Johann Nepomuk Straßmeier, einer der größten deutschen Assyriologen, wurde 1848 in Hagnberg [bei Mitterfels] geboren. - Vergrößern durch Anklicken!
Der „unermüdbare“ Johann Nepomuk Straßmaier aus Hagnberg
(Jules Oppert „grâce aux travaux de l’ infatigable P. Straßmaier“ ZA 1891/103)
Die drei größten deutschen Assyriologen waren, so Gary D. Thompson, Carl Bezold (1859-1922), Fritz Hommel (1854-1936) und Johann Nepomuk Straßmaier. Alle drei kamen aus Bayern: Bezold aus Donauwörth, Hommel aus Ansbach und Straßmaier aus Hagnberg bei Mitterfels. Aussagen über größte oder wichtigste Menschen lassen sich natürlich oft nur schwer objektiv begründen, sie zeigen in diesem Fall aber, welche Hochachtung Straßmaier, der sich die längste Zeit seines Lebens in London aufhielt, heute noch in der angelsächsischen Welt genießt. Bleibt man bei den genannten drei Koryphäen, so wird im Vergleich Straßmaiers Größe noch deutlicher. Hommel und Bezold haben mehr oder weniger die „normale“ akademische Laufbahn absolviert und waren am Ende wohlbestallte Professoren, Hommel in München, Bezold in Heidelberg. Straßmaier aber hat sich sein Wissen und sein Können im Selbststudium angeeignet und durch jahrelange mühevolle Quellenarbeit mit den Keilschrifttafeln vertieft und erweitert.
Johann Nepomuk Straßmaier
Alfons Huber hat in der Chronik Markt Mitterfels eine umfangreiche und akribisch erforschte private und wissenschaftliche Biographie Straßmaiers verfasst. Gary D. Thompson baut zur Zeit im Internet eine nicht weniger umfangreiche vorwiegend wissenschaftliche Biographie auf, die vor allem auf Straßmaiers Rolle in der Erforschung der babylonischen Astronomie eingeht. Der vorliegende Beitrag kann diese Ausführungen eigentlich nur referieren und den bekannten Tatsachen kleine Tupfer hinzufügen. Vor allem aber sollen Straßmaier und seine Kollegen mehr als bisher üblich selber zu Wort kommen.
Nach einer Beschreibung aus dem Jahr 1760 (HAB) war die damalige Einöde Hagnberg ein ganzer Hof, also ein relativ großes Anwesen, das dem Kloster Windberg gehörte; schon damals saß die Familie Straßmaier dort. Hagnberg gehörte zum Amt Landasberg im Gericht Mitterfels. Bei der Gemeindebildung im frühen 19. Jahrhundert kam die Einöde zur Gemeinde Gaishausen, Pfarrort war Hunderdorf. 1871 wurden Hagnberg, Kögl und Wiespoint nach Mitterfels umgepfarrt, die staatliche Verwaltung folgte diesem Beispiel gut 100 Jahre später. 1978 wurde die Gemeinde Gaishausen zwischen dem Markt Mitterfels und der Gemeinde Hunderdorf aufgeteilt, Hagnberg kam mit Kögl und Wiespoint zu Mitterfels.
Johann Nepomuk Straßmaiers Heimat Hagnberg (Repro Chronik Markt Mitterfels) - Vergrößern durch Anklicken!
Johann Nepomuk war der Sohn von Johann Evangelist, Bauer in Hagnberg, und Therese, geborene Birkl, einer Müllerstochter aus Gaishausen. Sie hatten im Juni 1833 geheiratet. Der erste Sohn, Franz, stellte sich schon am 30. Juli 1834 ein, wollte aber nicht bleiben und starb schon am 6. August. Ein Johann Ev. kam 1839 zur Welt und starb innerhalb einer guten Woche, eine Tochter Therese wurde im Dezember 1840 geboren und starb noch im gleichen Monat. Erst die Tochter Therese, geboren am 29. Juli 1843, und Johann Nepomuk, geboren am 15. Mai 1846, blieben ihren Eltern.
Er besuchte zuerst die Schule in Au vorm Wald und dann 8 Jahre die Lateinschule des Klosters Metten (damals als Bischöfliches Knabenseminar, das erst ab 1874/75 neunklassig geführt wurde). In seinem Jahrgang war auch Franz Mayr aus Mitterfels, wohl der Sohn des damaligen Amtsarztes. 1865 verließ er die Schule, trat nach Huber für kurze Zeit ins Priesterseminar der Diözese Regensburg ein, schloss sich aber noch im gleichen Jahr dem Jesuitenorden an. Er ging am 26. November 1865 nach Gorheim, einem ehemaligen Franziskanerinnenkloster, heute in der Stadt Sigmaringen gelegen, das die Jesuiten erworben hatten. Sie errichteten dort ihr Noviziat, das die Kandidaten für zwei Jahre zu durchlaufen hatten. Danach begann er seine philosophischen und theologischen Studien in Münster in Westfalen, v. a. aber in Laach. Auch Laach hatte wie Gorheim eine lange klösterliche Tradition, es war seit dem 11. Jahrhundert Benediktinerkloster gewesen, wurde im 19. Jhd. säkularisiert und 1863 von den Jesuiten erworben. Seit dieser Zeit trägt das Kloster den Namen Maria Laach. Von 1863 bis 1870 beherbergte Maria Laach (Rheinland-Pfalz) das Provinzialat der Jesuiten, v. a. aber ihre zentrale Studienanstalt. Eine der wichtigsten Zeitschriften der deutschen Jesuiten hieß Stimmen aus Maria Laach, in der Straßmaier zusammen mit Josef Epping seinen ersten Aufsatz zur Assyriologie veröffentlichen wird.
Seine Ausbildung wurde unterbrochen, als er im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 zur ambulanten Krankenpflege in Fronthospitälern verpflichtet war.
