Haselbach
Der Weg aus der Sucht
Stephan Gruber leitet seit dem 1. Februar 2024 die Fachklinik in Haselbach. Foto: Stephan Gruber – Vergrößern durch Anklicken!
Stephan Gruber ist der neue Leiter der Haselbacher Fachklinik für Suchthilfe:
Im Interview erzählt er, wie …
… eine Therapie im Bayerischen Wald aus der Abhängigkeit herausführt.
Der Kampf mit der Sucht ist für Betroffene schwer. Hilfe gibt es in der Caritas-Fachklinik für Suchthilfe in Haselbach. Sie hat seit Februar mit Stephan Gruber einen neuen Leiter. Zuvor arbeitete er als Oberarzt der Abteilung für Abhängigkeitserkrankungen am Bezirksklinikum Mainkofen. Wie Ärzte und Therapeuten süchtigen Menschen zurück in ein geregeltes Leben helfen.
Herr Gruber, wie sind Sie zur Suchthilfe gekommen?
Stephan Gruber: Ich habe zuerst eine Ausbildung zum Psychiater gemacht und bin dadurch an das Bezirksklinikum Mainkofen gekommen. Dort war ich in der Suchtabteilung – und bin zehn Jahre dort geblieben, weil es mir gefallen hat.
Warum sind Sie nach Haselbach gewechselt?
Gruber: Ich bin in Mainkofen in einer leitenden Position gewesen. Das hat mir viel Spaß gemacht. Ich wollte wieder mehr psychotherapeutisch arbeiten und nicht auf den Akutstationen. Als das Angebot aus Haselbach kam, habe ich es aus diesen Gründen angenommen. Mainkofen und Haselbach arbeiten häufig zusammen, weshalb ich die Caritas-Fachklinik bereits geschätzt habe.
Wie unterscheidet sich Ihre Arbeit in Mainkofen und Haselbach?
Gruber: In Mainkofen kommen die Patienten mit großen Mengen Alkohol und Drogen im Blut an. Das sind die akuten Fälle. Ist diese erste Behandlung vorbei, bekommt der Patient eine Entwöhnungstherapie, die dem Süchtigen zurück in die Arbeitswelt helfen soll. Diese findet dann zum Beispiel in Haselbach statt. Es geht dabei mehr um die Gründe hinter der Sucht.
Was führt bei vielen Patienten zu einer schweren Sucht?
Gruber: Die Gründe sind sehr individuell. Meist hängt es mit schwierigen Lebenssituationen zusammen. Obdachlosigkeit, Streit in der Familie, eine heftige Trennung, ein ermüdender Beruf. Es können auch andere Diagnosen wie Depressionen im Zusammenhang mit einer Sucht stehen.
Ist eine Sucht im späteren Leben wahrscheinlicher, wenn man mit suchtkranken Mensch aufwächst?
Gruber: Wir nennen das in der Psychotherapie „Lernen am Modell“. Wenn die Mutter oder Vater ein Alkoholiker ist, wird diese Sucht auch oft an das Kind weitergegeben. Durch entstehen manchmal ganze „Suchtfamilien“.
Wie wirkt sich die Sucht auf das Umfeld der Person aus?
Gruber: Es ist von Haushalt zu Haushalt unterschiedlich. Aber die Sucht ist eine Erkrankung für die ganze Familie. Die Angehörigen sind immer involviert, zum Beispiel, wenn der alkoholsüchtige Vater seinen Job verliert und plötzlich kein Geld mehr da ist. Deswegen beraten wir auch die Familien und bauen diese, falls möglich, in die Therapie mit ein. Es gibt aber auch Fälle, bei denen die Angehörigen wegen der Sucht nichts mehr mit dem Patienten zu tun haben wollen.
Wie wird Menschen in der Haselbacher Klinik geholfen?
Gruber: Das Wichtigste ist, den Patienten zu verstehen. Nicht nur in Bezug auf die Sucht. Auch die Frage „Was für ein Mensch ist das?“ spielt eine große Rolle bei der Behandlung. Deshalb muss der Patient in Ruhe ankommen und sich uns öffnen. Dann teilen wir individuell Therapien zu. In Haselbach gibt es zum Beispiel Gruppenbehandlungen, Bewegungstherapien und Kurse, die beinhalten, wie man sich ein strukturiertes Leben aufbaut.
Was sind Voraussetzungen für eine erfolgreiche Therapie?
Gruber: Zuerst muss der Patient akzeptieren, dass er krank ist. Manchmal kommt die Einsicht erst durch die Therapie. Aber wenn ein Patient von Anfang an sagt, dass er nicht aufhören will, können wir ihm wahrscheinlich nicht helfen. Zudem muss er körperlich und geistig fit genug für die Behandlung sein. Sollte durch die Alkoholsucht eine Demenz oder Ähnliches entstanden sein, ist eine erfolgreiche Therapie fast unmöglich.
Gibt es also „hoffnungslose Fälle“?
