An Weihnachten hat Gott für uns ein Gesicht bekommen
Weihnachtspredigt 2013 in der Pfarreiengemeinschaft Mitterfels-Haselbach von P. Dominik Daschner OPRAEM
Viele von uns werden in den zurückliegenden Wochen auf Christkindlmärkten unterwegs gewesen sein, wo oftmals auch ein nostalgisches Karussell für Kinder steht. Deshalb glaube ich, dass Sie die folgende Begebenheit an so einem Weihnachtsmarktkarussell gut nachempfinden können, von der ich kürzlich gelesen habe.
Der Autor schreibt: Dicht gedrängt stehen die Eltern und Großeltern um das Karussell und schauen ihren Kindern zu. Die einen jauchzen laut, als der Zug volle Fahrt aufnimmt. Andere Kinder schauen mit ängstlicher Miene auf die nächste Kurve. Ein kleiner Junge fällt mir auf. Schüchtern und ganz verkrampft sitzt er unter den vielen Kindern. Nur an einer ganz bestimmten Stelle der Karussellrunde erhellt sich jedes Mal sein Gesicht. Es ist die Stelle, an der der kleine Zug an seinem Vater vorbeifährt. Der Vater winkt seinem Sohn lächelnd zu. Der Junge winkt und lächelt zurück. – Der Junge muss das Gesicht seines Vaters sehen. Das erst gibt ihm Sicherheit und lässt ihn die nächste Runde wagen. Nur zu wissen, dass irgendwo da draußen sein Vater steht und ihn abholen wird, das genügt ihm nicht. Er muss das Gesicht seines Vaters sehen.
Es gehört zum Wesen einer Beziehung, nach dem Gesicht des anderen zu suchen.
Eine interessante Begebenheit, liebe Schwestern und Brüder. Sie bringt etwas ganz Wesentliches über menschliche Beziehungen zum Ausdruck. Es gehört zum Wesen einer Beziehung, nach dem Gesicht des anderen zu suchen. Ein menschliches Gesicht kann wichtig, sogar lebenswichtig sein. Manchmal wichtiger als ein Telefonanruf, eine SMS, eine E-Mail. Kinder brauchen ein Gesicht, das sie ansieht; das ihnen Zuwendung, Trost und Interesse signalisiert. Junge Menschen brauchen mehr als Disziplinierung und Maßregelung. Sie brauchen jemanden, der ihre Fragen und Probleme wahrnimmt und ernstnimmt; der ihnen Ansehen verleiht in dem, was sie sind. Oder wie heilend kann ein Gesicht sein in einem Krankenhaus, in einer psychiatrischen Klinik, in einem Sterbezimmer. Inmitten von medizinischen Apparaten, von Instrumenten und Schläuchen - ein menschliches Gesicht, das mich freundlich ansieht.
Genau das feiern wir heute: Gott hat ein Gesicht. An Weihnachten hat Gott für uns ein Gesicht bekommen. Im kleinen Kind von Betlehem schaut uns der große, allmächtige, unsichtbare, ewige Gott an. In Jesus, im Kind in der Krippe schauen wir Gott, dem Vater ins Angesicht. „Erschienen ist die Güte und Menschenliebe Gottes", schreibt Paulus im Brief an Titus.
Ganz klein fängt Gott an. Er wagt es, als Säugling in diese Welt einzutreten, in Schleim und Blut, geboren von einer Mutter. „Kann denn ein Kind so klein für uns die Rettung sein?", so dichtet Wilhelm Willms in einem seiner Texte. Wir erwarten das Heil doch nicht von einem kleinen, hilflosen Kind!? Wir erwarten es schon eher von den Großen und Tüchtigen, den Erfolgreichen, den Wissenden und Weisen. Und sind doch zusehends skeptisch geworden angesichts von Korruption, politischen Lügen, Machtgelüsten und Machtmissbrauch; sind vorsichtiger geworden gegenüber den Versprechungen der Mächtigen, den selbst ernannten Messiassen in Wirtschaft und Industrie.
Weihnachten redet nicht von Versprechungen. Weihnachten redet von einer Verheißung.
Weihnachten redet nicht von Versprechungen. Weihnachten redet von einer Verheißung. „Ein Kind ist euch geboren", so verheißt der Prophet Jesaja. Im Kind in der Krippe sehen wir diese Verheißung erfüllt. Aus seinen Augen schaut Gott uns an. Sein Blick sagt uns: Ich weiß um dich. Ich bin bei dir. Ich schenke dir meine Liebe. Ich vergesse dich nicht! - Gott hat ein Gesicht!
