Die Begründung der Demokratie in den Nachkriegsjahren - Wahlen 1946 in der Gemeinde Mitterfels

wahlen1946 mitterfelsIn diesem Jahre 2013 finden in Bayern zwei Wahlen statt: Bei der Landtagswahl hatten am 15. September 2013 rund 9,4 Millionen Wahlberechtigte die Möglichkeit, über die Zusammensetzung des 17. Bayerischen Landtages zu entscheiden. Gleichzeitig fanden die Wahlen zu den sieben bayerischen Bezirkstagen und die Abstimmung über fünf Volksentscheide zur Änderung der Bayerischen Verfassung statt. Die Wahl zum 18. Deutschen Bundestag findet am 22. September 2013 statt. Damit bestimmen die Bürger die Politik für die nächsten fünf (Landtagswahl) bzw. vier Jahre (Bundestagswahl) mit.

In Deutsch­land gibt es erst seit 1918 ein allgemeines Wahlrecht - und das ging bereits nach 15 Jahren (1933) wieder verloren. Umso beachtlicher ist es, dass bei den ersten Wahlen 1946 die Wahlbeteiligung teilweise bei über 85 Prozent lag. 

 

Zusammenbruch und Neubeginn

Dass nach dem totalen Zusammenbruch in Deutschland kein Chaos entstand, haben wir - wie so vieles - der amerikanischen Besatzung zu verdanken. Die Armeeeinheiten wurden von sog. „Military Government Detachments" (Mi­litärische Regierungsabteilungen) begleitet, die bereits Ende 1944 Pläne für die Versorgung der Bevölkerung und den Aufbau der Verwaltung entwickelt hatten. „Die Detach­ments brachten im Mai und Juni 1945 das öffentliche Leben in den Städten und Landkreisen Bayerns wieder in Gang. Sie setzten, wo sie geeignete Deutsche fanden, sofort neue Bür­germeister und Landräte ein." [1]

Für Bayern war General Clay als Militärgouverneur zu­ständig. Er hatte als einer der ersten erkannt, dass man das deutsche Volk nicht dem Untergang preisgeben könne, sondern dass man es durch geeignete Maßnahmen wirtschaftlich und verwaltungsmäßig unter Einbeziehung geeigneter Personen fördern müsse. Dazu musste vor allem eine Ver­wal­tung von unten nach oben aufgebaut werden.

Die neue Staatsform der Demokratie konnte nur durch freie Wahlen funktionieren. Berater der Militärregierung rieten zwar ab, zu so einem frühen Zeitpunkt freie Wahlen durchzuführen, da die Deutschen nach den Jahren der Dik­tatur dafür noch nicht reif seien. Außerdem befürchtete man, dass auf Grund der wirtschaftlichen Notlage die Kom­mu­nis­ten bevorzugt würden. General Clay war jedoch der Auffas­sung, man „müsse ins Wasser gehen, um schwimmen zu lernen". [2] Bereits im November 1945 wurden die ersten Wahlen angekündigt. Am 27. Januar 1946 fanden die Gemein­dewahlen statt (Bürgermeister und Gemeinderäte), am 28. April 1946 die Landkreiswahlen. Bürgermeister, Pfarrer, Behör­den und Zei­tun­gen riefen eindringlich zum Wählen auf, weil ein allgemeines Desinteresse erwartet wurde. Das Ge­genteil war der Fall: Bayernweit war die Beteiligung sensationell hoch. Bei den Gemeindewahlen betrug die Wahl­beteiligung 86 Pro­zent, bei den Landkreiswahlen 77 Pro­zent. Bei den Gemeindewahlen im Januar erreichte die neu ge­gründete CSU, die zum großen Teil aus der ehemaligen Bayerischen Volkspartei (BVP) hervorging, bayernweit 44,7 Prozent, die SPD 16 Prozent. Die parteilosen Kandi­daten kamen zusammen auf 35,5 Prozent. [3] Bei der Höhe der Wahlbeteiligung ist zu bedenken, dass man mindestens ein Jahr in der Gemeinde den Wohnsitz haben muss­te, um wahlberechtigt zu sein. Das war natürlich bei den Flücht­lingen und Evakuierten nicht der Fall.

