„Fürchtet euch nicht!“ – ein großes Wort im Evangelium in einer Welt, die uns das Fürchten lehrt

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Weihnachten 2019: Pfarrkirche Heilig-Geist in Mitterfels (Vergrößern durch Klick ins Foto)

Weihnachtspredigt 2019 in der Pfarreiengemeinschaft Mitterfels-Haselbach von P. Dominik Daschner OPraem

„Fürchtet euch nicht, denn siehe, ich verkünde euch eine große Freude … Heute ist euch … der Retter geboren“, so ist uns zusammen mit den Hirten im Evangelium (der Heiligen Nacht) vom Engel zugesprochen worden. 

„Fürchtet euch nicht!“ – ein großes Wort in einer Welt, die uns das Fürchten lehrt, im Großen wie im Kleinen, aktuell in einem Ausmaß wie vielleicht schon lan­ge nicht mehr.


Denn der Ton ist merklich rauer geworden in unserer Gesellschaft


Denn der Ton ist merklich rauer geworden in unserer Gesellschaft. Ob das in der Politik ist mit den Parolen rechter Parteien und ihren gezielten Tabubrüchen. Aber genauso im privaten gesellschaftlichen Bereich: die Vielzahl von Hasskommentaren im Internet und in den sozia­len Netzwerken, mit einer Verrohung der Alltagssprache. Ich will die Schimpfwörter hier gar nicht zitieren, die Kinder und Jugendliche einander täglich auf Schulhöfen an den Kopf wer­fen, als scheinbar ganz normaler Umgangston.

Die Fratze der Gewalt und des Bösen tritt zu Tage und lässt uns erschaudern, wenn jüdische Einrichtungen und Mitbürger in unserem Land wieder öffentlich angegriffen werden. Wenn zufällige Passanten am Bahnsteig vor einfahrende S-Bahn-Züge auf die Gleise gestoßen wer­den – einfach so, aus Lust an der Gewalt. In der internationalen Diplomatie – wie beim leidi­gen Thema „Brexit“ – da werden aus einstigen Weggefährten zunehmend Kon­trahenten; statt Solidarität sind wieder nationale Egoismen an der Tagesordnung.


Monströse Mauerbauten zur Abschottung


Da werden monströse Mau­ern gebaut – 30 Jahre nach dem Mauerfall -, um sich abzuschotten gegen Mit­leid und soziale Verantwortung. Da sind Menschen in Not, und man schaut absichtlich weg. Man lässt Men­schen bewusst gnadenlos im Meer ertrinken, weil man den eigenen Wohlstand in Gefahr glaubt. Statt Mitgefühl regiert bisweilen blanker Hass, aus Mitmenschlichkeit wird kalter Egoismus. Ja, die Welt im Großen und im Kleinen, sie lehrt uns zurzeit das Fürchten.

Und dieser Welt, die wahrlich zum Fürchten ist, wird heute gesagt: „Fürchtet euch nicht. Heute ist euch der Retter geboren.“ Das Weihnachtsgeheimnis bricht in diesen Tagen neu in die Welt herein, wird zum Licht für diese Welt. Gott selber will diese oft fürchterliche Welt, in ein neues Licht tauchen. Er tut dies nicht mit Macht und Gewalt, sondern in der Ohnmacht eines Kindes.


Mit einem wehrlosen Kind setzt Gott ein Zeichen dagegen


Er ist wehrlos und hat der Welt nichts anderes entgegenzusetzen als dieses Zei­chen eines neugeborenen Kindes. Es sagt uns: So schaut die Zuneigung Gottes zur Welt und zum Menschen aus. Sie ist uneingeschränkte Liebe.

Liebe Schwestern und Brüder, Gott kommt als Kind. Was bedeutet das? Warum hat Gott die­sen Weg gewählt? - Wenn ein Kind zur Welt kommt, dann ist die Freude normalerweise groß. „Ich verkünde euch eine große Freude“, sagt der Engel deshalb zu den Hirten. Frisch­gebackene Eltern tei­len ihre Freude mit ihren Angehörigen und Freunden. Alle kommen, um den neuen Erdenbür­ger anzuschauen und zu begrüßen. Wir alle kennen solche Situationen. Auch mir als Pfarrer wird bei Taufgesprächen manchmal der kleine Täufling in den Arm gelegt. Dabei gehen mir immer wieder drei Gedanken durch den Kopf.