Mittlerweile hatten sich in Deutschland grundlegende Änderungen ergeben. Unter der Führung Preußens hatten sich die deutschen Staaten nach dem Krieg gegen Frankreich zu einem Kaiserreich vereinigt, das zwar viele föderale Züge hatte, in dem aber der König von Preußen, der durch die Verfassung auch zugleich deutscher Kaiser war, eindeutig die führende Rolle hatte. Einer der ersten großen Auseinandersetzungen in diesem Reich war der „Kulturkampf“ zwischen der neuen Reichsführung und der katholischen Kirche. Es ging dabei um die Ausgestaltung des neuen Staates, gegensätzliche Ansprüche von Kirche und Staat und wohl auch um die Angst vor dem Wirken des Papstes, den das vatikanische Konzil 1870 mit dem sog. Unfehlbarkeitsdogma gestärkt hatte. Da die Jesuiten mit dem Papst durch ein besonderes Treuegelöbnis verbunden waren, traf sie eine der härtesten Maßnahmen des Kulturkampfes, das Jesuitengesetz. Dies war ein Reichsgesetz, das am 4. Juli 1872 ausgefertigt wurde und v. a. Niederlassungen der Gesellschaft Jesu im Gebiet des Deutschen Reiches untersagte, bestehende Niederlassungen sollten spätestens innerhalb eines halben Jahres aufgelöst werden. Endgültig aufgehoben wurde dieses Gesetz erst 1917.
Durch das Jesuitengesetz heimatlos gemacht, ging J. N. Straßmaier zur Jesuitenniederlassung in Aalst in Ostflandern in der Nähe Gents. Der Orden unterhielt dort das Kolleg St. Josef, eine Art Sekundarschule, an der Straßmaier Unterpräfekt und Lehrer der deutschen Sprache in den Jahren 1872 und 1873 war.
1873 folgte er den vielen anderen deutschen Jesuiten nach Ditton Hall nahe Liverpool. Nahe bei Liverpool heißt, dass das Anwesen in einem Zentrum der englischen Industrie lag und die Ikonen der Industrialisierung, die rauchenden Schlote, die Gebäude und v. a. die Einwohner heute kaum mehr vorstellbaren Industrieabgasen aussetzten. Ditton Hall war ein Landhaus, das Lady Stapleton-Bretherton gehörte, die es aber v. a. wegen der Abgase aufgegeben hatte und es 1872 den Jesuiten überließ. Diese nannten das Haus Stella Matutina (Morgenstern), etablierten dort von 1873 bis 1895 ihre philosophische und theologische Studienanstalt zur Ausbildung der Novizen des Ordens und erweiterten die Anlage um ein weiteres Gebäude, eine Bäckerei und eine Kirche. Straßmaier traf dort auf Gefährten seiner engeren und weiteren Umgebung. So wirkte dort der 1839 in Deggendorf geborene Josef Knabenbauer, Professor für Exegese, oder Josef Aschenbrenner, der aus Neunburg vorm Wald stammte und wie Straßmaier in Metten die Schule besucht hatte, er wurde später v. a. bekannt als Volksmissionar. Straßmaier vollendete in Ditton Hall seine theologischen Studien, ging dann für kurze Zeit nach St. Beuno in Nordwales und wurde am 24. September 1876 zum Priester geweiht.
Danach bezog Straßmaier die Jesuitenresidenz Immaculatae Conceptionis (Unbefleckte Empfängnis) in der Mount Street 114 und lebte den Rest seines Lebens, von wenigen Ausnahmen abgesehen, in London.
1877/78 war Straßmaier in Portico, das die deutschen Jesuiten von der englischen Ordensprovinz übernommen hatten, um dort sein Terziat zu vollziehen. Das Terziat ist eine besondere Einrichtung der Jesuiten, ein drittes Jahr der Besinnung neben dem zweijährigen Noviziat und Voraussetzung für die letzten Gelübde, die Straßmaier 1883 ablegte.
Für die Folgezeit waren nur mehr zwei größere Aufenthalte außerhalb Englands bekannt, in Blijenbeck und in Heidelberg. Schloss Blijenbeck in der niederländischen Provinz Limburg an der preußisch-niederländischen Grenze war den Jesuiten von Graf Franz Egon von Hoensbroech zur Verfügung gestellt worden. 1880 reiste, folgt man Eppings Darstellung in den Stimmen aus Maria Laach 1881, Straßmaier nach Blijenbeck, um dort in Ruhe sein gewaltiges Alphabetisches Verzeichnis der assyrischen und akkadischen Wörter zu redigieren und für den Druck vorzubereiten.
Von Blijenbeck aus (er wurde auch unter den Teilnehmern aus den Niederlanden geführt) reiste er zum 5. Orientalistenkongress in Berlin, wo er zum ersten Mal vor einem größeren Kreis von Assyriologen auftrat. Die Orientalisten veranstalteten alle drei Jahre einen internationalen Kongress. 1881 fand dieser vom 12. bis 17. September in Berlin statt. Straßmaier hielt seinen Vortrag am 16. September vormittags in der semitischen Sektion, die in der Universität tagte. Er sprach über die altbabylonischen Verträge von Warka, wobei sich die Zuschreibung nach Warka in der Folgezeit allerdings als irrig herausstellte. Die Bearbeitung umfasste eine Sammlung von 99 Kontrakttäfelchen, die fast alle in zweifacher Ausfertigung vorlagen. Dabei war der Inhalt zuerst auf eine Tontafel geschrieben und diese dann gebrannt worden. Nach dem Brand wurde diese Tafel mit einer Tonschicht umwickelt und der Text darauf erneut eingeritzt. Sie waren 30 Jahre vorher von William K. Loftus ergraben und ins Britische Museum gebracht worden. Zwar umfasste der eigentliche Vortrag nur sieben Druckseiten, das beigefügte Wörterverzeichnis aber schon 41 und die autographierte Beilage der Originalquellen schließlich 144 Seiten. Zusätzlich legte er eine Tafel über wichtige astronomische Beobachtungen vor, die er in Zusammenarbeit mit Epping 1881 in den Stimmen aus Maria Laach vorgestellt hatte. Diese Veröffentlichung gab er zu den Akten des Kongresses.
Auch an den folgenden Versammlungen in Leiden, wo er über Keilschrifttexte im Liverpooler Museum sprach, Wien und der gleichzeitig in Stockholm und Oslo stattfindenden nahm er teil. Von Blijenbeck aus nahm er auch nochmal den Weg nach Metten, um seinem Lehrer und späteren Abt von Metten P. Utto Lang 1884 die Grabrede zu halten, wie Huber mitteilt.
Keilschrift-Kopien von Straßmaier - Verträge aus Warka - Vergrößern durch Anklicken!