Die Situation in Mitterfels 1945

Die Situation in Mitterfels in den letzten Kriegstagen und in den Monaten April bis August 1945 ist uns durch das Tagebuch des Hauptlehrers Karl Heiß genau bekannt. Beim Einmarsch der Amerikaner versah Franz Schmatz das Amt des Bürgermeisters. Er empfing zusammen mit dem Schlos­sermeister Ernst Stapf die mit Panzern anrückenden Ame­rikaner an der Straßenkreuzung nach Ascha. Damit der Ort von Kriegshandlungen verschont bliebe, gab er die Versi­che­rung ab, dass Mitterfels nicht verteidigt werde. Dafür musste er dem amerikanischen Offizier gegenüber mit seinem Kopf bürgen. Da die Amerikaner eine örtliche Be­zugs­person brauchten, blieb er bis zum 30. August im Amt. Er konnte jedoch nicht länger Bürgermeister bleiben, da er wie jeder, der eine öffentliche Funktion bekleidet hatte, Par­teimitglied war. Als mehrere vorgeschlagene Personen ab­lehnten, wurde der Kaufmann Albert Dietl sen. vom amerikanischen Militärgouverneur in Bogen zum Bürgermeister von Mitterfels ernannt.

 

Die Gemeindewahlen in Mitterfels im Januar 1946

Albert Dietl sen. wurde mit 450 von 474 Stimmen zum 1. Bürgermeister gewählt.

88,9 Prozent Wahlbeteiligung bei der Gemeindewahl

Zugrunde gelegt war die Einwohnerzahl der Gemeinde Mitterfels nach dem Stand der Volkszählung von 17. Mai 1939. Sie betrug 1 113 Einwohner. Von 573 Wahlberechtigten wurden 506 gültige Stimmen abgeben. Wahlberechtigt war, wer seinen Wohnsitz mindes­tens ein Jahr in der Gemeinde hatte. Es gab nur einen Wahl­vorschlag: Kennwort: Christlich Soziale Union (CSU).

Von 14 Bewerbern wurden folg. 9 Gemeinderats­mit­glie­der gewählt:
     Xaver Zollner, Landwirt, Spornhüttling
     Andreas Gürster, Landwirt, Scheibelsgrub
     Johann Feldmeier, Landwirt, Weingarten
     Johann Kirschner, Landwirt, Kreuzkirchen
     Josef Attenberger, Landwirt, Mitterfels
     Clement Lang, Wagner, Mitterfels
     Xaver Haimerl, Schuhmacher, Mitterfels
     Alois Pfeffer, Landwirt, Mitterfels
     Johann Raith, Arbeiter, Mitterfels

Alle Gewählten erhielten zwischen 478 und 441 Stim­men. Da es noch nicht die Möglichkeit des Häufelns gab, war der Stimmenunterschied sehr gering. Interessant ist das Ergebnis im Hinblick auf die Sozialstruktur in der damaligen Gemeinde Mitterfels: Von den Gewählten waren sechs Landwirte, zwei Handwerker und ein Arbeiter. Bei einer Wahlbeteiligung von 88,3 Prozent wurde der Landes­durch­schnitt von 86,9 Prozent sogar noch übertroffen. Auch der Blick auf die Bevölkerungsstruktur zeigt die damalige Aus­nahmesituation kurz nach Kriegsende: Von den 573 Wahl­berechtigten waren 187 Männer und 386 Frauen. Der „Män­nermangel" ist darauf zurückzuführen, dass viele der Män­ner zwischen 18 und 45 im Krieg gefallen, vermisst oder noch in Gefangenschaft waren. Die Wahlbeteilung betrug bei den Männern 77,5 Prozent und bei den Frauen 93,5 Prozent (!).

 

Die Landkreiswahlen 1946

Kreistagswahlen am 28. April 1946

Die Zahl der Wahlberechtigten der Gemeinde Mitterfels betrug inzwischen 677. Von diesen beteiligten sich 580 an der Wahl, also beachtliche 86 Prozent. Auch hier war die Wahlbeteiligung im Vergleich zu Bayern mit 77 Prozent sehr hoch. Die gültigen Stimmen verteilten sich in Mit­terfels wie folgt: CSU: 467, Unabhängige Liste: 62, SPD: 35, KPD:13.