Mein erster Gedanke, wenn ich so ein Kleinkind in die Arme nehme: Ach, wie klein das doch ist! Ich bin immer wieder erstaunt darüber: die kleinen Fingerchen mit den winzigen Finger­nägeln dran. Ich könnte das ewig anschauen. Wie klein doch der Mensch anfängt! Aber genau darin liegt die Anziehungskraft von Babys. Es betört sein Gegen­über, zieht uns in seinen Bann. Man muss ein Baby einfach liebhaben. Wer das nicht kann, mit dem stimmt etwas nicht.


Warum kommt der große Gott nicht in göttlicher Herrlichkeit, sondern als Kind zu uns?


Warum macht sich der große Gott in seinem Kommen so klein? Ich denke, weil Gott um un­ser Herz weiß. Was uns mit übermächtiger Größe daherkommt, das überfordert uns und macht uns Angst. Dem Kleinen aber tut sich unser Herz auf. Deshalb kommt Gott an Weihnachten nicht in seiner göttlichen Herrlichkeit, umgeben von seinen himmlischen Heerscharen, in un­sere Welt, sondern als kleines, hilfloses Kind. Gott will von uns willkommen geheißen und geliebt werden. Er will uns mit seiner betörenden Liebenswürdigkeit in seinen Bann ziehen.

Mein zweiter Gedanke mit so einem Kleinkind im Arm ist: Hoffentlich mache ich alles rich­tig! Ich bin ja den Umgang mit Babys nicht gewohnt; wie man seinen Kopf richtig stützt, und dass man es nicht zu fest drückt. Die geübten Mütter und Väter, die das Tag und Nacht ma­chen, sind da im Vorteil.

Wenn Gott als Kind in die Welt kommt, dann schwingt da auch die Frage mit:

Mache ich mit Gott alles richtig in meinem Leben?

Lebe ich mein Leben bewusst mit diesem Gott, der in unsere Welt und in mein Leben tritt? Und lebe ich es so, dass es vor ihm richtig ist und be­stehen kann?

Diese Frage, scheint mir, ist bei vielen Menschen unserer Tage, auch bei nicht wenigen Christen, irgendwie ins Abseits geraten. Die Menschen früherer Generationen haben diese Frage viel ernster genommen: Wie muss ich leben, was muss ich tun, damit es vor Gott recht ist? Martin Luther hat diese Frage regelrecht umgetrieben: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Wie muss ich leben, damit ich vor Gott recht dastehe? Ihn und seine Zeitgenossen hat eine große Sorge um ihr Heil umgetrieben. Diese Sorge quält heute fast niemanden mehr. Das ist einerseits gut so, aber doch auch bedenklich. Heute lebt man eher nach dem Motto: Wenn es denn einen Gott gibt, dann wird er es am Ende schon gnädig mit mir machen. Bis dahin brauchst du dich nicht groß um ihn kümmern.


Wie Eltern mit ihrem Kind Tag für Tag umgehen, geht es auch im Glauben um Beziehung


Aber im Glauben geht es um Beziehung - nicht in erster Linie um das Für-wahr-halten be­stimmter Sachverhalte -, um meine Beziehung zu Gott. Und Beziehungen muss man pflegen, sonst verkümmern sie; so auch unsere Beziehung zu Gott. Sie will gepflegt werden in Gebet und Gottesdienst, in einem geistlichen Leben, damit sie lebendig bleibt. Gott hat uns an Weihnachten nicht einfach einen Katalog von Glaubenswahrheiten und Verhaltensregeln auf den Tisch gelegt, an die wir uns halten sollen. Nein, er legt uns seinen Sohn in die Krippe, damit wir mit ihm leben. So wie Eltern mit ihrem Kind Tag für Tag umgehen, mit ihm leben und sich dabei bemühen, es gut und richtig zu machen.

Und der dritte Gedanke, der mir unwillkürlich immer durch den Kopf geht, wenn ich ein Neugeborenes sehe: Was wird wohl aus diesem Kind werden? Was steckt alles in ihm; an Talenten und Begabungen? Wel­chen Weg wird es einmal einschlagen? Wohin wird sein Lebensweg es führen? Wir möchten, dass unsere Kinder eine gute Zukunft haben. Eltern - und wir alle mit ihnen - wünschen sich für ihr Kind nur das Beste. In welche Welt aber wachsen unsere Kinder da heute hinein?


Hat diese Welt, die uns das Fürchten lehrt, Zukunft?


