Qualifikation zur bayerischen Meisterschaft im Seifenkistenrennen 1950 in Mitterfels

 

Ende Mai veranstaltete der Motorsportclub Meidendorf ein Seifenkistenrennen. Es klingt fast unglaublich, dass man heute, trotz überdimensionierter Motorisierung und Geschindigkeitsrausch, noch Jugendliche dafür begeistern kann – doch die Teilnehmerzahl von 29 Jugendlichen im Alter von acht bis 16 Jahren beweist es. Immerhin brausten die Rennfahrer mit bis zu 50 Stundenkilometer die Kreuzbergstraße bei Windberg hinunter. Kaum jemand weiß heute, dass „Seifenkistenrennen“ gerade im Landkreis Straubing-Bogen eine jahrzehntelange Tradition haben.

 

Ausscheidungsrennen für Bayerische Meisterschaft in Mitterfels

Im Juni 1950, vor 62 Jahren, fand in Mitterfels die Niederbayern-Qualifikation zur bayerischen Meisterschaft statt. Im  „Mitterfelser Ge­mein­deboten” Nr. 23 vom 10. Juni 1950 wird „die Einwohnerschaft von Mitterfels ersucht, das morgige Ren­nen auf der Straße Mitterfels-Stein­burg (Höllmühlerberg) zahlreich zu besuchen. Eintritt wird nicht erhoben.” Es ist die Vorentscheidung für die Landkreise Bogen, Straubing und die Stadt Straubing. Erstmals nehmen auch Mitterfelser Jungen im Alter von 10-13 Jahren an einem derartigen Rennen teil. Es werden genannt: Werner Lang, Berthold Schwingham­mer, Hans Jakob, Hermann Schwarz, Horst Stenzel, Joachim Hetz.

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Leo Dietl zieht mit seinem DKW die Rennkisten zum Start.

Wochenlang hatten sich die ange­hen­den Renn-Profis auf den Tag-X vorbereitet. Das war mit großen Schwierigkeiten verbunden, denn die „Kistlwagen” mussten selbst gebaut werden. Die Firma Opel stellte lediglich die Räder und die Achsen zur Verfügung. Wie Bert Schwingham­mer (damals 12 Jahre) berichtet, geschah es in seinem Fall in Team­arbeit. Sein um 2 Jahre älterer Bruder Franz war Chef-Konstrukteur und technischer Leiter, außerdem gehörte Hermann Albert als Testfahrer zum Team. Das größte technische Pro­blem war die Funktion  der Lenkung für die unerfahrenen Konstrukteure. Nach unzähligen Fehlversuchen wur­de das Problem schließlich zufriedenstellend gelöst. Aber auch auf „Windschlüpfrigkeit” der Modelle musste geachtet werden. Das war ebenfalls mit Schwierigkeiten verbunden, denn es durfte nur Holz als Material verwendet werden. Auch die Bremsen mussten einwandfrei funktionieren, denn die „Kistl” wurden vor dem Start von der Rennlei­tung genau auf Fahrtüchtigkeit ge­prüft.

seif_kist03Leichter hatte es da Werner Lang, denn in der Wagnerwerkstatt seines Vaters war alles nötige Werkzeug und Material vorhanden. Wenig technische Probleme hatte auch Joachim Hetz als Sohn eines Elektromeisters. Sein Fahrzeug dürfte technisch am aus­gereiftesten gewesen sein, denn er konnte sich als einziger Mitterfelser Teilnehmer für das nächste Rennen qualifizieren. Hermann Schwarz (Dschani) wurde wegen technischer Mängel der Bremsen zum Rennen nicht zugelassen und musste die Start­rampe vorzeitig verlassen.

Der Start befand sich oberhalb der Höllmühle in Richtung Steinberg.

Dem Aufruf zur zahlreichen Teilnahme waren nicht nur viele Mitterfelser gefolgt sondern auch Schaulustige aus der näheren und weiteren Umgebung. Dass das Rennen durchaus überörtlichen Cha­rakter hatte, geht aus dem ausführlichen Bericht des Straubinger Tag­blatt vom Montag 12. Juni hervor: „Ein richtiges Rennwetter! Nicht bloß für die Fahrer, auch für die Zu­schauer, die wie Bienenschwärme an dem Abhang über der Straße hingen.” Der Berichterstatter bedauert, dass die Fahrer einzeln starten muss­ten, was dem Rennen einen gewissen Reiz nahm, aber einige schwere Stürze beim Training am Samstag machte dies erforderlich. Die meisten Stürze verliefen glimpflich mit Haut­abschürfungen und Prellungen. Nur ein Teilnehmer musste mit einem Schlüsselbeinbruch ins Krankenhaus eingeliefert werden. Wahrscheinlich hatten Fahrer und Rennleitung das starke Gefälle unterschätzt.

seif_kist01Auch der Testfahrer Hermann Albert vom Renn-Team Schwing­ham­mer erlitte einen Sturz, der zwar ohne Personenschaden verlief, aber der Schaden am Fahrzeug war so erheblich, dass Bert Schwinghammer damit am Sonntag nicht starten konnte. Wochenlange mühevolle Arbeit war vergeblich! Die große Enttäu­schung kann man sich leicht vorstellen! Hermann Schwarz war nicht der einzige, der wegen technischer Män­gel nicht zugelassen wurde. Von den 52 Seifenkisteln durften nur 45 starten.

Die Rennleitung lag in den Händen amerikanischer Offiziere.

