Gelöbnisfeier in Mitterfels. 75 Jahre nach Kriegsende

einmarsch amerikaner

Einmarsch der Amerikaner in einem Dorf im Vorwald

Predigt von Pater Dominik Daschner, kath. Pfarrer in Mitterfels, am 31. Mai 2020

„Erinnerung ist das Geheimnis der Erlösung“, so hat der jüdische Philosoph und Friedens­nobelpreisträger Elie Wiesel, selbst Überlebender des Holocaust, geschrieben. Mit diesem Satz ...

... ist eine grundlegende Einsicht unseres jüdisch-christlichen Glaubens eingefangen: das, was die Bibel mit dem Stichwort „Gedenken“ benennt.

Biblisch ist damit nicht nur ein intellektueller Vorgang gemeint: ein bloßes Sich-Erinnern. Sondern im Gedenken werden vergangene Ereignisse wieder gegenwärtig. Das gilt besonders für unsere Gottesdienste. Im feiernden Gedenken werden die gefeierten Heilereignisse unter uns Wirklichkeit, werden wir selbst zu deren Zeitgenossen, geschieht dies – jetzt, in dieser Feier – an uns. So wird den jüdischen Familien, wenn sie das Paschafest feiern und dabei des Auszugs ihrer Vorfahren aus Ägypten gedenken, ans Herz gelegt, sie sollen sich dabei fühlen, als seien sie selbst aus Ägypten ausgezogen.


Warum immer noch ein Gedenken?


Mancher fragt sich ja vielleicht, warum wir immer noch – nach mittlerweile 75 Jahren – diese Feier halten zum Gedenken an das Ende der Nazi-Diktatur und des Zweiten Weltkriegs hier bei uns in Mitterfels. Es lebt doch kaum noch jemand, der das damals bewusst miterlebt hat. Und was geht es die später geborenen Generationen an? Die haben das doch nicht zu verantworten, was damals geschehen ist! Warum also immer noch? – Weil in der Erinnerung, wie Elie Wiesel schreibt, weil im Ge­denken das Geheimnis der Erlösung liegt. Nur wenn wir das, was damals geschehen ist, nicht einfach beiseiteschieben und nicht mehr drüber reden, sondern es uns – immer wieder - ge­denkend in Erinnerung rufen, nur so kann sich lösen, was in jener Zeit an Schuldhaftem ge­schehen ist, was Menschen bindet, kann Er-lösung davon erfolgen und ein Bewusstsein dafür wachsen, wie es damals überhaupt so weit kommen konnte, damit Vergleichbares – hoffent­lich - nie wieder geschieht.


Erinnern, damit Vergleichbares nie wieder geschieht


Denn Gedenken heißt auch: Erschrecken vor den Möglichkeiten, schuldig zu werden – damals wie heute: aus Gedankenlosigkeit, aus Egoismus, aus Angst. Gedenken heißt: Das Leiden der Op­fer sehen. Trauern um die, die misshandelt wurden und sterben mussten. 24 namenlos geblie­bene Häftlinge aus dem KZ Flossenbürg wurden an dem selben 25. April bei ihrem Todes­marsch nach Dachau auf dem Weg durch unsere Gemeinde erschossen und im Straßengraben liegengelassen – nur wenige Stunden bevor die schlimme Kriegszeit für die Mitterfelser Bür­gerinnen und Bürger mit dem Einmarsch der Amerikaner und der kampflosen Übergabe ihres Ortes an sie friedlich und ohne Blutvergießen zu Ende gegangen ist. Dessen gedenken wir heute.

 
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Mahnmal im Friedhof Mitterfels

Solches Gedenken wird fruchtbar, wo wir Wege der Begegnung und des Verstehens suchen mit Menschen anderer Herkunft, anderer Religion und Weltanschauung, mit anderen Lebens­gewohnheiten und Bräuchen, die andere Meinungen oder Auffassungen teilen als wir selbst. Auf diesem Weg kann gegenseitiges Verständnis füreinander wachsen als Basis für ein friedli­ches Zusammenleben.


"Eines Tages wird Frieden kommen!" sang 1995 der israelische Ministerpräsident, bevor er von Attentätern erschossen wurde.


Am 4. November 1995 hat der israelische Ministerpräsident Yitzchak Rabin in Tel Aviv bei einer Friedenskundgebung mit über 100.000 Menschen, wenige Minuten, bevor er auf offener Bühne von Attentätern erschossen wurde, das „Lied des Friedens“ gesungen. Eine Textzeile darin lautet: „Sagt nicht: Eines Tages wird Frieden kommen, macht den heutigen Tag zum Friedenstag!“

Das mag sich auch die Delegation von Mitterfelser Bürgern gedacht haben, als sie am 25. April 1945 mit der weißen Fahne den heranrückenden amerikanischen Truppen entgegengezogen ist, um sich für die kampflose Übergabe ihres Ortes zu verbürgen. Ein durchaus gefährliches Unterfangen. Nur einen Tag zuvor wurde der Regensburger Domprediger Dr. Johann Maier, der für die Stadt Regensburg dasselbe erreichen wollte, von den Nationalsozialisten durch ein Standgericht zum Tod durch den Strang verurteilt und wenige Stunden später auf dem heuti­gen Dachauplatz öffentlich hingerichtet.


1945 riskierte die Delegation von Mitterfelser Bürgern ihr Leben


Ich weiß nicht, ob diese Nachricht am Tag danach schon bis Mitterfels durchgedrungen war. Ähnliches hätte möglicherweise auch der Mitterfelser Gesandtschaft passieren können. Umso mehr ist der Mut dieser Männer zu bewundern, dem wir es zu verdanken haben, dass in Mit­terfels bei Kriegsende niemand zu Tode gekommen ist, unser Ort vor Brandschatzung, Plün­derung und Zerstörung bewahrt geblieben ist. Innerlich gestärkt und getragen durften sie sich dabei wissen von denen, die sich währenddessen in der Kirche versammelt hatten, um sie in dieser heiklen Mission mit ihrem Gebet zu begleiten.


„Sagt nicht: Eines Tages wird Frieden kommen, macht den heutigen Tag zum Friedenstag!“


„Sagt nicht: Eines Tages wird Frieden kommen, macht den heutigen Tag zum Friedenstag!“, nach diesem Motto aus dem Friedenslied von Tel Aviv müssen auch wir heute handeln, wenn wir Zeuge von Ausgrenzung bestimmter Gruppen werden, wenn rassistische Hetze in unse­rem Land wieder aufflammt, wenn die Bereitschaft zur Gewaltanwendung gegen Anders­denkende zunimmt. Denn genau das waren die Ursachen und Triebfedern, die am Ende in die Nazi-Diktatur, in den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust geführt haben. Indem wir dessen gedenken – auch nach 75 Jahren noch –, damit können wir einer Wiederholung solcher Ent­wicklungen vorbauen. Denn „Erinnerung ist das Geheimnis der Erlösung.“

 

Coronabedingt konnte 2020 keine Prozession zur St. Georgskirche durchgeführt werden. Die Gelöbnisfeier fand in der Pfarrkirche Heilig-Geist statt.