Wenn Gott ausgerechnet als Kind in diese Welt kommt, dann ist damit auch die Zukunft in den Blick ge­nommen: die Zukunft dieser Welt. Der Welt, in die unsere Kinder hineingeboren werden, und die uns bisweilen das Fürchten lehrt, ihr wird an Weihnachten von Gott her zu­gesprochen: Diese Welt hat Zukunft. Denn heute ist euch der Retter geboren. Deshalb: „Fürchtet euch nicht!“

Liebe Schwestern und Brüder, ist das nun bloß die Flucht in eine heile Weihnachtswelt, in die wir uns in diesen Wochen voll romantischer Stimmung zurückziehen, um die Augen vor der Rea­lität dieser furchteinflößenden Welt eine Zeitlang zu verschließen, oder trägt diese Hoff­nung? Kritiker mögen uns vorhalten: Alle Jahre wieder! Seit 2000 Jahren schon wird dieser Welt verkündet, dass nun der Retter geboren sei, der Christus, der Herr. Und dass wir uns deshalb nicht mehr zu fürchten brauchen. Aber hat sich die Welt seither entscheidend gewan­delt? Wo ist der „Friede auf Erden“, von dem das himmlische Heer über den Feldern von Betlehem singt? Wie kann es sein, dass wir jedes Jahr Weihnachten feiern, und die Welt sich doch kaum zum Bes­seren verändert?

Das hat mit der Art von Gottes Menschwerdung zu tun. Gott ist an Weihnachten nicht in die Welt gekommen und hat in uns Menschen einfach den Schalter umgelegt, uns von jetzt auf gleich zu anderen, besseren Menschen gemacht: von friedlos zu friedvoll, von Egoismus auf Liebe gestellt.


Weihnachten – Richtfest der Hoffnung


Weihnachten müssen wir vielmehr verstehen als ein großes Richtfest der Hoff­nung. Wenn beim Hausbau die Fundamente gelegt sind, der Rohbau hochgezogen und der Dach­stuhl daraufgesetzt ist, dann wird ein grünes Bäumchen auf den Dachfirst gesetzt und Richt­fest gefeiert. Das Grundgerüst des Hauses steht, aber man kann noch längst nicht darin woh­nen. Es braucht noch einiges an Arbeit und Einsatz, bis das Haus entsprechend den Bau­plänen vollendet ist.

So ähnlich, liebe Gemeinde, ist das auch mit der Weihnachtsbotschaft. Das Grundgerüst der Hoffnung steht, seit Gott vor 2000 Jahren in Jesus Mensch geworden ist. Gott verbündet sich neu mit dem Menschen. Zusammen mit uns will er diese Welt, die uns manchmal das Fürch­ten lehrt, in eine bessere Welt verwandeln; in seine neue, erlöste Schöpfung. In Jesus Christus ist uns der Bauplan in die Hände gelegt, wie wir in seinem Geist der Menschenfreundlichkeit und Liebe daran weiterbauen können, damit es auf dieser Welt friedvoller, gerechter und menschlicher zugeht, und sich keiner mehr fürchten muss.

Zum Beispiel indem wir einander wieder mit mehr Respekt und Achtung begegnen, denn der andere ist ein Mensch wie du. Er fühlt wie du und hat diesel­ben Grundbedürfnisse wie du. Indem wir im Gesicht des anderen den Mitmenschen erkennen und nicht den Konkurrenten um das eigene Glück. Indem wir mehr auf das Miteinander set­zen als auf Abgrenzung. Indem wir Liebe und Mitmenschlichkeit mehr Raum geben, ihr mehr trauen als Hass, Egoismus und Gewalt. Jede und jeder von uns kann da selber aktiv etwas dazu beitragen; in seinem Alltag und seiner Umgebung. Darauf achten, wie wir einander begegnen. Und sich an die eigene Nase fassen, wie wir reden - miteinander und übereinander; auch in den sozialen Medien, wo die Hemm­schwelle zu aggressiver Sprache niedriger ist, weil man den anderen nicht von Angesicht zu Angesicht vor sich hat. Auf diese Weise können wir mithelfen, den Hass in der Welt zurück­zudrängen, der Verrohung im Verhalten zueinander Einhalt zu gebieten. So bauen wir mit an Gottes neuer Welt.

Unsere Christbäume, die wir zu Weihnachten aufstellen – zuhause, in unseren Kirchen und auf den Straßen, die sind so etwas wie das Firstbäumchen bei diesem Richtfest der Hoff­nung, das wir an Weihnachten begehen. Der Anfang für eine neue, bessere Welt ist in Jesus Christus grundgelegt. Der Bau dieses neuen Hauses unserer Erde ist noch nicht fertig. Wir arbeiten noch daran. Aber in Christus ist der Rohbau dafür schon hochgezogen. Wir sollen daran mutig und entschlossen weiterbauen. Das ist es, was wir heute, an Weihnachten, feiern. Und deshalb rufen uns die Engel von der Krippe Jesu her zu: „Fürchtet euch nicht!“