Das „Amts-Blatt des Landkreises Bogen" (ABLB) er­schien erstmals am 1. Juni 1946. Somit konnte die Zusam­mensetzung des Kreistages Bogen erst in Nr. 4 des ABLB ersehen werden. Durch eine Entschließung des Bayer. Staatsministeriums des Inneren vom 3.5.1946 war die An­zahl der Sitze des Kreistages Bogen von 32 Sitzen auf 44 erhöht worden. Somit erhielten die CSU nach dem Wahl­er­gebnis 36 Sitze (statt 26 Sitze), die SPD und die Unab­hängige Liste jeweils 4 Sitze. Die KPD erhielt keinen Sitz. Da die Liste der CSU nur 28 Kandidaten enthielt, blieben acht Sitze, die der CSU zustanden, unbesetzt.

Mitterfels war mit drei Kreisräten der CSU im Kreistag vertreten: Dietl Albert sen., Zollner Xaver, Lang Clement.

Landrat Albert Dietl sen.

Die Landräte wurden noch nicht von den Bürgern ge­wählt, sondern durch die Kreisräte. Nachdem vom 26. April 1945 bis zum 20. Mai 1946 nacheinander drei verschiedene Landräte im Landkreis Bogen von den Amerikanern er­nannt worden waren, wurde am 21. Mai 1946 der Landrat erstmals von den Kreisräten gewählt. In der ersten Sitzung des Kreis­tages Bogen wurde Dr. Curt Keller zum Landrat gewählt. Da Dr. Keller juristischer Beamter des Land­rats­amtes war, wurde am 15.11.1946 Albert Dietl sen. aus Mitterfels vom Kreistag zum Landrat gewählt. Er versah das Amt bis 2.6.1948. Seit dieser Zeit bis zur Gebietsreform 1972 war Xaver Hafner Landrat des Landkreises Bogen, bis 1978 Landrat des Landkreises Straubing-Bogen.

 

Wahl der Verfassunggebenden Landesversammlung am 30. Juni 1946 -

Landtagswahl am 1. Dezember 1946


Gleichzeitig mit der Landtagswahl fand der Volks­ent­scheid über die Bayerische Verfassung statt. Diese war von der Verfassunggebenden Landesversammlung nach deren Wahl (30.6.1946) am 26.10.1946 angenommen worden. Bei beiden Wahlen war die Stimmverteilung in Bayern ähnlich.

 

Wahl zur Verfassunggebenden Landesversammlung 1946

CSU: 58,3 %, SPD: 28,8 %, FDP: 2.5 %, KPD: 5,3 %. WAV (Wieder­aufbauvereinigung): 5,1 %. [4]


Landtagswahl 1946

CSU: 52,3 %, SPD: 28,6 %, FDP: 5,7 %, KPD: 6.1 %, WAV: 7,4 %. [5]

 

Die Wahl der Verfassunggebenden Landesversammlung 1946 in Mitterfels

Die Zahl der Wahlberechtigten betrug nun 686. Die Wahl­berechtigten mussten am Tag der Wahl das 21. Le­bensjahr vollendet haben und mindestens ein Jahr den fes­ten Wohnsitz in Bayern haben. 116 Personen waren von der Wahl ausgeschlossen: 59 wegen „Nazizugehörigkeit", 57 aus anderen Gründen.

Interessant sind die Hinweise, dass die von den Nazis den jüdischen Mitbürgern zusätzlich aufgedrängten Namen „Israel", „Sarah" usw. nicht mehr verwendet werden dürfen und dass die Personen, die während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft wegen Vorbereitung zum Hochver­rat rechtskräftig durch Richterspruch die bürgerlichen Eh­renrechte verloren hatten, nicht vom Wahlrecht ausgeschlossen sind. (Schreiben des Landrats Nr. 003/9 v. 10.6.1946 an die Bürgermeister des Landkreises Bogen)

Wahlergebnis: Bei einer Wahlbeteiligung von 80 % ent­fie­len von 530 gültigen Stimmen auf: CSU: 375 (70,7 %), SPD: 96 (18,1 %), FDP:11 (2,1 %), KPD: 37 (7,0 %), WAV: 11 (2,1 %).

 

Das Ergebnis der Landtagswahlen in Mitterfels

Inzwischen war die Zahl der Wahlberechtigten im Ver­gleich zum Januar 1946 von 573 auf 776 gestiegen. Dies beruhte vor allem darauf, dass man nun nur seit mindestens sechs Monaten seinen ständigen Wohnsitz in Bay­ern haben musste, um wahlberechtigt zu sein. Voraus­set­zung war aber auch, dass der Wahlberechtigte von der Spruch­kammer für entlastet erklärt worden war oder lediglich als Mitläufer während der „Naziherrschaft" befunden worden war und die auferlegte Buße vollständig geleistet hatte.

