Ein Stückerl Selbstbewusstsein

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Sprachwurzelpreisträger Stefan Dettl (LaBrassBanda) mit Sepp Obermeier (li.) und dem Laudator Prof. Josef Eidenberger (re.) von der Musikhochschule Linz bei der Sprachwurzelverleihung 2014 (Foto: Gertrud Graf)

Das Bairische ist wieder da. Einer der schönsten deutschen Dialekte wird heute besser verstanden.

 

Bayern ist überall. Der Fußballclub, der so heißt, gewinnt Titel um Titel. Zum Oktoberfest strömen von Samstag an wieder Millionen Menschen auf die Münchner Theresienwiese. Und als die Band La Brass Banda sich erfolglos anschickte, Deutschland mit einem Lied auf Bairisch beim „Eurovision Song Contest" zu vertreten, unterstützte das fast die ganze Republik. Die Bayernpartei sieht mit Blick auf das Referendum in Schottland sogar gute Chancen für eine Abspaltung des Freistaats – „mit eigener Sprache".

Das Bairische ist nach dem Norddeutschen die beliebteste Sprachfärbung, hat eine Studie des Instituts für deutsche Sprache herausgefunden. Man könnte fast sagen, dass es, nun ja, einen Hype ums Bairische gibt. Man muss sich nur umhören in München und mehr noch in den Städten und Dörfern im Umland. Viele sprechen Bairisch – und Hochdeutsch nur dann, wenn das Gegenüber nichts versteht. Negative Erfahrungen macht damit heute kaum noch jemand. Vor allem sind es auch junge Leute, die Bairisch sprechen, wenn auch mit einer geringen Dialekttiefe. Dialektausdrücke gehen verloren, statt dessen werden hochdeutsche Worte bairisch ausgesprochen. „Es ist halt oft das Mia-san-Mia-Bairisch des FC Bayern", sagt ein echter Bayer. Man ist stolz darauf, aus Bayern zu kommen, sogar dann, wenn man eigentlich von anderswoher kommt.

Der Wunsch nach Differenzierung kehrt zurück

Bairisch gehört, aller Beliebtheit zum Trotz, laut Unesco zu den bedrohten Sprachen. Eine Sprache gilt als bedroht, wenn weniger als 30 Prozent der Kinder sie sprechen. Wie viele Menschen Dialekt sprechen, ist kaum erforscht. Zahlen gibt es bloß aus dem Jahr 1998. Damals sprachen in München nur rund eineinhalb Prozent der Kinder Bairisch. Dort, in der bayerischen Landeshauptstadt, sitzt der Förderverein für Bairische Sprache und Dialekte (FBSD), der die Sprache erhalten will. Dazu sucht der Verein den Kontakt zur Politik, zu Trachtenvereinen und zur Volksmusik. Den Dialekt sieht man als Kulturgut voller Charakter und Variationsreichtum. Und man hofft, dass die Beliebtheit des Bairischen selbstverständlich wird.

Ein Stückerl Selbstbewusstsein" habe seine Sprache dazugewonnen, sagt Siegfried Bradl, der im Vorstand des FBSD sitzt und die Vereinszeitung herausgibt. 25 Jahre ist der Verein jetzt alt, und die Zeiten haben sich geändert. Als der FBSD gegründet wurde, galt Dialekt als Sprache der unteren Schichten und der Provinz. Jetzt, berichtet Bradl, kämen immer mehr junge Leute dazu, die sich Gedanken darüber machen, wie ihre Kinder aufwachsen sollen. Dialekt sei ein Identifikationsmerkmal und ein Teil der Identität, sagt Bradl, der Gegentrend zur Globalisierung. Dass die Globalisierung eine Rückbesinnung auf die Herkunft hervorrufen kann, will Ludwig Eichinger nicht ausschließen. Der Direktor des Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim meint, der Dialekt habe eine Nähefunktion. Er sei „die kleinsträumige Verständigungsform" und werde als persönlicher und emotionaler empfunden als die Standardsprache. „Sprache ist ein atmendes System, in dem sich Vereinheitlichung und Differenzierung die Waage halten." Im vergangenen Jahrhundert hat Hochdeutsch die Dialekte als Alltagssprache abgelöst. Nun kehrt der Wunsch nach Differenzierung zurück. Die Akzeptanz wachse durch die Sprachvielfalt in Deutschland – also unter anderem durch Einwanderer und durch das Privatfernsehen, in dem die Menschen sprechen, wie sie eben sprechen.

