Verboten! So wird kirchliche Moral häufig wahrgenommen.

Kirchliche Moral

„Alles, was dem Menschen Spaß macht, ist entweder unmoralisch oder macht dick“, so hat unser Dogmatikprofessor Wolfgang Beinert einmal augenzwinkernd in seiner Vorlesung ge­sagt. …

Kath. Pfarreiengemeinschaft Mitterfels-Haselbach: Predigt von P. Dominik Daschner OPRAEM am 30. Juni

„Alles, was dem Menschen Spaß macht, ist entweder unmoralisch oder macht dick“, so hat unser Dogmatikprofessor Wolfgang Beinert einmal augenzwinkernd in seiner Vorlesung ge­sagt. Ja, so wird kirchliche Moral häufig wahrgenommen. Dass vieles verboten ist; und zwar gerade das, was dem Menschen am meisten Freude bereiten würde. Dass alles immer gleich mit Sünde besetzt ist. Eine lebenshinderliche, bisweilen sogar lebensfeindliche Moral. Und an die­ser Wahrnehmung hat der Apostel Paulus – oder zumindest wie man ihn verstanden und ge­deutet hat - keinen geringen Anteil. Wenn er da zum Beispiel in der heutigen Zweiten Lesung vom „Begehren des Fleisches“ schreibt, das es in die Schranken zu weisen gilt. Daran hängt die ganze miefige Kirchenmoral bis in die jüngste Zeit herein.


Paulus: „Fleisch“ die Wurzel alles Bösen


Im Gegensatz zum Geist ist für Paulus „Fleisch“ die Wurzel alles Bösen. Unter diesem Stich­wort fasst der Apostel alles das zusammen. Die Verse, die auf unsere heutige Lesung folgen, nennen als Werke des Fleisches alles Mögliche, was irgendwie schlecht und unmora­lisch ist: Unzucht, Unkeuschheit, Ausschweifung, Götzendienst, Völlerei, Neid, Streitsucht und vieles mehr.

Wer das unvoreingenommen liest, dem könnte sofort eines auffallen. Nämlich: Unzucht ist nicht dasselbe wie Sexualität. Völlerei ist etwas anderes als das Genießen guter Speisen und Getränke. Neid ist nicht dasselbe wie der berechtigte Ärger darüber, dass manche für ihre Berater­tätigkeit, wofür sie kaum einen Finger krumm machen müssen, fette Provisionen in Millionenhöhe kassieren, während andere Tag für Tag zehn oder zwölf Stunden arbeiten und von ihrem Lohn dennoch kaum leben können. Das sollte man sauber auseinanderhalten. Doch genau das zu unterscheiden, das hat man lange unterlas­sen. Und da liegt der Hund begraben und hat unserer kirchlichen Morallehre ihr negatives Image beschert.


Negatives Image kirchlicher Morallehre, weil auch ihre Vertreter einiges nicht auseinanderhalten


Zu den Begehren des Fleisches, wie es Paulus zum Ende der Lesung sagt, hat man dann näm­lich alles gezählt, was dem Leib irgendwie Freude bereitet, und dem Christentum damit eine Leibfeindlichkeit eingefangen. Auch, wenn viele sich davon längst befreit haben, so bleibt doch ein nicht näher bestimmbarer Rest an unguten Gefühlen. Es gibt zum Beispiel Tausende Ge­bete, in denen man Gott dankt für die Natur, für die Schöpfung, für das tägliche Brot. Aber mir ist noch keines untergekommen, das eine wunderbare Nacht mit seinem Ehepartner erwähnt. Als würde das für viele Menschen nicht auch zu einem beglückenden Leben dazugehören.


Paulus richtig „lesen“: Es geht ihm um Grenzen der eigenen Freiheit


Um zu dem zu kommen, was Paulus mit „Fleisch“ meint, muss man einen Umweg machen. Denn für ihn ist nicht nur und nicht zuerst Thema, wie man moralisch und anständig leben soll. Viel wichtiger ist für ihn der Schutz der Freiheit. Darum geht es ihm vor allem. Hintergrund dafür ist die damals im jüdischen Denken vorherrschende Gesetzesfrömmigkeit. Damit ist die Überzeugung gemeint, man könnte Gott dadurch gefallen und vor ihm als gerechtfertigt dastehen, wenn man möglichst alle religiösen Vorschriften sorgfältig und gewissenhaft erfüllt. Wenn du alles penibel befolgst, dann liebt dich Gott, dann schenkt er dir Leben.

Durch den Tod und die Auferstehung Jesu war dieses Denken für Paulus überholt. Gott schenkt Leben in Fülle durch die Auferstehung. Deshalb ist das Gesetz, sind die Gebote nicht mehr der Weg zu Gott hin. Das ist es, was Paulus mit „Freiheit vom Gesetz“ bezeichnet. Er meint damit: Wir müssen nichts tun, nichts leisten, damit Gott uns das Leben schenkt. Denn das hat er in der Auferstehung Jesu bereits getan. Wir müssen das nur dankbar annehmen. Darum schreibt Pau­lus in seinem Brief an die Gemeinden in Galatien: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit.“

Nur kann Freiheit eben sehr unterschiedlich gebraucht, ja, auch missbraucht werden. Und da sind wir genau an dem Punkt, was Paulus mit dem Stichwort „Fleisch“ zusammenfasst: nämlich das Ausnutzen dieser gottgeschenkten Freiheit zum eigenen Nachteil oder zum Schaden ande­rer; wo jemand die Grenzen der eigenen Freiheit nicht kennt bzw. sie überschreitet.

Denn unser innerer Versucher flüstert uns immer wieder ein, man würde unsere Freiheit willkür­lich beschneiden, man würde uns das Beste vorenthalten. Die Eltern mit ihren Vorschrif­ten, wann man zu Hause sein muss. Die Straßenverkehrsordnung, die einen nicht so schnell fahren lässt, wie man will; und an der nächsten Ecke lauert die Radarfalle. Der Nachbar, der uns verklagt, weil man auf dem Balkon grillt oder mittags Rasen mäht. Doch Freiheit ist ein Geschenk, und ist untrennbar mit Verantwortung verbunden.

Die Freiheit, zu der uns Christus befreit hat, sie bedeutet nicht Beliebigkeit oder die Anmaßung, tun und lassen zu können, was jedem gerade in den Sinn kommt.


Freiheit verpflichtet zur Nächstenliebe


Die Freiheit, die wir durch Christus gewonnen haben, sie verpflichtet zur Nächstenliebe. Meine Freiheit endet dort, wo die Freiheit des anderen beginnt. Nicht zufällig zitiert Paulus hier das Gebot der Nächstenliebe. Das ist die Richtschnur für die Freiheit. Nicht, was mir im Augenblick Spaß macht und was zugleich den Keim des Schlechten, des Überflüssigen, des Maßlosen in sich trägt, wenn ich meine Gren­zen dabei nicht kenne. Sondern, was mir und anderen auf Dauer nützt und zum Leben hilft. Das zu sichern, damit wir die durch Christus erworbene Freiheit nicht wieder verlieren, darum geht es bei unserer christlichen Moral, und nicht, um den Menschen den Spaß am Leben zu ver­miesen.