr das große Treffen für die Lebensmittelgewerbe organisieren und die Hälfte der Getränke übernehmen. "Da wird hoch gepokert", erklärt Falk.

Ganzes Dorf war dabei

Ein besonderer Moment war für ihn der Abmarsch aus seiner Heimat, bei dem das ganze Dorf dabei war. Gemeinsam ging es zum Ortsschild, wo er zwei Flaschen einbuddelte. Eine mit einem Begrüßungsschluck, wenn er wieder heimkommt, die andere mit Wünschen der Familie. Dann kletterte er aufs Ortsschild, noch mal ein Blick zurück in die Heimat und dann ein Sprung in die Arme der Gesellen, die ihn anfangs begleiteten. Zurückgeblickt werden darf nicht mehr. "Es war schon hart, als es so weit war, aber man ist sofort in einer anderen Welt", erzählt Falk.

Genauso wie vor sechs Monaten hieß es gestern Vormittag wieder Abschied nehmen. Dieses Mal von Falkenfels und Familie Grimm. Falk machte sich auf nach Bremen, wo er sich mit anderen Gesellen trifft, um ein soziales Projekt zu realisieren. Mit seinen Wandergesellen ist er regelmäßig per Internet in Kontakt. Derzeit gibt es 600 bis 700 Wandergesellen, darunter nur zehn bis 15 Bäcker. Frauen machen etwa 15 bis 20 Prozent aus.
Wohin es Falk danach zieht, weiß er noch nicht: "Mal schauen, wo es mich hinverschlägt." Frankreich, Schweiz, Österreich und Norditalien sind mögliche Ziele. Auch nach Amerika möchte er gerne noch reisen. Aber ein Termin steht schon fest. Im März hat Falk eine Ehrenkarte für den Bäckerball in Straubing. Dann gibt es wahrscheinlich ein Wiedersehen mit Familie Grimm.


 

Quelle: Katrin Wallner, in: SR-Tagblatt vom 1. Februar 2014, Seite 17

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