1897 erkrankte Straßmaier sehr ernsthaft an einem Nierenleiden. Hilfe erhoffte er sich von der Universitätsklinik Heidelberg, wo er auch operiert wurde. Anschließend hielt er sich – so Thompson – 18 Monate in einem deutschen Erholungsheim auf. Wahrscheinlich hat er sich während der folgenden Jahre nie mehr richtig von einer postoperativen Infektion erholt und offensichtlich war auch seine Lebensenergie schwer angeschlagen, da er seinen wissenschaftlichen Interessen nur mehr sehr geringe Zeit widmete und sich nun auf seine Aufgaben als Priester konzentrierte. Thompson führt die Nierenkrankheit darauf zurück, dass er früher in seiner wissenschaftlichen Arbeit zu radikal gewesen war. Angeblich hat er während seiner Arbeit im Britischen Museum, um nur ja keine Zeit zu verlieren, den Gang auf die Toilette zu oft unterlassen und den Harndrang unterdrückt.
Straßmaier führte auch Schüler in die Wissenschaft der Assyriologie ein. Einer davon war Anton Deimel (1865-1954). Er stammte aus Olpe, war wie Straßmaier Jesuit und lernte von 1904 bis 1907 bei ihm. In den folgenden Jahren wurde er die führende Koryphäe für die sumerische Sprache. Ein anderer Schüler war der US-Amerikaner und Jesuit John O‘Conor (1852-1920).
Kaum jemand, der über Johann Nepomuk Straßmaier schreibt, versäumt es, dessen staunenswerte Sprachkenntnisse zu erwähnen. Er soll an die 20 v. a. orientalische Sprachen beherrscht haben, konnte aber auch Chinesisch. Dies befähigte ihn z. B. auch sehr entlegenes Schriftgut zur Assyriologie aufzustöbern. So teilte er der Redaktion der Zeitschrift für Assyriologie 1905 mit, dass in Hongkong ein Bericht über die Geschichte Assyriens und Babylons auf Chinesisch erschienen sei. (ZA 1905/433)
Pater Johann Nepomuk Straßmaier S. J. starb am 11. Januar 1920 in London.
Borger lässt die Veröffentlichungen zu Keilschriften bzw. deren Erforschung 1711 beginnen, Deimel 1778, andere Nachrichten dazu, die Europa erreichten, gehen bis weit ins 17. Jahrhundert zurück. Die Beschäftigung konnte also schon auf eine lange Tradition zurückblicken, jedoch sollte es noch ungefähr bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts dauern, bis sich Inhalt und Methoden des Faches Assyriologie auszubilden begannen, v. a. durch das Wirken von Sir Henry Rawlinson (1810-1895), dem „Vater und eigentlichen Begründer“ dieser Wissenschaft, der sich viele Jahre beruflich im Orient aufgehalten hatte, u. a. 12 Jahre in Bagdad. Die Assyriologie steckte zu Zeiten Straßmaiers, der sich ab 1869 ernsthaft als Autodidakt damit befasste, also noch in ihren „Anfängen“, sodass es noch Raum und Gelegenheit für Pioniere gab und Straßmaier sollte einer dieser Pioniere werden.
Die Assyriologie befasst sich mit Sprache und Kultur der Sumerer, Akkader, Assyrer und Babylonier, deren schriftliche Quellen Keilschrifttexte sind. Die Keilschrift wurde von den Sumerern ca. 3000 v. Chr. im Zweistromland „erfunden“ und gilt als älteste Schrift. In letzter Zeit wird ihr dieser Vorrang durch die Schrift „Alt-Europas“ bestritten. Bei der Keilschrift formte man aus Ton rechteckige Platten, in die man mit einem Stift Zeichen ritzte. Die auffälligen dreieckigen Keilköpfe gaben der Schrift den Namen. Dieses System kann zur Schreibung unterschiedlicher Sprachen verwendet werden.
Mayer fasst Straßmaiers grundlegende Leistung so zusammen: „Auf Grund seiner Arbeiten ist die spätbab.[ylonische] als erste der keilschrift.[lich] bezeugten Epochen der wirtschafts- und wissenschaftsgeschichtlichen Forschung zugänglich geworden.“ Das Wirken Straßmaiers kann unter mehrerlei Aspekten gesehen werden: Er war unermüdlicher und rastloser Kopist von Keilschriften, er hat eine Vielzahl dieser Kopien geordnet und ediert oder an Kollegen weitergegeben, er hat wichtige Vorarbeiten für Wörterbücher des Akkadischen und Sumerischen geleistet und hat schlussendlich auch die Beschäftigung mit der Astronomie der Babylonier angeregt und durch die Bereitstellung astronomischer Quellentexte erst möglich gemacht.
Das Programm
Straßmaier hat in seinen Vorworten und Buchbesprechungen (so in den Stimmen aus Maria Laach 1892 (42)) oft tiefe Einblicke gegeben in Entstehung und Entstehungsbedingungen der assyriologischen Literatur und damit oft auch genauso tiefe Einblicke in die Interna der Assyriologie, deren Entstehung und Entwicklung er selbst miterlebte und mitprägte. Da es außerhalb des Britischen Museums kaum nennenswerte Bestände an Tontafeln gab, war die Geschichte dieses Museums auch wichtig für die des Faches. Zwar häufte man dort immer neue Erwerbungen an Tontafeln an, hatte aber nicht die Mittel und Ressourcen sie zu erschließen und zu ordnen. Für die mühevolle Arbeit der sorgfältigen Reinigung und vorläufigen Erschließung der Tafeln gab es nur wenige geeignete Fachleute. George Smith (1840-1876), Autodidakt wie Straßmaier, war einer von ihnen. Seit 1867 trieb er als Assistent neben der Ordnung auch die Erwerbung voran, starb aber bereits 1876 bei einer Reise in der Nähe von Aleppo (heute in Syrien), sodass er die von ihm erworbenen Sammlungen von etwa 2500 Tafeln nicht mehr persönlich nach London bringen konnte. Ihm zu Ehren wurde die erworbene Sammlung dann mit „S†“ bezeichnet. Zwischenzeitliche Nachfolger erwiesen sich als weniger geeignet und produktiv. 1878 wurde dann der damals noch junge T. G. Pinches (1856-1934) angestellt, auch er war wie Straßmaier Autodidakt und galt im Nachhinein als hervorragender Kopist, später wurde noch E. W. Budge angestellt. Wie misslich Straßmaier die Situation oft fand, hat er im Vorwort zur seiner Ausgabe der Texte unter König Nabuchodonosor dargelegt, „… da aber während dieser Zeit die Anordnung der Sammlungen im britischen Museum häufig geändert wurde, so war es oft unmöglich eine Inschrift zur Collation wieder zu finden und die Hoffnung auf Vollständigkeit musste bald aufgegeben werden.“ Schon als er 1881 seine ersten Kopien der Öffentlichkeit vorstellte, musste er davon ausgehen, dass er einige Tafeln der Sammlung nicht gefunden hat. (Verträge 317f.)
