Ein liebend Wort für ein schmiedeeisernes Grabkreuz

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Dieses Grabkreuz im Gäubodenmuseum Straubing stand früher am Mitterfelser Friedhof - Vergrößern durch Anklicken!

Den Mitterfelser Friedhof betritt man durch ein schmiedeeisernes Tor mit der Jahreszahl 1861. Auch im rückwärtigen Teil des Friedhofs schafft sich die Sehnsucht nach geschmiedetem Eisen in einigen Grabkreuzen der letzten Jahrzehnte ihren Ausdruck.

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Bild 1: Friedhof zu Mitterfels mit schmiedeeisernem Tor  - Vergrößern durch Anklicken!

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Bild 2: Altes Mitterfelser Grabkreuz

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Bild 3: Kästchen am Schnittpunkt der Kreuzesbalken

Man knüpft an ein Brauchtum, das für den Mitterfelser Friedhof durch ein altes eisengeschmiedetes Grabkreuz belegt ist. Es lagert im Magazin des Gäubodenmuseums Straubing und hat noch seine ursprüngliche Fassung mit Resten von Farbspuren. (Bild 2) Am Schnittpunkt der Kreuzesbalken sitzt ein Kästchen mit zwei Türchen. Das macht neugierig. (Bild 3)

 

Wir erlauben uns, die Türflügel zu öffnen. (Bild 4 und 5) Da erfahren wir, dass der Begrabene Josef Wartner hieß, Söldner von Scheibelsgrub war und am 10. August 1882 im Alter von 73 Jahren verstorben ist. Das Pfarrbuch in Mitterfels kann noch ergänzen, dass er als Austragssöldner auf Hausnummer 4 1/3 in Scheibelsgrub gewohnt hat, wiederverheiratet gewesen, um ein Uhr nachts verstorben und am 12. August im Friedhof zu Mitterfels beerdigt worden ist. Die mündliche Überlieferung weiß zu erzählen: Er hat ursprünglich das damals größte Anwesen in Scheibelsgrub, das heutige Stumhofer-Anwesen, besessen. Sein Sohn Xaver hat die Wartner-Mühle im Perlbachtal erbaut, über die in einem eigenen Artikel dieses Magazins berichtet wird.

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Bild 4 (links): Mitterfelser Grabkreuz mit geöffneten Türflügeln - Bild 5: Geöffnetes Kästchen

Somit haben wir die Inschrift mit Leben erfüllt. Wenden wir uns nun weiteren Einzelheiten des Mittelpunktkästchens zu.

Die Türflügel sind innen weiß grundiert und lassen je in einem Rautenfeld Farbreste erkennen, die sich für mein Auge leider nicht mehr zu einem deutbaren Bild zusammenfügen. Auf dem Inventarblatt des Gäubodenmuseums werden sie als Engel enträtselt. Auf der Schrifttafel glaubt man oben in einem kleinen blauen Oval Christus als Erlöser zu erkennen, dessen Blut in einem Kelch sich sammelt.

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Bild 6 (links): Mitterfelser Grabkreuz, Rückseite, mit geöffnetem Kästchen - Bild 7: Geöffnetes Kästchen, Rückseite

Interessanterweise lässt sich das Kästchen auf der Rückseite ebenfalls öffnen. (Bild 6 und 7) Im Mittelfeld ist ein Totenschädel auf einem Sarg oder Kasten abgebildet, am linken Türflügel zwei überkreuzte Knochen und am rechten Türflügel eine abgebrochene Kerze. Diese Motive sind Vanitas-Symbole. Sie wollen die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens und die Nichtigkeit alles Irdischen vor Augen führen.

Damit sind wir der Betrachtungsweise des Schweizer Pfarrers Joseph Willimann nahegerückt, der auf seinem Friedhof in Lenz (Lantsch) die Entwicklung der schmiedeeisernen Grabkreuze von der Gotik bis zur Gegenwart verfolgen konnte. Er deutet dieses Kästchen am Schnittpunkt der Kreuzesbalken, das seit der ausgehenden Gotik, gehäuft aber in der Renaissance in Mode kam, als Symbol für das Haus des Toten; das rückwärtige Tor nach Westen zur untergehenden Sonne, zum Sterben; das vordere Tor nach Osten zur aufgehenden Sonne, durch das die Seele zur Auferstehung wandert.

Aus dieser Sonne, am Kopfende des Kreuzesstammes und an seinem Sockel eingeschmiedet, entwinden sich Spiralranken und umspielen unser Kreuz. (Bild 8) Sie haben sich nach Joseph Willimann aus der klaren Form der S-Spirale oder der Muschelspirale, welche die Renaissance einläuten, herausgebildet und können ursprünglich die ihre Stellung wechselnde Mondsichel versinnbildlichen. Aus der Lichtflut der Sonne schöpfe in den mythischen Glaubensvorstellungen unserer Vorfahren der Mond nach seinem Abnehmen und Untertauchen immer wieder neues Leben. Die Mondphasen seien Sinnbilder für Sterben und Werden, also auch für Sterben und Wiedererstehen des Menschen.

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Bild 8: Sonne an der Oberkante des Kreuzesbalkens Vergrößern durch Anklicken!

Wir haben somit unser Grabkreuz noch in den Formenschatz der Renaissance eingegliedert, obwohl die Inschrift vom 19. Jahrhundert spricht, als außer Renaissance schon einige weitere Stilepochen vorübergegangen waren. Einerseits sind Kreuze über einen langen Zeitraum immer wieder verwendet, dabei ausgebessert, neu gestrichen und wohl auch verändert worden; andererseits stagniert die Weiterentwicklung der Stilformen geschmiedeter Grabkreuze im 19. Jahrhundert, und die Schmiede greifen auf dem Formenschatz früherer Jahrhunderte zurück.

Die genaue Entstehungsgeschichte unseres Kreuzes konnte ich nicht ermitteln, nicht einmal wie es seinen Weg in das Gäubodenmuseum genommen hat. Allerdings verließ der Enkel des Josef Wartner 1910 Scheibelsgrub, kaufte ein Anwesen in Alburg, wo er kinderlos verstarb. Man kann also vermuten, dass sich von da an niemand mehr um das Grab gekümmert hat.

Der Querbalken des Kreuzes trägt an beiden Seiten einen Engel, von denen einer beschädigt ist. Ebenso zeigt das obere Ende des Kreuzesstammes eine Abbruchstelle. Vergleiche mit ähnlichen Kreuzen am Petersfriedhof zu Straubing erhärten die Annahme, dass unser Mitterfelser Kreuz von einem Auferstandenen bekrönt war.

Zum Schluss unseres Weges zum schmiedeeisernen Kreuz vom Mitterfelser Friedhof können wir nur staunen vor dem Reichtum und der Wucht seiner Aussagekraft bei so viel Bescheidenheit der Erscheinung.

 

Hilfen:

 

Benutzte Literatur:

 

Fotos: Edda Fendl

 

Quelle: Edda Fendl, in: Mitterfelser Magazin 2/1996, S. 111f