Flossenbürg. Das KZ, das vergessen werden sollte

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Reste einer Zeit grauenhafter Verbrechen an der Menschlichkeit: ein ehemaliger Wachturm auf dem Areal der KZ-Gedenkstätte in Flossenbürg. Kleines Bild: die Siedlung auf ehemaligem KZ-Grund. (Fotos: Weigel/Steinburg)

Ein Ort, der immer noch mit seiner Vergangenheit kämpft

 

Eine bayerische Fahne flattert im Wind. Dächer tragen Solarzellen. Genau dort, wo früher mehr als 18 Häftlingsbaracken aus Holz standen, stehen heute über 25 Eigenheime. So ist das im kleinen Dorf Flossenbürg im Landkreis Neustadt an der Waldnaab, gleich an der tschechischen Grenze, wo die Sudetenstraße den historischen Verlauf des Elektrozauns des zweiten bayerischen Konzentrationslagers neben Dachau markiert.

Wenn an diesem Sonntag hier Bayerns Staatsminister Ludwig Spaenle (CSU) beim Gedenkakt zum 71. Jahrestag der Befreiung des KZ Flossenbürg sprechen wird, wird er auch die Häuser der Flossenbürger sehen. Von ihren Fenstern blicken die Bewohner direkt auf den ehemaligen Appellplatz hinunter: ein schmerzhafter Ort. Von 1938 bis 1945 herrschten hier Nazi-Willkür, Misshandlungen, Folter. Exekutionen auf dem Appellplatz in Flossenbürg sind belegt.

Eigenheime auf früherem KZ-Grund ? Diesen Anblick halten viele Besucher kaum aus: „Dieser Boden gehört den Menschen nicht“, empört sich eine Besucherin der Gedenkstätte. „Was wir hier sehen, ist unehrenhaft gegenüber den Tausenden von Toten.“ Sofort entspinnt sich eine heftige Diskussion: Die meisten denken ähnlich. Sie vermissen Pietät.

In Flossenbürg brannte der Krematoriums-Ofen 24 Stunden durch. Hitlers Ziel war „Vernichtung durch Arbeit“. Durch härteste Arbeit im Steinbruch. Granitblöcke absprengen, Steine schleppen, Loren schieben. Hitler brauchte Material für seine Triumph-Architektur, für protzige Ämter und Autobahnbrücken.

 

„Das Ausradieren hatte hier System“ – der Ort sollte verschwinden

„Die ersten Häftlinge hier waren Berufsverbrecher“, erläutert die ortsansässige Rundgangsleiterin. „Danach kamen Obdachlose und Homosexuelle, Roma und Sinti. Die meisten Menschen im Lager waren politische und jüdische Häftlinge aus Polen und Russland.“ Über 30 000 Menschen überlebten das Arbeitslager Flossenbürg mit seinen Außenstellen nicht.

Flossenbürg – nie gehört ? Als Nicht-Oberpfälzer und Nicht-Historiker ist man damit nicht allein. Das zweite bayerische KZ – es gilt es als das „vergessene Konzentrationslager“. Weil es im Zonenrandgebiet liegt, aber auch, weil das KZ mitten im Dorf vergessen werden sollte. „Das Vertuschen, Ausradieren und Überbauen der KZ-Spuren hatte System“, sagt Jörg Skriebeleit (47), seit 1999 Leiter der Gedenkstätte. „Viele wollten Gras über die Sache wachsen lassen.“

Zehn Jahre nach der Befreiung 1945 waren die 50 Baracken abgerissen und dieser Teil des KZs überbaut: als normales Wohn- und Gewerbegebiet. Das kam so: Nach der Befreiung vor 70 Jahren übergaben die Amerikaner das KZ-Gelände an die Bayerische Finanzverwaltung, als Treuhandbetrieb. Die verpachtete 1948 den lukrativen Granit-Steinbruch, der sofort Begehrlichkeiten geweckt hatte, an „OSTI“, einen gewerkschaftseigenen Betrieb.

Der wiederum warb für die Arbeit im Steinbruch Vertriebene aus dem Sudetenland und Schlesien an. Die neuen Einwohner kauften die Häuser auf den „Lagerterrassen“ am Hang. Die Gemeinde Flossenbürg hatte den KZ-Grund von der Treuhand gekauft. Hier baute man 1958 rund 30 Eigenheime.