So begrüßte er es außerordentlich, dass Carl Bezold die mühsame Arbeit auf sich nahm und die Ordnung und Verzeichnung beginnend mit der sog. Konyunjik-Sammlung in Angriff nahm. Bezold beschrieb die Tontafeln dieser Kollektion sehr genau, trug alle verfügbare Literatur und Hilfsmittel zusammen und veröffentlichte 1889 den ersten Band; für Straßmaier kam diese Arbeit fast schon zu spät. Vor allem war es nun möglich, zumindest für Teile der riesigen Sammlung bisher schon bearbeitete Tontafeln wieder zuverlässig zu finden.
Da wie gesagt die wichtigsten und umfangreichsten Tontafelsammlungen im Britischen Museum lagerten, war es für Assyriologen, wollten sie quellenbasiert arbeiten, unabdingbar, nach London zu reisen und selbst mit den Originalen zu arbeiten oder sich auf die bisher veröffentlichten Tafeln zu stützen und zu vertrauen, dass sie richtig und zuverlässig kopiert worden waren, was bei der schwierigen und mühevollen Aufgabe nicht immer gesichert war. Nicht wenige der Gelehrten sahen das mühevolle Lesen und Entziffern als mechanische und wenig wissenschaftliche Leistung an und arbeiteten lieber mit Quellen und Aussagen aus ungesicherter zweiter oder dritter Hand.
Die Publikation von Keilschriftquellen erstreckte sich bis in die Mitte der 1870er Jahre oft nur auf die vollständig erhaltenen und leicht lesbaren Tafeln „ohne Rücksicht auf Zusammengehörigkeit und Vollständigkeit …, die Anordnung der zusammengehörigen Bruchstücke wurde fast vollständig vernachlässigt.“ (ZA 1893/400). Zudem war die Masse der erhaltenen Tontafeln, ebenso wie die dann von Straßmaier edierten, privatrechtlich-wirtschaftlichen Inhalts, Kauf und Verkauf von Häusern, Gärten, Begräbnisstätten, Haustieren, Geldleihgeschäften u. ä. Diese Inhalte wurden von vielen Forschern eher als banal eingestuft, sodass es die Mühe nicht lohnte, sie zu lesen und zu verstehen. Dabei hatte der große Assyriologe Jules Oppert schon 1866 deren Bedeutung erkannt. Aus diesen Tatsachen und Überlegungen heraus erklärt sich das Arbeitsprogramm Straßmaiers: möglichst viele der Tontafeln, im Idealfall alle, zu kopieren und möglichst viele, im Idealfall alle, herauszugeben. Bei vielen Gelegenheiten hob Straßmaier dieses Anliegen hervor: „Trotz der mehr als 2000 publicirten Texte ist in vielen Einzelfragen noch nicht das genügende Material vorhanden, eine endgültige Entscheidung zu geben, doch je mehr die Texte zugänglich sind, desto mehr werden die Schwierigkeiten schwinden und ist sichere Hoffnung vorhanden, dass alle Fragen eine sichere Lösung finden werden.“ (ZA 1891/468)
Der Kopist
Zu Zeiten Straßmaiers lagerten im Britischen Museum rund 50.000 Keilschrifttafeln. Die meisten davon waren unbearbeitet, sehr viele, wenn nicht die Mehrzahl nicht einmal katalogisiert. Zum Glück Straßmaiers lag die Jesuitenresidenz in der Mount Street in einigermaßen fußläufiger Entfernung zum Britischen Museum.
Seit 1875 suchte und fand Straßmaier Kontakt zu Samuel Birch, dem Konservator der Assyrischen Sammlung im Britischen Museum, und verbrachte ab 1875 oder 1876 seine zweimonatigen Ferien im Büro von S. Birch, um Keilschrifttafeln zu studieren und zu kopieren. Ab 1878 wurde dies seine Hauptbeschäftigung. Thompson hat eine Überschlagsrechnung angestellt, nach der Straßmaier von 1878 bis 1880 und von 1884 bis 1897 tagtäglich von 10 Uhr vormittags bis 4 Uhr nachmittags im Britischen Museum Tontafeln kopierte. Nimmt man für das Jahr 350 Arbeitstage an, so ergeben sich für rund 16 Jahre rund 5600 Arbeitstage. Auch wenn man diese Zahl aus mancherlei Gründen für zu groß halten sollte, an die 5000 Tage bleiben allemal.
Das Britische Museum heute. Eingangsbereich und Raum mit assyrischen Reliefs aus Niniveh (Wikimedia cc by-sa 3.0 – Autor: M. Chohan) - Vergrößern durch Anklicken!
Vor Straßmaier hatten die meisten Assyriologen höchstens einige hundert Kopien angefertigt, für ihn schwanken die Schätzungen, sie zählen aber immer mehrere tausend. Sein Schüler Deimel hat in einem Aufsatz die Vorgehensweise Straßmaiers in zwei Fragen zusammengefasst. „Wo ist die Belegstelle?“ und „Ist der Text sicher?“ (ZA 1909/19) Straßmaier hat dabei, sofern ihm ein Irrtum unterlief, diesen nicht auf dem Blatt verbessert, sondern ein neues Blatt genommen und die Zeichnung von vorne angefangen.
Er hat auch immer wieder die Schwierigkeiten dieser einsamen und langwierigen Arbeit angesprochen: „Die späteren Keilschriften aus dem zweiten und ersten Jahrhunderte vor Christus haben schon oft die Aufmerksamkeit der Forscher auf sich gezogen; aber soweit bekannt, hat noch kein Assyriologe außer Professor Jules Oppert es gewagt, einen solchen Text zu copiren und zu ediren. Die meisten dieser Texte sind sehr fragmentarisch und schlecht erhalten; die Schrift ist so eigentümlich nachlässig und kursiv, dass es keinen Assyriologen anzieht, Zeit und Mühe mit diesen schwierigen Texten zu verlieren, so lange noch hunderte und tausende von schön geschriebenen assyrischen und babylonischen Inschriften auf Bearbeitung und Herausgabe warten. Wenn ich hier einige dieser Texte, die eben leicht in den verschiedenen Sammlungen des britischen Museums zusammengefunden werden konnten mit großer Reserve gebe, so geschieht dies nur auf den ausdrücklichen Wunsch einiger Gelehrten …“ (ZA 1888/129) oder „Nur wenige selbst von denen, welche sich im Copieren der schwierigen babylonischen Cursivschrift geübt haben, werden die Mühe würdigen können, welche eine solche Sammlung erfordert, um die Texte dem Studium zugänglich zu machen.“ (Vorrede zur Ausgabe der Texte unter Kg. Nabonidus).