So weit geht keine andere Religion. Bei aller Hochachtung vor ihnen, bei allem, was uns mit dem Judentum und dem Islam innerlich verbindet - was wir an Weihnachten feiern, das unterscheidet uns Christen von allen anderen Religionen. Der Islam kennt keine Menschwerdung Gottes. Der Allah in den Moscheen ist ohne Gesicht. Die jüdische Religion kennt das Verbot, Gott darzustellen, sich ein Bild von ihm zu machen. Im Alten Testament heißt es sogar: Kein Mensch kann Gott schauen und am Leben bleiben. Nur als besonderen Gunsterweis darf Mose am Sinai zumindest der vorüberüberziehenden Herrlichkeit Gottes in den Rücken hinterher blicken. Sein Angesicht aber kann niemand sehen, so heißt es dort, im Buch Exodus.
Das unterstreicht, wie unerhört das ist, was wir da an Weihnachten feiern. Auch wir Christen wissen natürlich, dass wir uns von diesem großen, heiligen Gott eigentlich kein Bildnis machen können, weil jedes Bild unvollkommen bleibt und nie die volle Wirklichkeit Gottes einfangen kann. Weil wir uns kein Bild von Gott machen können, hat Gott selbst uns sein Bild geschenkt. In Jesus, im Kind in der Krippe dürfen wir Gott ins Angesicht schauen! Das kleine Kind zu Betlehem ist die Ikone Gottes.
Im Kind von Betlehem zerbricht der bloße Richtergott.
Vor diesem Kind zerbrechen alle krank machenden Gottesbilder. An Weihnachten zerbricht der krank machende Buchhaltergott, der alles notiert, was in unserem Leben falsch war. An Weihnachten zerbricht der Über-Ich-Gott, der uns nur ängstigt und klein hält. Im Kind von Betlehem zerbricht der bloße Richtergott, der nur mehr richtet, aber nicht aufrichtet. Es zerbricht der Leistungsgott, vor dessen Blick ich erst dann bestehen kann und Ansehen genieße, wenn ich etwas vorweisen kann, vor dem ich mir den Himmel erst noch verdienen muss.
Die Dichterin Marianne Leist schreibt in einer ihrer kurzen Aufzeichnungen: „Ich bin auf der Suche nach einem Gott, der mit mir weint und trauert, sich mit mir freut und lacht. Nicht nach dem unerbittlich Opfer heischenden und strafenden Gott. Es treibt mich um, den anderen Gott zu suchen. Einen Gott mit einem menschlichen Gesicht." Im Kind in der Krippe zeigt uns Gott dieses, sein menschliches Gesicht.
Krippe in der Pfarrkirche Haselbach
Vor einem kleinen Kind haben wir keine Angst. Es nimmt uns die Angst. Es schenkt Glück und Freude. Vielleicht ist Gott deshalb als Kind auf dieser Erde geboren worden, um uns die Angst vor ihm zu nehmen. Gott will nicht, dass wir uns vor ihm ängstigen; er lädt zum Vertrauen ein. „Fürchtet euch nicht!", so heißt deshalb die erste und vielleicht wichtigste Botschaft von Weihnachten.
Gott hat ein Gesicht. Er zeigt es uns im kleinen Kind von Betlehem. Der große, allmächtige, allweise Gott sieht uns an mit den Augen eines Kindes. Voller Glanz und Liebe, voller Freude und Hoffnung, mit dem Charme eines kindlichen Lächelns; aber auch mit den Augen der Hilflosigkeit und Ohnmacht, die unsere Mithilfe wecken wollen zum Mittun für eine bessere Welt. In diesem Gesicht des göttlichen Kindes bricht das Ewige in meine vergängliche Lebenszeit hinein; sagt Gott sein bedingungsloses Ja zu meiner Lebensgeschichte.
Diese Liebe macht uns Mut, über die Heilige Nacht hinaus.
Das Kind in der Krippe von Betlehem wird freilich heranwachsen. Das Kind wird größer werden. Es wird unsere Erfahrungen machen, unsere Wege gehen; die frohen und die traurigen; die leichten und die schweren, bis hin zum Sterben am Kreuz. Krippe und Kreuz gehören zu¬sammen. Und in beiden Gesichtern - im Gesicht des Kindes in der Krippe und im Gesicht des Erhöhten am Kreuz - blickt uns dieselbe Liebe an: die Liebe, die Gott zu uns hat. Diese Liebe macht uns Mut, über die Heilige Nacht hinaus, über Weihnachten hinaus, das Leben zu wagen.
Liebe Schwestern und Brüder, schauen wir in diesen weihnachtlichen Tagen auf das Kind in der Krippe, schauen wir in ihm Gott ins Gesicht, suchen wir seinen Blick, so wie der Junge auf dem Weihnachtsmarktkarussell das Gesicht seines Vaters. Damit uns wie diesem Kind daraus die Kraft, der Mut und das Zutrauen zuwachsen für die nächsten Runden im Auf und Ab auf dem Karussell des Lebens.
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