Im niederbayerischen Konzell lebt Sepp Obermeier. Früher war er Mitglied im FBSD, dann trat er wegen der Vereinsmeierei aus und versuchte, anders für das Bairische zu kämpfen. Statt Volksmusiktreffen abzuhalten, die nach seiner Ansicht keine jungen Leute anlocken, hält Obermeier Vorträge, besucht Kindergärten und vermittelt dort den Eltern, was der Sinn des Dialektsprechens ist. Zum Beispiel, dass man sich als Zweisprachiger mit Dialekt und Standardsprache beim Erlernen von Fremdsprachen leichter tue, wie Hirnforscher herausgefunden haben. Seit 2005 verleiht Obermeier die Bairische Sprachwurzel an Prominente, die Bairisch sprechen. Die Karriere des Dialekts in Filmen und in der Musik hält Obermeier für nebensächlich, denn es seien Bühnensituationen. Schon in den siebziger Jahren gab es Musik im Dialekt, den Alpenrock, während gleichzeitig die Zahl der Sprecher immer weiter sank.

Soziale Akzeptanz muss wachsen

Damit Bairisch überlebt, so glaubt Obermeier, müssen Kinder den Dialekt im Elternhaus lernen und im Kindergarten festigen. Gleichzeitig müsse die soziale Akzeptanz wachsen. Was hilft, seien Prominente, die öffentlich Bairisch reden. Das tut zum Beispiel Stefan Dettl, der 2014 die Bairische Sprachwurzel bekommen hat. Er ist der Kopf von La Brass Banda, zeitweise auch Solokünstler und nebenbei Herausgeber der Kulturzeitschrift „Muh", die sich mit bayerischen Themen beschäftigt. Dettl spricht Bairisch, immer. Auf der Bühne, dahinter oder daneben. Auch, wenn er für ein Interview mit einer Norddeutschen in einem Bus durch Hamburg fährt.

Ludwig Eichinger sieht diesen Dialekt als allgemein akzeptiert an. Bairisch, sagt er, sei eine Alltagssprache mit regionaler Bindung. Und es sei Teil der Jugendsprache. „Reine Sprachökonomie", erklärt Obermeier. Bairisch ist kürzer, gut geeignet für SMS und Nachrichten in Internetchats. Als Sprache der Unterschicht werde Bairisch auf jeden Fall nicht mehr angesehen. Vor knapp 20 Jahren wurden regionale Sprachformen in einer Befragung des Instituts für Deutsche Sprache noch abgelehnt. Heute ist es anders.

Die Sprachveränderung, sagt Siegfried Bradl, könne man eh nicht aufhalten. Mit dem Ferienende in Bayern können dabei nun auch die Schulen helfen. Denn im Chiemgau und im Landkreis Traunstein beginnt in diesen Tagen ein Pilotprojekt: Die Auseinandersetzung mit Bairisch soll Teil des Unterrichts werden. Allerdings nicht als Dialektunterricht, sondern als Wertevermittlung regionaler Identität. Das Projekt wird ein Schuljahr lang laufen und übergreifend in allen Schulformen ausprobiert. Ein reiner Hype ist das Bairisch-Sprechen nicht – auch, wenn manche Leute nur deshalb Dialekt reden, weil es gerade in ist. Sehen wird man das wohl wieder beim Oktoberfest, wo auch vermehrt traditionelle Tracht getragen wird. „Es wird unbefangener Dialekt gesprochen", sagt Ludwig Eichinger. Siegfried Bradl und Sepp Obermeier, die Dialektschützer mit den unterschiedlichen Ansätzen, sind sich in einem einig: Bairisch braucht mehr Selbstbewusstsein.


 

Quelle: Sebastian Mayr, in: faz.net, der online-Ausgabe der Frankfurter Allgemeine (September 2014) [... mehr]