Arbeit gab es ebenfalls in der neuen Kabelfabrik „KE-Autoelektric“ auf dem früheren KZ-Gelände: Der Zulieferer von Bosch deckte den zentralen KZ-Appellplatz einfach mit seiner Fabrikhalle zu.

Bis zum Jahr 1997 ist dort ganz normaler Produktionsbetrieb – zwischen der KZ-Steinbaracke für Entlausung und Ganzkörperrasur sowie der Häftlingsküche. Die 300 Angestellten frühstücken und machen Pause im früheren „Häftlingsbad“. Jemand legt geschwungene Pfade über dem großen Gelände an, pflanzt ein Wäldchen. Verschwunden ist der schreckliche Ort.

Fast nur der hinterste Teil des KZs, mit dem Krematorium, das einen Ofen für vier Körper hat, mit Friedhof, Kirche und Wachturm, bleibt offizielle Erinnerungsstätte – als parkähnliches, friedliches Areal. Dazu die Reste der Arrestbaracke. Bis 1988 verwaltet die Bayerische Schlösser- und Seenverwaltung das alles. „Die Atmosphäre mildern, integrieren, weichzeichnen, das war hier der Plan“, sagt Gedenkstättenleiter Jörg Skriebeleit heute.

1995, anlässlich des 50. Jahrestags des Kriegsendes, gibt es im KZ die erste große Gedenkfeier. Viele ehemalige Häftlinge kommen mit ihren Verwandten aus Israel, New York oder Warschau – und erschrecken, wie das Dorf Flossenbürg in das Lagergelände hineingewachsen ist. Sie protestieren und forcieren eine würdigere Erinnerungskultur.

Das Bayerische Kultusministerium, inzwischen Verwalter der Gedenkstätte, beschließt eine Neukonzeption – tut aber nichts. Bis ein entscheidender Impuls von außen kommt. Die französische Firma Alcatel schluckt die Kabelfabrik in der Oberpfalz. Ein Manager, der 1997 nach Flossenbürg reist, stutzt sofort: „Moment, wo produzieren wir hier überhaupt ? Das darf nicht sein.“ Sein Vater war Häftling im KZ Buchenwald.

 

Erst eine französische Firma ermöglicht ein würdiges Andenken

Alcatel verzichtet auf diese kleine deutsche, durch unsägliche Verbrechen an der Menschlichkeit besudelte Produktionsstätte. Und schenkt das KZ-Gelände dem Freistaat Bayern zurück.

Als wichtigste Aktion wird 2000 die große Fabrikhalle vom historischen Appellplatz gerissen. Seitdem wird archäologisch geschürft und sensibel restauriert. Damit Erinnern wieder möglich ist. Offene Debatten sollen fortan die Atmosphäre prägen.

Auch in der Auseinandersetzung mit der Siedlung auf KZ-Grund: „Inzwischen wohnen hier die Kinder und Enkel der Steinarbeiter, die einst hier angesiedelt wurden – in unverkäuflichen Häusern“, sagt ein Mitarbeiter der Gedenkstätte. Die von vielen als unanständig empfundene Nähe der Siedlung zum Krematorium und den Massengräbern ist beklemmend. Die Germanistin Marianne Hörlein aus München sagt etwa: „Ich spüre hier das Leid. Ich würde mindestens die ersten zwei Häuserreihen abreißen lassen.“ Theoretisch könnten die Hausbesitzer ja entschädigt werden – und am Dorfrand neu bauen.

„Tal des Todes“ hat man ihn getauft: den Lager-Friedhof mit dem Krematorium und seinem Ofen. Unter der Aschepyramide liegen die verbrannten Reste von 15 000 Menschen. Unter dem unscheinbaren grünen Rasen neben der Kirche liegen 5 500 Opfer der SS-Todesmärsche. Die Erinnerung an diese Toten lässt sich nicht begraben.

Quelle: Eva von Steinburg, in: Bogener Zeitung vom 16. April 2016 (Zeitversetzte Übernahme aufgrund einer 14-tägigen Sperrfrist.)


 

Eva von Steinburg ist freie Journalistin in München. Der von uns übernommene Artikel wurde erstmals in der Abendzeitung am 16. April 2016, Seite 15, abgedruckt. Weitere Arbeiten von Eva von Steinburg können Sie auch auf

https://www.torial.com/eva.von-steinburg

lesen.

 

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