Bei den Kopier-Arbeiten wurde Straßmaier auch von einem konservatorischen Anliegen angetrieben. In den Stimmen aus Maria Laach (1881) erläuterte er die Problemlage. In der sogenannten Spartoli-Sammlung von Keilschrifttafeln hatte er Tafeln astronomischen Inhalts gefunden, die zweierlei Schwierigkeiten boten. Erstens waren sie in einer Kursivschrift geschrieben und daher äußerst schwer und nur mit großem Zeitaufwand zu entziffern. Zudem waren die Texte auf ungebranntem Ton an der Sonne getrocknet und seit ihrer Entdeckung und Verbringung nach London einem fortschreitenden Zerfall ausgesetzt. Beide Faktoren legten es nahe, sie vor dem endgültigen Untergang wenigstens durch Kopien auf Papier für die Zukunft zu erhalten. Auch bei den altbabylonischen Verträgen, die er 1881 vorgestellt hatte, waren einige so „fragmentarisch und verwittert, dass sie jetzt ohne allen Werth sind.“ (Verträge 318)
Durch seine langjährige Beschäftigung galt Straßmaier naturgemäß als Experte für Keilschriften, der fähig war, diese nach dem Duktus der Schrift zu datieren. (ZA 1888/23) 1893 wurde die Reihe Semitistische Studien ins Leben gerufen, das vierte Heft sollte von Straßmaier kommen und den Titel tragen Zur babylonisch-assyrischen Paläographie. Allerdings scheint diese Arbeit nicht erschienen zu sein; sein Schüler Deimel hat 1929 bis 1935 eine Keilschrift-Paläographie veröffentlicht.
Für die Qualität von Straßmaiers Kopien spricht auch, dass einige von ihnen 1931 wieder veröffentlicht wurden. (ZA 1931/309) Hugo Winckler hat die herausragenden Fähigkeiten Straßmaiers so beschrieben:
„Nur die Vertrautheit mit den Originalen, worin niemand dem Herausgeber gleichkommt, und eine wunderbare Arbeitskraft machen es möglich, in so kurzer Zeit ein Werk herzustellen, zu dessen Publikation andere, wenn man das von ihnen Geleistete vergleicht, die zehnfache Zeit verbrauchen. Dem Herausg. kommt dabei seine geschickte Hand zu statten. Er ist der einzige, dessen Schrift den Duktus der Originalcharaktere wiedergiebt; wenn man daher einmal wirklich brauchbare Typen herstellen wollte, so müßte man sich an seine Vorlagen mit ängstlicher Vermeidung alles sonst Lithographierten oder Autographierten halten.“ (Berliner Philologische Wochenschrift 1888 Sp. 851f)
Der Editor
1887 begann J. N. Straßmaier gewaltige Mengen von Keilschrift-Kopien als Frucht seiner jahrelangen Mühen zu veröffentlichen. Neben kleineren Editionen in Zeitschriften hat Straßmaier die meisten gesondert in Folgen herausgegeben. Geordnet entlang der Reihe der Könige von Nabuchodonosor (Nebukadnezar) bis zu dem Perserkönig Darius hatte Straßmaier 2998 Texte aus den Jahren 604 bis 485 vor Christus ediert. Um einen Eindruck von seiner Editionsarbeit zu geben, soll hier das Beispiel der Edition der Keilschrifttexte unter der Herrschaft des Königs Nabonidus gegeben werden. Von den 50.000 Tafeln des Britischen Museums waren, so Straßmaier in seinem Vorwort, damals knapp 2000 ediert. Er vermehrte diese auf einen Schlag um 1134 Inschriften. Er vollendete den Band 1888, ein Jahr darauf erschien dieser in Leipzig. Er gab darin ein Verzeichnis der Inschriften in chronologischer Reihenfolge, ein Verzeichnis nach den Registrationsnummern der verschiedenen Sammlungen (er wertete insgesamt 36 Sammlungen aus), ein Verzeichnis der Orte, nach denen die Inschriften datiert wurden (34 Orte), ein Verzeichnis der 271 Schreiber und eines der in den Texten genannten 848 Zeugen. Daran schließen sich die Quellentexte an. Er bietet sie so getreu als möglich als gezeichnete Kopien und somit als Quellentexte in Reinform und zeichnet auch die Fehlstellen ein, um so etwaige Textverluste kenntlich zu machen. Die Texte wurden nicht in lateinische Buchstaben übertragen und nicht übersetzt. Dadurch vermied er Lese- und Übersetzungsfehler. Er unterschied dabei auch zwischen deutlich lesbaren und unsicher zu lesenden oder zerstörten Zeichen und gab nur Hinweise für mögliche Ergänzungen. Andere waren skrupelloser, wie er klagt, und gingen sogar so weit, von ihm entdeckte Texte zu ergänzen und dann als eigene Entdeckungen zu präsentieren.
Ein Beispiel aus der ergiebigen Anzahl von Keilschrifttexten im Britischen Museum aus der Zeit der Herrschaft von Nabonidus, der Nabonid-Zylinder aus dem Sin-Tempel in Ur (http://de.wikipedia.org/wiki/Nabonid) - Vergrößern durch Anklicken!
Auch in der Vorrede zu dieser Quellenedition betonte er erneut, wie wichtig es sei, einen Überblick über möglichst viele derartige Texte zu gewinnen, sie zu kopieren und zu veröffentlichen. Die Texte zu bearbeiten und zu interpretieren war nicht sein zentrales Anliegen. Damit war aber auch klar, dass Straßmaier für einen sehr exklusiven Leserkreis von etlichen Dutzend Leuten schrieb, die diese Tafeln lesen und übersetzen können mussten. Für die Assyriologen aber bot er damit schier unerschöpfliches und oft auch zeitraubendes Material. Der Astronom Kugler bemerkte einmal gegenüber seinem Mitbruder Baumgartner, wie Thompson anführt, dass eine Tafel, die Straßmaier vielleicht an einem Nachmittag kopiert habe, ihm zwei Jahre an Interpretation koste.