Gruber: Nein, es ist eine Frage der Zielsetzung. Auch der Vorsatz, weniger zu trinken oder sich nicht körperlich zu schaden, ist legitim. Der Fokus ist aber bei uns eine komplette Abstinenz.
Kann man denn jemals komplett von der Sucht befreit sein?
Gruber: Nach zwei bis drei Wochen des ersten Entzugs lassen die körperlichen Folgen der Sucht nach. Also zum Beispiel das Zittern oder die Schweißausbrüche. Der Geist ist aber nicht von der Abhängigkeit los, sondern noch auf das alte Suchtverhalten trainiert. Durch dieses „Suchtgedächtnis“ ist ein Rückfall jederzeit möglich. Wichtig ist, wie der Patient mit diesem Rückfall umgeht: Stürzt er wieder komplett ab oder macht er das Richtige und sucht sich Hilfe?
Spielt der Standort Haselbach bei der Therapie eine besondere Rolle?
Gruber: Die Klinik liegt direkt am Bayerischen Wald. Die Natur hilft zum Beispiel bei der Sporttherapie, wenn wir durch das Grüne laufen. Aber ich habe auch häufig von Patienten gehört, dass sie in Haselbach zum ersten Mal seit langem Naturgeräusche wie Vogelgezwitscher oder den Waldgeruch wahrnehmen. Das trägt zur Heilung bei. Die süchtigen Menschen können in sich gehen und nachdenken – über das, was ihnen im Leben wirklich wichtig ist.
In Ihrem Beruf kommen Sie mit vielen komplizierten und traurigen Lebensgeschichten in Berührung. Wie gehen Sie damit um?
Gruber: Mich belastet das selten. Das liegt aber einfach an meiner Persönlichkeit. Sollte ich mal einen schweren Fall mit nach Hause nehmen, hilft mir meine Frau und fängt mich auf. Sie ist Krankenschwester und kennt das Gefühl. Es ist Gold wert, dieses Verständnis in der Familie zu haben.
Gibt es einen Moment aus Ihrer Zeit in der Suchthilfe, der Ihnen besonders im Kopf geblieben ist?
Gruber: Eine Frau war in kurzer Zeit über dreißig Mal zur Entgiftung in Mainkofen. Irgendwann sah die Patientin jedoch ein, dass sie ein großes Problem mit schwerwiegenden Folgen hat. Wir schickten sie deshalb nach Haselbach zur Entwöhnungstherapie. Vor Kurzem habe ich die Frau zufällig wiedergetroffen und erfahren, dass sie weg vom Alkohol ist. Das sind die Fälle, bei denen wir uns gemeinsam mit den ehemaligen Patienten freuen – und uns ein bisschen auf die Schulter klopfen.
Die Caritas-Fachklinik in der Bayerwaldgemeinde Haselbach behandelt suchtkranke Menschen. Foto: Caritas-Fachklinik Haselbach – Vergrößern durch Anklicken!
Die Caritas-Fachklinik für Suchthilfe
Seit 1970 werden suchtkranke Menschen in Haselbach an der Fachklinik der Caritas behandelt. Sie nimmt erwachsene Männer und Frauen im Alter von 18 bis ungefähr 75 Jahren auf, die alkohol- oder medikamentenabhängig sind. Die Ärzte und Therapeuten berücksichtigen dabei weitere Diagnosen wie Depressionen, Angststörungen oder Traumaerfahrungen.
Bevor ein Patient in der Klinik aufgenommen wird, muss er einen Sozialbericht bei einem Suchtberater erstellen lassen. Die überwiegenden Kosten der Behandlung in Haselbach trägt zudem meist die Krankenkasse und Rentenversicherung. Deshalb benötigt die Fachklinik in Haselbach vor der Aufnahme eines neuen Patienten eine Kostenzusage und den Sozialbericht. Meist dauert die Erstbehandlung 15 Wochen, die Zweitbehandlung acht. Je nach Notwendigkeit kann die Therapie aber um einige Wochen verlängert werden.Das Kernziel ist, den suchtkranken Menschen den Weg zurück in ein stabiles Leben zu ebnen. Zuerst gewinnen die Patienten Abstand zu ihrer Abhängigkeit bei einer Entwöhnungsbehandlung. Mehrere Therapiemöglichkeiten setzen dann individuell bei den Problemen des Patienten an. Das kann Sport- und Physiotherapie, aber auch Gesprächs- und Gruppentherapie beinhalten. Die Fachklinik hilft den Suchtkranken außerdem, mit Entspannung, Ernährungstipps und medizinischer Betreuung zurück in ein selbstständiges Leben.Deshalb gibt es in der Klinik Regeln, an die sich die Patienten halten müssen. Es gibt bestimmte Zeiten zum Schlafen, Essen, für Besucher und den Ausgang.
Interview und Bericht: Manuel Bogner/BOG Zeitung vom 6. Februar 2024 (Gen. der Lokalredaktion)
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