Dass das Rennen auch für die Zu­schauer gefährlich werden konnte, er­fah­ren wir aus dem Zeitungs­bericht: „Dem Fahrer Nr. 23, Horst Petersilie aus Straubing versagte an der unteren Kurve die Steuerung. Horst versuchte noch zu bremsen, aber es war schon zu spät. Er sauste über die Böschung und streifte eine ältere Frau und zwei Knaben, die mit Hautabschürfungen, Prellungen und mit dem Schrecken davon kamen. Der Fahrer selbst lief bald wieder mun­ter herum. Zum Glück sind die Fahrer mit einem Holzhelm bewehrt, so dass gefährliche Stürze kaum möglich sind”, beruhigt der Bericht­erstatter.

Auch die 346,5 m lange Fahr­stre­cke wird genau beschrieben: „Bald nach dem Start, der von einem erhöhten Podium aus (mit Verschlussbrett) erfolgte, kam eine Strecke von etwa 50 m Länge mit rauhem Schotter. Während die übrige Fahrbahn nur einige Schotterflecken aufwies, war der Rand, namentlich in den Kurven, stark beschottert.” Um einen der 14 Plätze für die nächste Ausscheidung zu erreichen, wurde den jungen Renn­fahrern viel Geschick abverlangt.

Fredi Lindekuh aus Straubing be­legte mit 35,5 Sekunden den ersten Platz, gefolgt von den Bogenern Alfons Hafner (36,0), Albert Sänger und Werner Stumbeck (36,2). Den 5. Platz belegte mit 36,9 Sekunden Christian Endlich aus Straubing. (Man beachte die genaue Zeitmes­sung!) Von den Mitterfelser Teilneh­mern konnte sich als einziger Joachim Hetz für das nächste Aus­scheidungsrennen qualifizieren.

Die Rennleitung hatten amerikanische Offiziere inne, an der Spitze Resident Officer Lawrence. Als einziger Deutscher fungierte der Leiter der Fahrbereitschaft Bogen, Herr Hahn. Die beiden ersten Sieger ge­wan­nen eine 3-tägige Fahrt zu den Opel-Werken nach Rüsselsheim, gestiftet von der Firma Opel-Hof­bauer Straubing. Als 3. Preis hatte die Gemeinde Mitterfels einen Fuß­ball gestiftet. Die nächsten Sieger, die sich für das kommende Ausschei­dungsrennen qualifziert hatten (insgesamt 14), erhielten Freikarten für das Waldschwimmbad Mitterfels.

 

Das zweite Ausscheidungsrennen

 

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Die Teilnehmer in gespannter Erwartung vor dem Start

Es fand eine Woche später, am 18. Juni statt. Auch darüber berichtet das Straubinger Tagblatt am 19. Juni ausführlich. Neben den Fahrern aus Bogen und Straubing starteten nun auch die besten aus den Bezirken Deggendorf, Landau und Zwiesel. Es waren zwar weniger Zuschauer er­schienen, aber das Rennen war we­sent­lich besser organisiert und interessanter. Eine Lautsprecheranlage, die in der vergangenen Woche wegen technischen Defekts ausgefallen war, informierte die Zuschauer. „Es starteten jeweils zwei Fahrer, was den Reiz des Rennens wesentlich erhöhte,” so der Berichterstatter. Um die Gefahr zu verringern, war die Strecke verkürzt worden. Die Fahrzeuge wurden diesmal noch strenger kontrolliert. Von den sechs Zwieseler Teilneh­mern wurden fünf ausgeschlossen. Auch der Mitterfelser Joachim Hetz wur­de disqualifiziert, da sein Vater am Boden des Fahrzeugs zur Be­schleunigung eine Eisenplatte angebracht hatte.

Nach dem entscheidenden zweiten Durchgang standen die 16 Teilneh­mer für die Bayerische Meisterschaft in München fest. 1. Robert Mies­linger, Landau, 2. Josef Vogel, Zwie­sel, 3. Alfons Hafner, Bogen, 4. Albert Sänger, Straubing, 5. Herbert Fredl, Bogen. Die Sieger erhielten ansehnliche Preise: Die ersten beiden je ein Fahrrad, gespendet von den amerikanischen Einheiten des Flie­gerhorstes Straubing, die nächsten fünf je eine Armbanduhr, gestiftet vom Rennleiter Lt. Heithaus, die nächsten einen Photoapparat, eine Trachtenjacke, eine Badehose. „Die Sieger waren von den Preisen so erfreut, dass manch einer vor Auf­regung und Freude zu danken ver­gaß”, schreibt der Reporter. Der Sub-Post Chef Col. William Hones, der die Siegerehrung in deutscher Spra­che durchführte, wird dies sicher nicht übelgenommen haben. Der Tatsache, dass die amerikanischen Soldaten das Rennen organisierten und leiteten, kann man entnehmen, wie gut das Verhältnis zwischen den Siegern und der einheimischen Be­völkerung war. Abschließend bedauert der Berichterstatter, dass das geplante Rennen zwischen Lt. John Heithaus und Bürgermeister Albert Dietl nicht mehr stattfand, weil die Straße nicht mehr freigehalten werden konnte. „Wir hätten jedoch gerne von dem Sieg von Lt. Heithaus über den Leichtgewichtler Dietl berichtet, wie auch die Zuschauer alle gerne dem Veranstalter Dank und Beifall bekundet hätten.”


 

Quelle:

Alois Bernkopf, Mitterfelser Magazin 6/2000, Seite 136 - SR-Tagblatt vom 16. Juni 2012, Seite 29

Fotos: Otto Wartner, Sepp Brembeck