Ziegel mit Keilschrifttext (Kunsthistorisches Museum Wien) - Vergrößern durch Anklicken!
Straßmaier edierte aber nicht nur selber. Allenthalben stößt man auf Zeugnisse, dass er aus der reichen Fülle seiner Kopien und seiner umfassenden Kenntnisse andere Forscher angeregt und mit Material versorgt hat. Stimmen wie die folgende ließen sich im Übermaß anführen: „Die folgenden Mitteilungen über Babylon verdanken wir der Güte des hochwürdigen P. Straßmaier S. J.“ (Stimmen aus Maria Laach 22/278).
Robert F. Harper veröffentlichte in einer großangelegten Serie Briefe aus Assyrien und Babylon (Assyrian and Babylonian letters belonging to the K[onyunjik] Collection of the British Museum). Im Vorwort des ersten Bandes von 1892 würdigte er die Verdienste Straßmaiers, von dem er Briefe aufgenommen und wertvolle Vorschläge in vielen Gesprächen erhalten hat. Konsequenterweise widmete er den ersten Band Pater Straßmaier.
Da er in London sozusagen an der Quelle der Keilschrifttexte saß, wurde er von auswärtigen Fachkollegen auch immer wieder um kleinere Dienste an den Originalen gebeten. Ja sogar in Manuskripte von ihm und Epping gab er Einblick und die Erlaubnis, daraus zu zitieren. (ZA 1888/251)
Wie erfolgreich die Arbeit Straßmaiers war, zeigt das Handbuch der Keilschrifttexte I 1967, ein Verzeichnis veröffentlichter Keilschrifttexte. Die knapp organisierten und gedrängt dargebotenen Einträge nehmen für Straßmaier 13 Seiten ein.
Der Lexikograph
Straßmaier sah die fortschreitende, fast schon stürmische Entwicklung seines Faches. Es kam nicht selten vor, dass mühsam erarbeitete Einzelergebnisse eines Assyriologen bei ihrer Veröffentlichung schon überholt waren, weil ein anderer Gelehrter auf die gleiche Frage gestoßen war und durch Zufall oft eine bessere Quelle zur Hand hatte. Zur gewissenhaften Interpretation und Erschließung der Keilschriften, um die vergangene Kultur richtig zu erschließen und zu interpretieren, hielt Straßmaier es für unverzichtbar, kritische und zuverlässige Wörterbücher zur Hand zu haben. Er selber konnte und wollte dies nicht leisten, da die Vorarbeiten fehlten. Mit seinem Alphabetischen Verzeichnis wollte er zu diesen Vorarbeiten einen wichtigen Beitrag leisten.
1880 zog sich Straßmaier nach Blijenbeck in den Niederlanden zurück, um sein umfangreiches Alphabetisches Verzeichnis zu redigieren und für den Druck vorzubereiten. Offensichtlich waren für diese Arbeit von Haus aus vier Jahre veranschlagt, da er 1884 wieder nach England zurückging, aber dann in Ditton Hall und London weiter daran arbeiten musste. Viel Arbeit kostete es wohl, viele der verwendeten Textstellen erneut im Britischen Museum am Original zu überprüfen.
Es sei gestattet, hier den vollen und umständlichen Titel der Arbeit zu zitieren, da er einen Einblick gibt, was Straßmaier darin alles verarbeitet hat: Alphabetisches Verzeichnis der assyrischen und akkadischen Wörter der „Cuneiform inscriptions of W. A.“ vol. II, sowie anderer meist unveröffentlichter Inschriften mit zahlreichen Ergänzungen und Verbesserungen und einem Wörterverzeichnis zu den in den Verhandlungen des VI. Orientalistenkongresses zu Leiden veröffentlichten Inschriften. Das Werk erschien in 6 Lieferungen 1886 in Leipzig und umfasste 610 Seiten. Es fußte auf der im Titel genannten Veröffentlichung von Rawlinsons The Cuneiform Inscriptions of Western Asia, deren zweiter Band 1866 erschienen war. Der Vorspann von 66 Seiten beruhte auf dem Material, das der Autor selber in Leiden präsentiert hatte. Er war ursprünglich vorgesehen für die Veröffentlichung der Kongressverhandlungen. Da diese aber sowieso schon zu voluminös ausfielen, fand das Wörterverzeichnis dort keinen Platz mehr. Der Ausdruck Wörterverzeichnis ist wörtlich zu verstehen. Nach dem hebräischen Alphabet gereiht, gab er die Wörter entweder in Umschrift oder zusätzlich mit Keilschriftzitaten, diese in seiner gestochenen Handschrift als Vorlage für den Lithographen sowie Fundstellenverweise.
Straßmaier betonte nachdrücklich, dass sein Werk unvollständig und vorläufig sei. Wie richtig er aber mit seiner Absicht lag, zeigte sich, als 1867 ein Assyrisches Wörterbuch erschien. In einer Rezension dieses Werkes meinte der Kritiker, dass es für wirklich fundamentale Wörterbücher des Assyrischen (und Akkadischen) wohl noch zu früh sei und betonte zugleich den Rang und den Wert von Straßmaiers Alphabetischem Verzeichnis; es trete zwar anspruchslos auf, sei aber gewissenhaft gearbeitet und jedem Assyriologen unentbehrlich. (ZA 1887/364) In der Österreichischen Monatsschrift für den Orient lobte Bezold 1886 das „monumentale Werk“, die Frucht achtjähriger Arbeit, wegen seiner „Schönheit, Genauigkeit und Sorgfalt“.
Der Astronom
Eine besondere Rolle spielte Straßmaier bei der Erforschung der Sternkunde der Babylonier. Nach G. D. Thompson beruhen fast alle Arbeiten auf diesem Gebiet zwischen 1880 und 1952 direkt oder indirekt auf den Quellenarbeiten Straßmaiers, sodass er geradezu von einer „Strassmaier Era“ in dieser Wissenschaftsdisziplin spricht. Durch seine umfangreichen Kopierarbeiten hatte er auch Kenntnis von vielen Tafeln astronomischen Inhalts, zu deren Auswertung und Interpretation ihm aber die mathematischen und astronomischen Kenntnisse fehlten. Er suchte deswegen nach einen Partner und fand ihn in dem Jesuiten Josef Epping.
Quelle: http://books.google.com (linke Abb.) - https://archive.org/details/babylonischetext00stra (rechte Abb.)
