Nachtgebet anno 1924

NACHTG1 c

Aus dem Erzählschatz der Mitterfelser Senioren

Also ich war etwa zehn, elf Jahre alt und habe in Münster bei meinen Eltern gewohnt. Mein Vater hat in Kirchroth gearbeitet. Dorthin habe ich ihm das Mittagessen tragen müssen. Anschließend habe ich oft ...

... auch meine Großmutter besucht. Die war so einfach und so lieb, diese Frau.

Immer ist ein Glas am Tisch gestanden mit „Zwiebelzeltl” und Minzenschussern. Ich habe mich natürlich gleich darauf gestürzt, und sie hat nie geschimpft deshalb. Ab und zu bin ich dann auch über Nacht geblieben. Aber sie hat kein Extrabett gehabt für mich. Da hat sie vom Speicher einen Strohsack heruntergeholt, der sehr reichlich gefüllt war. Sie hat ihn am Stubenboden ausgebreitet, und ich habe gut geschlafen darauf. Das Oberbett, mit dem sie mich zugedeckt hat, war prall vollgestopft mit Gänsefedern, und ich bin beinahe verschwunden darin. Sie selber ist dann in die anschließende Kammer geschlichen. Die Türe hat sie nur angelehnt, so dass ich ihr Nachtgebet gehört habe, das sie mit monotoner Stimme verrichtet hat:

Mir hat es jedes Mal gegruselt, direkt die Gänsehaut ist mir aufgestiegen. Meine Großmutter hat auch noch andere Gebete gesprochen, aber die sind mir nicht in Erinnerung geblieben.

Am nächsten Tag in der Frühe hat sie mir schon den Kaffee ans Bett gebracht, obwohl sie damals bereits etwa 78 Jahre alt war.

 

Quelle: Edda Fendl, in: Mitterfelser Magazin 2/1996, S. 108