Interessant ist der Hinweis in der Wahlniederschrift auf die Zahl der Wahlberechtigten: 776 (ohne Nazi!), Zahl der aus­geschlossenen Personen: 62, Zahl der abgegebenen Stim­men: 621, Zahl der ungültigen Stimmen: 40, Zahl der gültigen Stimmen: 581.

Wahlergebnis: CSU: 394 (67,8 %), SPD: 103 (17,7 %), FDP: 17 (2,8 %), KPD: 34 ( 5,9 %), WAV: 33 (5,8 %).

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Grafik links: Wahl der Verfassunggebenden Landesversammlung am 30. Juni 1946 - Grafik rechts: Landtagswahl am 1. Dezember 1946 (ft)

 

Der Bayerische Landtag konstituiert sich

Die aus der Bayerischen Volkspartei und dem Bauern­bund erst 1945 gegründete CSU erreicht 104 von 180 Man­daten und damit die absolute Mehrheit. Die SPD erreicht 54 Sitze. Auf die WAV, eine Sammelbewegung des Mittel­standes und der Heimatvertriebenen, denen die Besat­zungs­macht die Gründung einer eigenen Partei verboten hatte, entfallen 13 Sitze. Die FDP erreicht 9 Mandate. Die KPD geht leer aus, obwohl sie mit 6,1 % mehr Stimmen hat als die FDP mit 5,7 %; aber nach einer Klausel des bayerischen Wahlgesetzes musste eine Partei in einem Regie­rungsbezirk mindestens 10 % erreicht haben, um in den Landtag einzuziehen.

Am 16. Dezember 1946 tritt der Bayerische Landtag in der Aula der Universität München zur konstituierenden Sitzung zusammen und wählt mit der Mehrheit der Stim­men der CSU und der SPD den Oberfranken Hans Ehard zum Ministerpräsidenten.

 

Demokratie besteht erste Bewährungsprobe

Das Erstaunlichste an den Wahlen 1946 ist die große Wahlbeteiligung. Gleich viermal wurden die Bürger zur Wahl­urne gerufen und das nach 12 Jahren Diktatur und den Schrecken des Krieges. Vielleicht war das gerade der Grund für die überaus große Beteiligung an demokratischen Wahlen. Die Weimarer Republik war unter anderem am mangelnden demokratischen Engagement der Mehrheit der Staatsbürger gescheitert.

Wenn man feststellt, dass heute - fast 70 Jahre nach Kriegs­ende und 60 Jahre wirtschaftlichem Aufschwung - die Wahlbeteiligung zusehends abnimmt und die Nicht­wähler bei vielen Wahlen die stärkste Gruppe sind, stimmt das mehr als bedenklich. So betrug die Wahlbeteiligung in der Stadt Straubing bei den Kommunalwahlen 2008 nur 48 Prozent; im Landkreis Straubing-Bogen allerdings lag sie bei 70 Prozent. Bei der Landtagswahl 2013 stieg allerdings - erfreulicherweise - die Wahlbeteiligung wieder bayernweit an. 

Die viel zitierte „Politikverdrossenheit" ist meist nur eine Ausrede für Bequemlichkeit oder mangelndes politisches Interesse, die Unzufriedenheit oft nur ein „Jammern auf hohem Niveau". Die hohe Prozentzahl der Wahlbeteiligung von über 86 Prozent bei den Kommunalwahlen 1946 wurde seit der Einführung des allgemeinen Wahlrechts 1918 nie mehr erreicht. Das junge Pflänzchen Demokratie hatte die erste Bewährungsprobe bestens bestanden.

 

Quellenangaben und Literatur:

[1] Maximilian Lanzinger, Zwischen Sternenbanner und Bundesadler, Bayern im Wiederaufbau 1945 - 1958, Regensburg 1996 , S. 21
[2] Ebd. S. 55 - [3] Ebd. S. 55 f - [4] Ebd. S. 56 - [5] Ebd. S. 58

Amtsblatt des Landkreises Bogen (ABLB) 1946, Nr. 1 - 4
Wahlniederschriften der Gmde Mitterfels 1946, lfd. Nr. 3+4
Hans Nöhbauer, Die Chronik Bayerns, Dortmund 1987


 

Quelle: Alois Bernkopf, in: Mitterfelser Magazin 14/2008, Seite 133 ff

 

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