Epping (1835-1894) stammte aus Bevergern in Westfalen, wurde 1859 Novize der S. J. und wirkte ab 1863 in Maria Laach als Professor für Mathematik. Aber schon bald verließ er Maria Laach wieder. Als Garcia Moreno, der Präsident der Republik Ecuador, in Quito ein Polytechnikum gründete, berief er als Lehrer sehr viele deutsche Jesuiten und auch Epping folgte diesem Ruf. Nach Morenos Ermordung 1875 ging die Förderung des Polytechnikums stark zurück und da auch Wirren das Land erschütterten, verließen die Jesuiten Quito und Epping ging 1876 als Lehrer für Mathemathik und Astronomie nach Blijenbeck.
1880 reiste, folgt man Eppings Darstellung in den Stimmen aus Maria Laach 1881, Straßmaier nach Blijenbeck, um dort in Ruhe sein gewaltiges Alphabetisches Verzeichnis der assyrischen und akkadischen Wörter zu redigieren und für den Druck vorzubereiten. Epping selber bearbeitete damals wohl noch seine Bewegung im Kosmos, die 1882 erschien.
In Straßmaiers Reisegepäck befand sich auch eine Kopie einer Tafel mit astronomischen Inhalten. Zu ihrer Auswertung und Interpretation wandte er sich an Josef Epping. Der lehnte zuerst ab, da er keinerlei Kenntnisse von Keilschrifttexten habe und auch in der Astronomie nicht hinreichend kompetent sei. Zudem habe er durch seinen zweimaligen Umzug von Deutschland nach Quito und von dort nach Blijenbeck die meisten seiner astronomischen Hilfsmittel verloren. Straßmaier blieb stur. Dem ersten Einwand begegnete er dadurch, dass er die Keilschrift nach der mutmaßlichen Aussprache in lateinische Buchstaben übertrug und erläuterte („nöthige Unterweisungen“). Den zweiten Einwand Eppings lehnte er rundweg ab. Da also „alle Mühe ihn eines Bessern zu überzeugen“ vergebens war, und da Epping das Neue ohne Zweifel lockte, willigte er schließlich ein. Diese Zusammenarbeit brachte eine Entzifferung der Keilschrift sowie grundlegende Kenntnisse zur Astronomie und Chronologie. Für Straßmaier ergab sich der angenehme Nebeneffekt, dass durch die Zusammenarbeit mit Epping viele andere Texte verständlich oder leichter verständlich wurden. Die erste Frucht dieser Zusammenarbeit war die gemeinsame Veröffentlichung Zur Entdeckung der astronomischen Tafeln der Chaldäer in Stimmen aus Maria Laach 1881. 1884 kehrte Straßmaier nach England zurück; die weitere Zusammenarbeit erfolgte über Briefe und erbrachte noch mehr gemeinsame Veröffentlichungen. In Eppings grundlegendem Werk Astronomisches aus Babylon, erschienen 1889, schrieb Strassmaier das erste Kapitel mit den Einleitenden Bemerkungen über astronomische Keilschriften. In der Zeitschrift für Assyriologie veröffentlichten beide gemeinsam, 1890 und 1891 Neue babylonische Planetentafeln, 1892 Babylonische Mondbetrachtungen aus den Jahren 38 und 39 der Seleuciden-Aera und 1893 Der Saros-Canon Babylonier. (Die Saros-Periode bezeichnet einen bestimmten Lauf des Mondes in gut 18 Jahren und diente zur Berechnung von Mond- und Sonnenfinsternissen.)
Ihre gemeinsame Arbeit zur Sternkunde der Babylonier wurde kritisiert und sie enthielt auch Fehler, wie man bei Alfons Huber lesen kann; wer Neuland betritt, tut naturgemäß Fehltritte. Beiden gebührt aber ohne Zweifel das große Verdienst, den astronomischen Kenntnissen der Babylonier wieder zur Anerkennung verholfen zu haben und eine glanzvolle Epoche ihrer Erforschung eröffnet zu haben.
Nach Eppings Tod gab es einen Staffellauf durch Zeit und Erkenntnis. Als erster übernahm F. X. Kugler (1862-1929) aus Königsbach in der Pfalz den Stab. Er war wie Epping Jesuit und wurde von seinem Orden beauftragt, das „geradezu staunenswerte Werk“ (ZA 1890/116) seines Mitbruders weiterzuführen, und zu diesem Zweck zu astronomischen Studien nach Heidelberg geschickt. Kugler bekannte freimütig, dass Straßmaier seinem Mitbruder erst durch die Entdeckung und Vermittlung seiner Kopien zu seinen Erfolgen verholfen habe und er nun mit dem weiterarbeite, was Epping nicht habe lösen können. (ZA 1900/178) Kugler schuf zwei große fundamentale Werke. In einem davon bezeugte er erneut seine Hochachtung gegenüber Straßmaier, indem er ihn in den Buchtitel aufnahm: Die babylonische Mondrechnung. Zwei Systeme der Chaldäer über den Lauf des Mondes und der Sonne. Auf Grund mehrerer von J. N. Straßmaier copirter Keilinschriften des britischen Museums v. F. X. K. Freiburg 1900. Er hat die hier geannnten Tafeln auch ediert. Das zweite Werk von monumentaler Größe Sternkunde und Sterndienst in Babel gab er von 1907 bis 1925 heraus, starb aber vor dessen Vollendung.
Epping und Straßmaier veröffentlichten mehrere Arbeiten gemeinsam wie Astronomisches aus Babylon; hier ein Auszug daraus. (Sh. oben!) - Vergrößern durch Anklicken!
Mittlerweile war Deimel, der Schüler Straßmaiers, am päpstlichen Bibelinstitut in Rom. 1909 traf dort auch der Schwandorfer Johann Schaumberger (1885-1955) ein. Schaumberger war kein Jesuit, sondern Redemptorist. Er wurde von Deimel in die Assyriologie eingewiesen und spezialisierte sich auf die Keilschriftastronomie, wofür er von seinem Lehrer hunderte von Straßmaier-Kopien erhielt. Schaumberger führte einerseits Kuglers Werk mit einer weiteren Ausgabe 1935 weiter, war aber auch nicht im Stande das große Werk zu vollenden. Es blieb ein Torso. Schaumberger gab aber durch seine Zusammenarbeit mit Abraham Josef Sachs (1914-1983) den Stab an die nächste Generation weiter. Sachs wurde von dem Innsbrucker Otto Neugebauer (1899-1990) für die Astronomie der Babylonier gewonnen. Er identifizierte im Britischen Museum hunderte von astronomischen Tontafeln und publizierte diese zusammen mit solchen von Pinches und Straßmaier 1955 in Late Babylonian Astronomical and Related Texts. Schaumberger hat an diesem Werk mitgearbeitet. Otto Neugebauer wiederum stützte sich auf diese Arbeit von Sachs. Die sog. „Straßmaier Ära“ endete mit Sachs, als dieser 1952 Zugang zu den 1300 sorgfältigen Kopien Pinches’ mit astronomischen Inhalt erhielt.
