Haselbach
Ein reicher Erntesegen
Wikimedia CC-BY SA 3.0/Jophi – Vergrößern durch Anklicken!
… stundenlang auf der Leiter
Weil sich die reiche Kirsch-Ernte von Anneliese Haas’ Vater vor 46 Jahren schnell rumsprach, musste die damals 21-Jährige stundenlang auf der Leiter stehen und die Früchte vom Baum pflücken.
Es gab eine Zeit, in der Obst noch eigenhändig vom Baum gepflückt wurde und nicht wie heute aus dem Supermarkt gekauft wird. Passend zur Kirschenzeit möchte Anneliese Haas aus Haselbach mit dieser wahren Geschichte in anschaulicher Weise die vielen Veränderungen der letzten 46 Jahre darstellen.
Der Sommer 1976 zeichnete sich durch eine langanhaltende Trockenheit aus, ein Umstand, der vor allem der Landwirtschaft zu schaffen machte. Maisanbau war damals in unserer Gegend noch nicht verbreitet, die Rinder bekamen im Sommer Gras und im Winter Heu zu fressen.
Da nun nach dem ersten Schnitt kein Tropfen Regen mehr fiel, verdorrten die Wiesen. Die Bauern sahen sich gezwungen, im Hochsommer ihre Wintervorräte zu verfüttern oder Rinder zu verkaufen. Jedermann in unserer noch sehr von Landwirtschaft geprägten Heimat hatte, wenn er einen Leidensgenossen traf, den Stoßseufzer auf den Lippen: „Wenn’s no grod denast amoi renga dad!“
„Wenn’s no grod ned rengat!“, so beschwor indessen mein Vater den unverändert blauen Himmel. Dieser im Stillen geäußerte, geradezu frevelhafte Wunsch hatte einen handfesten Grund: Unsere jungen, kaum zwanzigjährigen Kirschbäume versprachen eine großartige Ernte. Der warme Sommerwind, der die Erde ausdörrte, gab zwischen den fächelnden Blättern den Blick frei auf herrliche, dunkelrote Herzkirschen, zentnerweise und: ohne Würmer! Eine Kälteperiode im Frühjahr hatte vielerorts die Obstblüte geschädigt, nicht aber in unserer geschützten Lage.
Kaum zu glauben, was Mundpropaganda vermag: Unser Erntesegen sprach sich herum. Leute kamen mit Kisten und Schüsseln im Kofferraum, kauften für sich, für Nachbarn, Freunde und Verwandte. Vor 46 Jahren war es durchaus üblich, dass in den meisten Haushalten größere Mengen Obst für den Winter eingekocht wurden. So hatte meine Mutter ihre Küchenwaage auf dem Gartentisch aufgebaut und managte den Verkauf. Mein Vater und ich aber standen auf den Leitern und pflückten und pflückten. Nachts im Traum sah ich noch Kirschen. Ich muss gestehen, ich habe mir manchmal klammheimlich Regen gewünscht, der diese ganze Aktion beendet hätte. Mit 21 hat man schließlich noch allerlei andere Interessen! Glücklich und unermüdlich indes war mein Vater. Er, der die Bäume gepflanzt und veredelt hatte, erlebte seinen ersten großen Erfolg, der sich übrigens nie mehr wiederholen sollte. Als am 20. Juli die ersten Tropfen fielen und eine längere Regenperiode einleiteten, hatten wir zu zweit 30 Zentner Kirschen gepflückt! Das waren damals 3 000 DM – ein hart verdientes Geld.
Ein Teil unserer alten Bäume steht heute noch und schmückt sich jedes Frühjahr mit einem duftenden Blütenkleid, aber keine Leiter ist mehr lang genug, um die Früchte zu erreichen. Amseln, Stare und Eichelhäher freuen sich über einen reich gedeckten Tisch.
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