Auch auf dem Gebiet der babylonischen Astronomie war Straßmaier bemüht, Wissenschaftler mit seinen Kopien zu versorgen und sie zu weiteren Arbeiten anzuregen. Ein sehr eindrucksvolles Bild zeichnet Ed. Mahler vom Vorgehen Straßmaiers: „Eine besondere Anregung in dieser Richtung erhielt ich durch Herrn Straßmaier. Dieser wohlbekannte Assyriologe zeigte mir in den Tagen des VII. internationalen Orientalistencongresses [in Wien] eine Sammlung einer nicht geringen Anzahl von ihm copirter und bisher nicht bekannter Keilschrifttexte astronomischen Inhalts, die aus der Zeit des Königs Nabonidus stammen und deren Bearbeitung ich mit Freuden zu übernehmen erklärte. Diese Texte versprechen für die Chronologie der Babylonier von besonderem Interesse und größter Wichtigkeit zu sein.“ (ZA 1886/447f.)
Vielleicht steckt hinter diesem grandiosen Lebenswerk und dieser erstaunlichen Gelehrsamkeit ein unerfüllter Lebenstraum, der einen Betrachter melancholisch stimmen kann. Straßmaiers ursprünglicher Plan war nämlich, eine umfassende Geschichte der semitischen Sprachen zu schreiben. Während er sich in seinem Dienst an der Assyriologie aufrieb, rückte das eigentliche Ziel wohl in immer weitere Ferne.
Literatur
• Bischöfliches Zentralarchiv Regensburg: Matrikel Bd. 9 und 11 der Pfarrei Hunderdorf; Dokumente zur Familiengeschichte Straßmaier in Hagnberg liegen im Nachlass Josef Rußwurm in der Staatlichen Bibliothek Regensburg. Rußwurm war von 1941 bis 1950 Pfarrer in Mitterfels, zu J. Rußwurm, s. Franz Tosch, Mitterfelser Magazin 10 (2004), 168
• Alfons Huber, P. Johann Nepomuk Straßmaier SJ (1846-1920). Ein weltbekannter Keilschriftforscher aus Hagnberg. In: Franz Wartner, Max Lachner, Chronik Markt Mitterfels, 800 Jahre Geschichte um Mitterfels, (Mitterfels)2 1988, 204-211
• Gary D. Thompson, The Recovery of Babylonian Astronomy, (4) The Strassmaier Era – Johann Strassmaier, URL: http://members.westnet.com.au/gary-david-thompson/babylon4.html
Ich danke Herrn Gary D. Thompson sehr herzlich für seine Hinweise und die freundliche und anregende Korrespondenz.
• Anonym, Verzeichnis der Lehrer, Erzieher und Abiturienten des Gymnasiums Metten (Deggendorf ) o. J.
• Alexander Baumgartner, Joseph Epping†, in: ZA 1894/427-434 (ohne Seitenzählung)
• Rykle Borger, Handbuch der Keilschriftliteratur I Repertorium der sumerischen und akkadischen Texte, Berlin 1967
• Anton Deimel, Übersicht über die Keilschrift-Literatur, Rom 1927 (= Orientalia Nr. 27)
• Fritz Hommel, Die Geschichte Babyloniens und Assyriens, Berlin 1885-1888
• Matrikel des Bistums Regensburg 1997, bearb. v. Paul Mai, Regensburg 1997
• Max Piendl, Ludwig Holzfurtner, Mitterfels, die Pfleggerichte Mitterfels und Schwarzach und die Herrschaften Falkenstein, Brennberg und Siegenstein, München 2002 (= Historischer Atlas von Bayern, Teil Altbayern 62/HAB)
• Johann N. Straßmaier, Die altbabylonischen Verträge aus Warka, in: Abhandlungen und Vorträge des fünften internationalen Orientalisten-Congresses gehalten zu Berlin im September 1881, Zweiter Theil, Erste Hälfte Abhandlungen und Vorträge der Semitischen und Afrikanischen Section, Berlin 1882 (Nachdruck Nendeln 1968), S. 315 – 364, mit dem Anhang Texte altbabylonischer Verträge aus Warka von den Thontafeln des Britischen Museums copirt und autographiert von J. N. S., Beilage zur Abhandlung No I,14 (Verträge)
• Klaus Schatz, Geschichte der deutschen Jesuiten 1814-1983, 5 Bde. München 2013
• Franz Wartner, Act. des Koenigl. Landgerichtes Mitterfels 1850: … die Ausschulung der Einöde Hagnberg betreffend, Mitterfelser Magazin 2 (1996), 28f.
• Deutsche biographische Enzyklopädie hg. v. Rudolf Vierhaus, 12 Bände München2 2005-2008
• Reallexikon der Assyriologie (Bd. 1, 2: 1932, 1938) ab Band 3 1971 Reallexikon der Assyriologie und vorderasiatischen Archäologie, Bd. 13 W. R. Mayer, Strassmaier, S. 210-211
• Zeitschrift für Assyriologie und verwandte Sachgebiete (ZA)
Die im Text erwähnten und zitierten Bücher und Periodika waren meist als Reproduktion über das Internet zugänglich.
Zum Autor:
Johann Schmuck, Dr. phil., geboren 1951 in Straubing, Studium der Germanistik, Geschichte und Sozialkunde an der Universität Regensburg. Tätigkeit als Lehrer, dann wissenschaftlicher Mitarbeiter im Stadtarchiv Regensburg. Mitarbeiter am Sprachatlas von Nordostbayern. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Geschichte Regensburgs und Ostbayerns. Kreisarchivpfleger im Landkreis Schwandorf. Mitglied des AK Heimatgeschichte Mitterfels. (Red.)
Hagnberg/Marktgemeinde Mitterfels, Heimat des Assyriologen Johann Nepomuk Straßmaier, heute - Vergrößern durch Anklicken!
Quelle: Johann Schmuck, in: Mitterfelser Magazin 21/2015 Seite 108ff